Bildung Hauptschulabschluss mit Note 5 oder 6 auf dem Zeugnis: Kritik an gelockerten Anforderungen
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13. November 2024, 09:21 Uhr
Weil in Sachsen-Anhalt die Quote der Menschen ohne Schulabschluss besonders hoch ist, wurden nun die Anforderungen an den Hauptschulabschluss gesenkt. Künftig kann dieser Abschluss, für den keine gesonderten Prüfungen nötig sind, auch mit Fünfen oder einer Sechs im Zeugnis erreicht werden. Das sorgt landesweit für Kritik.
Sachsen-Anhalt gehört seit Jahren zu den Bundesländern mit den meisten Schulabgängern ohne Abschluss. Bis zu zehn Prozent der Schülerinnen und Schüler verlassen die Bildungseinrichtungen ohne eine entsprechende Qualifikation, in anderen Bundesländern ist es teilweise die Hälfte. Um die Quote zu verbessern, hat das Bildungsministerium die Anforderungen an die Hauptschüler gesenkt – weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit schon im August. Das berichtet die Mitteldeutsche Zeitung.
Demnach ist der Abschluss schon in diesem Schuljahr auch mit zwei Fünfen in Mathematik und Deutsch möglich. Bedingung sei aber, dass auf dem Zeugnis in einem anderen Fach mindestens eine Note 3 auftaucht. Selbst mit Note 6 und Note 2 in einem anderen Fach sei der Abschluss noch möglich.
Ministeriumssprecher: "Kompetenzniveau liegt bundesweit im Mittel"
Der Sprecher des Bildungsministeriums, Elmer Emig, sagte zur Entscheidung auf Nachfrage von MDR SACHSEN-ANHALT, das Ministerium habe die Anforderungen für Hauptschulabschlüsse in anderen Ländern geprüft. Dabei sei festgestellt worden, dass die Anforderungen an den Hauptschulabschluss in Sachsen-Anhalt im bundesweiten Vergleich recht hoch seien.
"Mit der Maßnahme justiert das Ministerium für Bildung nach und nähert sich nun dem bundesdeutschen Schnitt an – natürlich unter Einhaltung der entsprechenden Standards", so Emig. Dabei beruft er sich auch auf mehrere Studien, etwa eine Studie der Bertelmann-Stiftung aus dem Jahr 2023. Demnach befindet sich das Kompetenzniveau der Absolvierenden in Sachsen-Anhalt im bundesdeutschen Mittel. "Kritik und Befürchtungen können daher nicht nachvollzogen werden.“
Das ist nötig für den Hauptschulabschluss
Die Erteilung von Schulabschlüssen ist in Sachsen-Anhalt mithilfe verschiedener Verordnungen geregelt. Dabei wird in der Sekundarstufe I zwischen Hauptschul-, qualifiziertem Hauptschul-, Realschul- und erweitertem Realschulabschluss unterschieden.
Für den Hauptschulabschluss ist der Besuch der 9. Klasse vorgeschrieben, Abschlussprüfungen gibt es nicht. Bei der theoretischen Versetzung in die 10. Klasse erhält jemand, der die Schule nach neun Jahren verlässt, also automatisch einen Hauptschulabschluss.
IHK-Bildungsakademie: "Problem wird in die Unternehmen verlagert"
Bei Vertretern aus Bildung, Politik und Wirtschaft sorgt der Beschluss des Bildungsministeriums derweil für erhebliche Kritik. Die Geschäftsführerin der IHK-Bildungsakademie Magdeburg, Stefanie Klemmt, sagte MDR SACHSEN-ANHALT am Montag, die Schere zwischen dem Wissen der Absolventen und den Anforderungen in den Ausbildungsberufen gehe immer weiter auseinander. Die Notenanforderung zu senken, ändere nichts an den Kompetenzen der Schulabsolventen. "Die Problemverlagerung in die Unternehmen bleibt bestehen."
Der Sprecher der Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände Sachsen-Anhalt, Jan Pasemann, sagte MDR SACHSEN-ANHALT: "Das kann nicht der Anspruch sein." Die Firmen seien seit ganz vielen Jahren der Reparaturbetrieb der Schule. Am Ende gehe es darum, so viel Unterricht wie möglich zu erteilen. Ähnlich äußerte sich der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Magdeburg, Burghard Grupe.
Auch die Bildungsgewerkschaft GEW kritisiert die Lockerung. GEW-Chefin Eva Gerth sagte dem MDR, statt Ansprüche zu senken, sollte die Förderung verbessert werden, damit die Wirtschaft am Ende mit den Schulabgängern etwas anfangen könne. Es brauche unter anderem eine bessere Unterrichtsversorgung.
FDP-Sprecher: "Dürfen Ausbildungsbetriebe nicht allein lassen"
Der bildungspolitische Sprecher der AfD-Landtagsfraktion, Hans-Thomas Tillschneider, spricht von einer bildungspolitischen Bankrotterklärung der Ministerin. "Das Qualifikationsniveau an unseren Schulen sinkt unaufhaltsam und dieser Umstand wird allenfalls mit einer billigen Noteninflation überdeckt."
Jörg Bernstein, bildungspolitischer Sprecher der FDP-Landtagsfraktion, sagte MDR SACHSEN-ANHALT, formale Abschlüsse seien das Eine. Entscheidend sei aber, das Niveau der Bildung zu sichern, durch praktische Erfahrungen die Lernmotivation zu steigern und so auch die Ausbildungsreife zu fördern. "Hier dürfen wir unsere Ausbildungsbetriebe nicht alleine lassen."
Das sagen Sachsen-Anhalterinnen und Sachsen-Anhalter zum Thema
Auf den Social-Media-Plattformen von MDR SACHSEN-ANHALT wird rege über das Thema diskutiert – so zum Beispiel auf Instagram:
- User "willy.smz" sagt: "Finde ich gut. So bekommen auch Schüler, die massive Probleme haben, einen Abschluss und können sich im System eingliedern. Hauptschüler werden eh schon genug von der Gesellschaft diffamiert."
- User "kastorfaber" findet: "Unsere Kinder lernen heute viel mehr, als früher (bis auf die Pandemie-Pause). Es gibt sogar in Hauptschulen und Realschulen Abschlussprüfungen. Dafür sind aber auch die Inhalte an der Berufsschule viel qualifizierter und anspruchsvoller. Mein Eindruck: Das Bildungsniveau sinkt nicht überall, die Ansprüche der Ausbildungen sind sehr gestiegen."
Auf Facebook äußern sich die Nutzerinnen und Nutzer beispielsweise so:
- Userin "Franziska Matthies" meint: "Anstatt die Bildungsqualität zu verbessern und dies schon bei der frühkindlichen Bildung (wie Sprachkitas) zu beginnen, werden Abschlüsse inflationär hinterher geworfen und Abschlussquoten schön gerechnet. Eine 5 in Deutsch oder Mathe? Sorry, diese Jugendlichen kann man in keinem Beruf gebrauchen. Wenn es Nebenfächer wären, okay, aber doch nicht solche Hauptfächer."
- User "Mario Platen" schreibt: "Nur weil die geneigten Schüler und deren Eltern nicht willig sind zu lernen beziehungsweise mit den Kindern zu lernen, sollte man die Anforderungen nicht herabsetzen. Ein grundsätzliches Maß an Eigeninitiative ist schon lange zu beobachten. (Wir sind nachfolgende Ausbilder.) Ausbaden müssen es sonst die Ausbildungsbetriebe."
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MDR (Jochen Müller, Susanne Liermann, Oliver Leiste, Kalina Bunk) | Erstmals veröffentlicht am 11.11.2024
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 11. November 2024 | 14:30 Uhr
Elko vor 4 Wochen
Unsere Bildungspolitik ist schon lange eine einzige Katastrophe inklusive Selbstbetrug. Seit Jahrzehnten werden alle Leistungsanforderungen nach unten korrigiert und es werden nur noch Kinder gefördert, die nicht lernen wollen oder können. Die Förderschulen, die dafür zuständig sind, wurden geschlossen. Mit fatalen Folgen für alle die wenigen Kinder, die noch gern lernen. Es wird Zeit, dass Leistung wieder zählt und das dies auch in den Standards zur Bewertung wieder Einzug hält, sonst nehmen wir weltweit den letzten Platz bei Vergleichen der Bildungsstandards ein.
dieja vor 4 Wochen
Die Lücken entstehen von der 1. Klsse an. Zensuren werden je nach Bundesland zu spät vergeben. Die Eltern und die Kinder wissen dann nicht wo sie stehen. Der Leistungsgedanke geht damit verloren. Projektwochen ,die meist nichts nutzen, hindern auch an der Stoffvermittlung u.s.w.
enomis.kundalini vor 4 Wochen
Na, das ist in Sachsen ebenso.
Ist aber auch bei anderen Schulabschlüssen ebenso.
Ein deutliches Indiz für den Niedergang von Bildung in diesem tollen Land.