Kommentar - Marcel Roth
Was das Problem ist? Geld anscheinend nicht. Bildrechte: picture alliance/dpa | Bernd Wüstneck/Viktoria Schackow/MDR

Kommentar Stellt die Schüler in den Mittelpunkt

12. Februar 2024, 05:00 Uhr

18 Millionen Euro hat Sachsen-Anhalts Landesregierung für Firewalls an Schulen ausgegeben. An den meisten Schulen stehen die Geräte mittlerweile ungenutzt herum. Der Fall zeigt, wie komplex die Regeln für Schulen sind. Und er zeigt vor allem: Geld ist nicht das Problem. Ein Kommentar.

Ein großer Mann mit Locken und Brille steht vor einer Betonwand.
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Eine Vorhersage: Sie werden beim Lesen spätestens am Ende des dritten Absatzes Ihren Kopf schütteln. Denn wenn in Deutschland IT an Schulen kommt, ist das eine organisatorische Mammutaufgabe. Allein für Sachsen-Anhalt heißt das: elf Landkreise, drei kreisfreie Städte und 119 Gemeinden oder Verbandsgemeinden, ein CDU-geführtes Finanzministerium, ein CDU-geführtes Bildungsministerium und ein FDP-geführtes Digitalministerium.

Dass es so viele Beteiligte sind, liegt an der Verfasstheit unseres Staatswesens: Schulträger für Grundschulen sind die Gemeinden, für weiterführende Schulen die Landkreise. Kreisfreie Städte sind Schulträger für alle Schularten. Und freie Schulträger für Privatschulen gibt es auch noch.

Die Schulträger sind für die Ausstattung verantwortlich: für Heizung, Gebäude, WLAN, Computer – quasi für die Hardware. Für den Inhalt, also für Lehrkräfte, Lehrpläne und Schulbücher, ist das Bildungsministerium des Landes zuständig. Für Computerprogramme, also Software an Schulen, sind die Schulträger verantwortlich. Ausnahme: Die Software, die auf der Hardware, auf Laptops und Tablets der Lehrkräfte läuft. Dafür ist eigentlich das Land zuständig, weil Lehrkräfte und Laptops vom Land bezahlt werden.

Viele Menschen, die Schulen verwalten

Und stellen Sie sich nun bitte vor: Die Menschen aus all diesen Institutionen, die in Sachsen-Anhalt Schule organisieren, treffen sich. Und jede dieser Institutionen schickt nur einen einzigen Mitarbeitenden – in Sachsen-Anhalts Landtag könnte das Treffen nicht stattfinden. Es würden nämlich mehr als doppelt so viele Menschen zusammenkommen als Sachsen-Anhalt Landtagsabgeordnete hat.

Bitte halten Sie Ihren Kopf jetzt wieder ruhig. Denn viele Menschen können ja viel Arbeit erledigen. Und es fehlen vermutlich Menschen, die die Schule verwalten und organisieren. Dass Lehrer fehlen, wissen wir längst. Nur wer ist wichtiger für die 43.950 Schülerinnen und Schüler in Sachsen-Anhalt? Und ist Schule verwalten und organisieren in Arendsee anders als in Zeitz?

Den Anlass für diesen Kommentar lesen Sie ausführlich in diesem Beitrag:

Mehr Digital-Kraft vor Ort

Nach dem sie den 18-Millionen-Euro-Vertrag über die Schul-Firewalls gekündigt hat, sagt Sachsen-Anhalts Digitalministerin Lydia Hüskens, es brauche eine nachhaltige Infrastruktur an den Schulen. Früher hieß das einfach, Dinge kaufen, die auch in zehn Jahren noch nützlich sind; für die Zukunft planen. 2021 und 2024 hat kaum jemand eine Idee von der Zukunft. Und 18 Millionen Euro waren da.

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MDR SACHSEN-ANHALT Fr 26.01.2024 10:20Uhr 00:57 min

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Dass Schulorganisation so komplex ist, dafür habe ich keine Lösung. Das ergibt sich aus unserem Grundgesetz. Aber vielleicht lässt sich die gegenwärtige Unruhe im Land für etwas Positives nutzen: Für die Zukunft der jungen Menschen. Sie gehen nicht in Sachsen-Anhalt oder der Bundesrepublik zur Schule. Sondern in Haldensleben, Darlingerode oder Braunsbedra. Dorthin muss alle Kraft gesteckt werden. Meinetwegen auch die einer Verwaltung.

Deswegen ist es einerseits völlig richtig, wenn Digitalministerin Hüskens sagt, man müsse auf die Bedürfnisse der Kommunen und Schulträger Rücksicht nehmen. Andererseits ist es grundfalsch. Es geht nicht um die Bedürfnisse einer Organisation, einer Behörde oder einer Verwaltung. Es geht um die Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler und ihrer Lehrkräfte.

Überforderung im digitalen Umbruch

Niemand unterstellt, dass auf ihre Bedürfnisse keine Rücksicht genommen wird. Aber vermutlich tun das zu viele.

Als jemand, der häufig über digitale Technologien und ihre Auswirkungen berichtet, fällt mir folgendes auf: Sobald Verwaltungen IT-Themen anpacken, sind viele meiner Gesprächspartner nicht mehr überrascht, wenn das Projekt in die Hosen geht. Als Journalist habe ich dann genug zu berichten.

Als Bürger schüttele ich sehr häufig den Kopf. Und das nicht über die Menschen. Sondern über die Regeln, die wir uns gegeben haben. Dabei sind sie keine physikalischen Gesetze. Sie machen aber die Entscheidungen langwierig und teuer. Überspitzt gesagt: Wir verwalten die Schulen in Grund und Boden. In diesem speziellen Fall sogar zu Elektroschrott.

Ist Geld ein Problem?

Im Jahr 2024 kann ich mir all das nicht mehr erklären: Gibt es zu wenig digitales Wissen in Verwaltungen? Haben die entscheidenden Menschen keine Zeit, sich zu fragen, was ihre Entscheidungen konkret heißen? Haben Sie Angst, etwas falsch zu machen oder einen Vorgesetzten zu kritisieren? Fragen sie sich nicht häufig genug, was die Kernaufgabe ihrer Organisation ist? Sind persönliche Interessen im Spiel? Gönnen Parteien sich gegenseitig keinen Erfolg?

Der 18-Millionen-Euro-Elektroschrott ist ein typisches Beispiel, wie Deutschland digitale Dinge organisiert. Es gibt Förderungen, Modellprojekte und Anschubfinanzierungen. Dafür muss mitunter europaweit ausgeschrieben, ein Beratungsunternehmen beauftragt oder Unterauftragnehmer engagiert werden. Ein Problem ist damit noch lange nicht gelöst. Aber Heerscharen von Menschen sind beschäftigt. Der britische Anthropologe David Graeber hat solche Tätigkeiten einmal "Bullshitjobs" genannt.

Modern machen statt modern denken

Der Grund für all diesen Aufwand: Geld. Kommen Firewalls oder Laptops an die Schulen, sagt kein Schulträger, keine klamme Kommune "Nein, danke". Schließlich werden die Geräte aus einem anderen staatlichen Topf bezahlt. Und natürlich sind Politiker und Politikerinnen stolz, wenn sie Geld bewegen können, das in Schulen investiert wird. Fototermin, Lächeln, Danke. Geld auf ein Problem geworfen. Lösung unklar.

Eine Frage muss deshalb erlaubt sein: Wie kann es sein, dass 18 Millionen Euro für Geräte da sind, aber Fachkräfte im Zweifelsfall fehlen? Zwei Dinge habe ich daraus gelernt: Geld ist nicht das Problem. Will ein Staat Geld ausgeben, kann er das auch. Und manche Ökonomen sagen, Staatsschulden sind besser als ihr Ruf. Denn was der Staat ausgibt, haben die Menschen in den Taschen. Und was ich auch gelernt habe: Geld und Technologien lösen keine Probleme. Das machen nur Menschen. Und grundsätzlich lässt sich alles bezahlen, was Menschen machen können. Warum machen wir es dann nicht? Aus dem Modern-Denken-Slogan der Landesregierung muss ein Modern Machen werden.

Mehr von Digital leben

MDR (Marcel Roth)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 12. Februar 2024 | 07:10 Uhr

8 Kommentare

Der Pegauer vor 12 Wochen

Richtig @AlexLeipzig. Zum Dienstleistungsgeschäft gehören zwei: Der eine, der Dienste leistet, und der andere, der sich diese Dienste leisten kann. Der hat gefälligst zu zahlen, sonst muss er es selber machen.
In diesem Zusammenhang: Habe kürzlich auf meiner Festplatte ein Screenshot einer dümmlichen Webseite aus dem Jahr 2006 gefunden: Wer das niedrigste Angebot abgibt, bekommt den Auftrag. Die Seite ist allerdings nicht mehr aufrufbar…

Anita L. vor 12 Wochen

@pwsksk, jede/-r Bürgergeldempfänger/-in wird "von diesen Schulden (Steuern) bezahlt"... und jedes Kind, jeder junge Mensch erhält Geld "von diesen Schulden (Steuern)"... jede/-r städtisch angestellte/-r Gärtner/-in, jede/r Lehrer/-in, jede/-r Wohngeldempfänger/-in, jede/-r Bademeister/-in,...

Was also soll uns Ihr merkwürdiger Hinweis eigentlich mitteilen?

AlexLeipzig vor 12 Wochen

"Geld und Technologien lösen keine Probleme. Das machen nur Menschen." Das sehe ich auch so. Es wird Zeit, diese Dienstleistungen auch entsprechend zu fördern und zu honorieren, und nicht nur als Arbeitsplätze 2. Wahl hinter den vermeintlich wertschöpfenden Insustriearbeitsplätzen anzusehen. Es macht keinen Sinn, Computerchips zu produzieren, wenn die Computer keiner bedienen kann.

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