Interview mit Chef der Kinder-Klinik Magdeburg Kindermedizin: Ständige Unterfinanzierung können wir uns nicht leisten
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10. April 2023, 12:19 Uhr
Die Kindermedizin in Sachsen-Anhalt ist chronisch unterfinanziert, stellt der Chef der Magdeburger Kinder-Klinik, Matthias Heiduk, im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT fest. Immerhin sei die prekäre Situation den Entscheidern inzwischen klar, sagt Heiduk.
MDR SACHSEN-ANHALT: Wo hat die Kindermedizin in Sachsen-Anhalts Krankenhäuser aktuell besonders Probleme?
Matthias Heiduk: Der Versorgungsengpass bezieht sich vor allem auf den Norden Sachsen-Anhalts. Wir seit den 90er-Jahren einen erheblichen Bevölkerungsrückgang. Das hat dazu geführt, dass wir nicht mehr die Zahl an Geburten und Kindern hatten, um die stationären Einrichtungen auch auszulasten. Die Behandlungsdauer von Kindern und Jugendlichen hat sich stetig verkürzt. Krankheitsbilder, die vor 20 Jahren noch zwei Wochen stationär behandelt wurden, werden heute teilweise nur ein, zwei Tage stationär oder ambulant behandelt.
Matthias Heiduk...
... ist Leiter der Kinder-und Jugendmedizin des Städtischen Klinikums Magdeburg.
Heiduk ist Mitglied beim Verband der Leitenden Kinderärzte und Kinderchirurgen Deutschlands.
Das führte dazu, dass Auslastungen sanken, da man natürlich auch einen geringeren Bedarf an Fachärzten gehabt hat. Nun kam aber ein weiterer Punkt dazu, nämlich die Einführung der Vergütung nach Fallpauschalen. Und es zeigt sich schon seit einigen Jahren, dass dieses Vergütungsmodell nicht kostendeckend für eine aufwendige Kindermedizin ist. Die stetige Unterfinanzierung, die daraus entstanden ist, führte auch dazu, dass sich einige Krankenhausträger Kinder- und Jugendkliniken oder geburtshilfliche Abteilungen nicht mehr leisten konnten. Viele Krankenhäuser mussten und müssen diese Abteilungen aus anderen Bereichen querfinanzieren.
Wenn also Kinderkliniken für die Betreiber unattraktiv werden und sich weniger Ärzte finden, bedeutet das also ein langsames Sterben der Kindermedizin?
Das ist korrekt, und das hat ja auch schon stattgefunden. Natürlich waren das teilweise notwendige Anpassungen an eine veränderte Struktur. Aber eine stetige Unterfinanzierung kann man sich auf Dauer nicht leisten. Hinzu kommt dann natürlich auch ein Fachkräftemangel. Der betrifft ja die gesamte Medizin. Das führt natürlich auch dazu, dass man einige Abteilungen nicht mehr ausreichend nachbesetzen kann.
Und diese Mischung letztlich einer Unterfinanzierung und der Mangel an Pflegepersonal und Ärzten führt dazu, dass Kliniken dann auch geschlossen werden. Auf Dauer kann sich kein Krankenhaus, egal welcher Träger zuständig ist, ob öffentlich oder privat, eine stetige Unterfinanzierung leisten.
Nun wird die Vergütung ja über die Krankenkassen und die Bundespolitik verhandelt. Wo müsste man ihrer Meinung nach ansetzen?
Ich denke, man muss die Spezifik der Kindermedizin berücksichtigen. Wir können also nicht nur finanziert werden nach der Anzahl der Operationen oder der Prozeduren, wie das denn so schön heißt, die durchgeführt werden. Kindermedizin ist einfach aufwendiger. Wenn ich bei einem Kind eine MRT-Untersuchung durchführen soll, muss ich häufig eine Narkose oder eine Sedierung durchführen, weil das Kind sonst nicht liegen bleibt. Das ist natürlich sehr, sehr personalaufwendig, viel aufwendiger als ein MRT beim Erwachsenen oder beim Jugendlichen. Und so lässt sich diese Reihe fortsetzen. Ich habe natürlich auch immer eine ganze Familie mit im Boot. Das heißt, der Gesprächsbedarf ist höher.
Der Pflegeaufwand bei einem Säugling ist deutlich aufwendiger, und das sind alles Punkte, die in diesem Fallpauschalen nicht ausreichend berücksichtigt werden. Es bedarf also einer besseren Ausstattung für diesen Grundaufwand, den wir betreiben, finanziell. Ein weiterer Punkt ist natürlich, dass die Kindermedizin sehr starke saisonale Schwankungen hat, was das Patientenaufkommen angeht. Diese Schwankungen gab es auch schon immer. Aber wenn natürlich die Betten drastisch reduziert werden, dann fallen diese Schwankungen immer mehr ins Gewicht.
Und wir haben das also gerade in dieser RSV-Infektionswelle gesehen, dass die Kapazitäten knapp wurden, dass sie überschritten wurden. Und das betrifft natürlich nicht nur Sachsen-Anhalt, sondern alle Bundesländer. Denn diese strukturellen Bedingungen sind ja in allen Bundesländern ähnlich. Wir brauchen also eine Vorhaltung von Betten, von Personal, die wir zu solchen Spitzenzeiten aufschalten können. Also flexiblere Modelle, die nicht nur nach Anzahl der Fälle gerichtet sind, um solche Spitzenzeiten auch besser auffangen zu können.
Wurde Ihrer Ansicht nach das Problem des sich andeutenden Fachkräftemangels zu spät von Entscheidungsträgern erkannt?
Das Problem ist bei Pflegepersonal und Ärzten, denke ich, über viele Jahre absehbar gewesen. Das sind einfache Rechenmodelle, das ist genauso wie bei den Lehrern. Ich denke, man kann einfach auch schon Jahrzehnte vorher berechnen, wie viel Fachkräfte in einen Ruhestand gehen werden. Natürlich kann man die nicht eins zu eins ersetzen. Wenn es überall Fachkräftemangel gibt, dann ist sind die Ressourcen begrenzt, auf die man zurückgreifen kann.
Aber was wir brauchen, ist eine vorausschauende Planung, die Kinderärzte, Kinderkrankenpflege, Politik gemeinsam betreiben, um sich gemeinsam Gedanken zu machen, wie es mit diesem Fachgebiet und der Versorgungssituation einer ganzen Bevölkerungsgruppe perspektivisch weitergeht. Und da kann man sich auch noch zum jetzigen Zeitpunkt ran setzen.
Es gab ja auch in der Vergangenheit natürlich Bestrebungen, das zu machen. Aber wir haben jetzt eine Eskalation der Situation durch die geschilderten Bedingungen, die wir sicher auch in besonderem Maße im nördlichen Sachsen-Anhalt haben.
Werden in Sachsen-Anhalt genug Kinderärzte ausgebildet?
Ich denke, dass wir gut ausbilden. Das Problem ist, dass nicht alle Kolleginnen und Kollegen, die wir ausbilden, im Bundesland bleiben. Und das zweite Problem ist, dass die Arbeitsbedingungen in den Kliniken häufig Überstunden verlangen. Viele Dienstbereitschaften verlangen, die die betroffenen Ärzte, die in diesen Kliniken arbeiten, nicht mehr länger als notwendig mitmachen, wollen.
Das heißt sehr viele Kinderärzte verlassen auch die Kliniken, wenn sie ihre Facharztausbildung gemacht haben, um dann in anderen Bereichen auch in der ambulanten Pädiatrie beispielsweise weiterzuarbeiten. Also die Arbeitsbedingungen sind natürlich in vielen Bundesländern ähnlich, wir sind nicht das einzige Bundesland, in dem es Personalmangel gibt.
Und insofern haben wir auch Kolleginnen und Kollegen, die hier sesshaft geworden sind und die sozusagen auch schon hier ihren Lebensmittelpunkt gefunden haben. Und ich denke, das ist immer auch das Entscheidende. Wenn man seinen Lebensmittelpunkt gefunden hat, dann bleibt man auch.
Welche positiven Entwicklungen sehen sie?
Also das Positive ist auch, dass die Signale vieler Fachverbände angekommen sind in der Politik. Wir haben ein Entlastungspaket für 2023 und 24 bekommen, also eine garantierte Erlössteigerung, sodass die Pädiatrie zumindest nicht mehr ganz unattraktiv ist für Krankenhausträger. Das möchte ich auch positiv erwähnen. Davon können wir uns aber keine Ärzte und Pflegenden backen. Das heißt, wir müssen in die Zukunft schauen und gucken, wie wir Kindermedizin strukturell gerade in einem Bundesland wie Sachsen-Anhalt neu aufstellen.
Und das sehe ich auch als Chance. Gerade diese Struktur, die wir hier haben, bietet wirklich auch die Möglichkeit, eventuell auch mal neue Modelle einer gut vernetzten, ambulant und stationären Struktur in der Fläche auch zu überdenken. Und ich denke, dass bedarf natürlich auch dem Rückhalt in der Politik. Das Interesse muss da sein. Aber wenn das besteht, kann man gemeinsam sicher auch wirklich eine zukunftsfähige Struktur aufbauen.
Das geht natürlich nicht von heute auf morgen. Das löst nicht den Arzt ABC, der jetzt gerade seine Praxis geschlossen hat. Dieses Problem wird nicht sofort gelöst, aber wir müssen ja irgendwo anfangen. Wir müssen gucken, wie und wie viel wir ausbilden. Und dazu bedarf es auch natürlich leistungsstarker Kliniken, die der Pflege und den Ärzten auch etwas bieten in der Ausbildung. Und damit, denke ich, bekommen wir auch wieder mehr junge Ärztinnen, Ärzte und Pflegende in das Bundesland.
MDR (Max Hensch, Hannes Leonard)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 30. März 2023 | 12:00 Uhr
Bernd1951 am 11.04.2023
Ich habe die für den Zustand m. E. charakteristischen Sätze nur mal um 2 Worte ergänzt:
"Das Problem ist" nicht nur "bei Pflegepersonal und Ärzten, denke ich, über viele Jahre absehbar gewesen. Das sind einfache Rechenmodelle, das ist genauso wie bei den Lehrern. Ich denke, man kann einfach auch schon Jahrzehnte vorher berechnen, wie viel Fachkräfte in einen Ruhestand gehen werden."
Ich frage mich immer wieder, warum muss es erst soweit kommen, ehe die Verantwortlichen "aufwachen". Ein frühzeitiges Reagieren auf diese Probleme wenn sie noch mit wenig Aufwand zu beheben sind, ist doch eigentlich im Sinne aller Betroffenen die bessere Lösung.
Da stellt sich m. E. doch die allgemeine, viel tiefer gehende Frage, warum es sich nicht nur auf diesem Gebiet der Daseinsfürsorge rechnen lassen muss.
Thorsten Pfeiffer am 11.04.2023
Herr Lauterbach hat andere Sorgen, nachdem man sich schon an den Kindern versündigt hat im Zuge der Schulschließungen, werden Kinderkliniken mit Branchensoftware ausgerüstet die mit Controlling und Finanzwesen die Gewinn und Verlustrechnung in den Vordergrund stellen. Das Kindeswohl steht nirgenwo in den Büchern. Ein Panzer weniger abgrechnet für den Haushalt von Hr. Pistorius würde Wunder wirken in der Haushaltsführung einer Kinderklinik. Aber das sind ja unzumutbare Vergleiche.....populistisch wenn es nicht im Mainstream formuliert ist.
Basil Disco am 11.04.2023
Das heutige Dilemma ist das Ergebnis der menschenverachtenden Marktideologie, die seit den 80er Jahren unter der Kohl-Regierung im Westen Einzug gehalten hat. Gesundheit als Ware, der Patient als notwendiges Übel, den man so schnell wie möglich behandeln und dann wieder nach Hause abschieben kann. Es hat 40 jahre gedauert, das System so weit herunter zu wirtschaften auf den Rücken von Patienten, Ärzten und Pflegekräften. Zaghafte Signale zur umkehr kann man erkennen, aber es wird mindestens ebenso lange dauern ein Gesundheitssystem aufzubauen, das den Menschen und nicht den Profit in den Mittelpunkt stellt.