Eltern in Not Magdeburger stemmen sich gegen die Kita-Krise

27. Mai 2022, 05:00 Uhr

Immer wieder müssen Kitas in Sachsen-Anhalt aus Personalnot die Öffnungszeiten reduzieren oder schließen – mit erheblichen Konsequenzen für Eltern, Kinder und Arbeitgeber. Eine Initiative aus Magdeburg versucht das zu ändern und fordert zeitnahe politische Maßnahmen.

Wenn man die Magdeburger Kita Wolkenschäfchen betritt, spürt man sofort: Hier arbeiten Menschen, denen die Kinder am Herzen liegen. Überall wird liebevoll zugehört, erklärt, getröstet, gelacht und entdeckt. Doch der schöne Schein trügt: Auch, wenn die engagierten Angestellten vieles auffangen, steckt die Kita Wolkenschäfchen, wie so viele andere Kitas in Deutschland, in einer Notlage: Es fehlt an Personal, der Regelbetrieb kann nicht durchgängig gewährleistet werden.

Daran ändert auch die kürzliche Einigung im Tarifstreit erst mal nichts. Besonders in Sachsen-Anhalt mit dem zweitschlechtesten Betreuungsschlüssel Deutschlands ist die Situation seit Jahren prekär. Lange Zeit haben die Mitarbeitenden versucht, das fehlende Personal durch Überstunden und Engagement auszugleichen. Doch nun geht es nicht mehr. Corona- und überlastungsbedingt kommen zusätzliche Ausfälle hinzu.

In Magdeburg betrifft das momentan im Schnitt zehn Prozent des Personals. In Einzelfällen ist von 50 bis 80 Prozent die Rede. Viele Kitas müssen ihre Öffnungszeiten reduzieren, auf Notbetreuung umschalten oder ganz schließen. Das hat dramatische Konsequenzen für Eltern, Kinder und auch für viele Arbeitgeber.

Die schweren Folgen der unsicheren Betreuungslage

Wenn die Kinderbetreuung nicht gesichert ist, bedeutet das für viele Eltern eine kleine Katastrophe: Stress mit dem Arbeitgeber, Stress in der Beziehung, Ausfall von Erholungszeiten und die ständige Sorge, ob es dem eigenen Kind gut geht. Auch für die Arbeitgeber hat es schwere Konsequenzen, wenn die Angestellten kurzfristig ausfallen, weil sie ihr Kind nicht betreuen können. Für kleine Handwerksbetriebe geht es dabei bisweilen sogar um die Existenz, weil Mitarbeiter, die wegen der Kinder tagelang wegbleiben müssen, nicht ausgeglichen werden können.

Josefine May erzählt: Das bedeutet die Kitanotlage für sie

Josefine May: Josefine May hat zwei Kinder, die in eine Kita des Bistums gehen. Sie sagt, in den letzten Monaten habe es massive Ausfallzeiten in ihrer Kita gegeben. Seit dem 15. November 2021 habe sie sich 48 Tage notiert, in denen sie ihre Kinder erst später in die Kita bringen und eine Stunde früher abholen müsste. Das sorge für große Probleme.

Sie und ihr Mann seien beide berufstätig, der Druck sei enorm. Urlaubstage, Babysitter und Familie und Freunde seien nötig gewesen, um die Ausfälle irgendwie auszugleichen. Die Kollegen seien verständnisvoll, aber alles andere als begeistert, ihre durch die Kitaausfälle verkürzten Arbeitszeiten auffangen zu müssen. Ihr selbst fehle durch den Stress die Zeit zur Erholung, für andere Aufgaben und letztlich auch für die Kinder.

"Meine Tochter sagte letztens erst zu mir: "Ihr habt immer gar keine Zeit für mich." Das hat mir auch noch einmal die Augen geöffnet. Ja, wir haben dadurch einfach wenig Zeit."

Gründe dafür sieht sie in einem erheblichen Personalmangel, zum Teil aber auch in der Kommunikation ihrer Kita. Sie findet, zusätzlich zu einem höheren Personalschlüssel brauche es mehr Springerkräfte, die krankes Personal ausgleichen könnten. Nur dann könne ausreichend auf den unterschiedlichen Bedarf der Kinder und Eltern reagiert werden. Stattdessen herrsche in der Kita gerade eher ein Aufbewahrungszustand, und nicht einmal der sei gewährleistet.

Josefine May hofft, dass die kürzlich gegründete Initiative "Runder Tisch Magdeburger Kind" dazu beiträgt, dass sich die Zustände in den Kitas verbessern und das Personal besser honoriert und entlastet wird. Dazu wünscht sie sich neben politischen Maßnahmen funktionierende Konzepte, die die Träger, Jugendämter und Leitungen entwickeln. Im Moment seien es immer die Kinder, die als erstes litten. Das dürfe nicht sein.

Eva erzählt: Das bedeutet die Kita-Notlage für sie

Eva hat zwei Kinder, die in die Kita gehen. Sie erzählt, ihre Kinder haben besonders in der Coronazeit gelitten, als die Kita teilweise ein bis zwei Monate am Stück ausgefallen sei. Es sei zu Konflikten mit der Arbeit gekommen, vor allem aber hätten die Kinder unter der Situation leiden müssen. Ihnen hätten soziale Kontakte und die Aktivitäten im Kindergarten gefehlt und auch Kontinuität in den Bezugspersonen. Monatelange Eingewöhnung, immer wieder Unterbrechungen, ständige Ungewissheit.

Eva sagt, es brauche dringend mehr Kitapersonal. Dazu müsse man den Beruf Erzieher und die Ausbildungswege attraktiver gestalten und politisch besser auf die Belange der Kinder, Eltern und Kitas eingehen. Außerdem müsse man dem Beruf mehr Wertschätzung entgegenbringen, auch in Form einer besseren Bezahlung. Sie glaubt, dass sich dann mehr Menschen für den Beruf entscheiden würden.

Zum Abschluss sagt Eva: "Es muss ein Umdenken stattfinden, denn die Kinder sind unsere Zukunft! Da muss viel mehr Förderung reinfließen!"

"Runder Tisch Magdeburger Kind" fordert Lösungen

Andrea Kleinbauer weiß ganz genau, wie sehr die Ausfälle Kinder, Eltern und Arbeitgeber treffen. Auch das Personal leide sehr unter der Situation, erklärt die Leiterin der Kita Wolkenschäfchen. Viele engagierte Kräfte drohten auszubrennen, im Versuch, Ausfälle zu kompensieren und trotz der schwierigen Bedingungen für die Kinder da zu sein und ihnen irgendwie einen schönen Tag zu machen. Die würden dann langfristig fehlen. Dabei bräuchten die Kinder gerade jetzt, nach der langen Isolation, Nähe, Aufmerksamkeit, Fürsorge und auch frühkindliche Bildungsangebote.

Um die Situation zu verbessern, hat sie den "Runden Tisch Magdeburger Kind" ins Leben gerufen. Eine Initiative, die gemeinsam mit Eltern und Arbeitgebern Lösungen von der Politik fordert. 1000 Leute haben die Petition der Initiative bereits unterschrieben. Andrea Kleinbauer sagt, akut sei es am wichtigsten, schnell kompetentes Personal in den Kitabetrieb zu bekommen, die Betreuungsschlüssel zu erhöhen und so verlässliche Öffnungszeiten der Kitas zu gewährleisten. Das große Problem dabei ist: Der Fachkräftemarkt ist derzeit leergefegt. Andrea Kleinbauer fordert politische Schritte, um das zu ändern.

Zum einen müsse die Ausbildung und der Beruf attraktiver gemacht werden. Unter anderem durch mehr Wertschätzung, bessere Bezahlung, praxisnähere Ausbildungswege und verkürzte Ausbildungszeiten.

Zum anderen müsse der Quereinstieg in den Beruf erleichtert werden. Kitas bräuchten eigentlich auch Musiker, Sportler, Handwerker, Künstler und andere Menschen mit pädagogischer Ausbildung, die den Kindern neue Welten eröffnen könnten. Dazu brauche es unter anderem einen bundeseinheitlichen Betreuungsschlüssel, also auch bundespolitische Maßnahmen.

Kindergarten: Wurzeln fürs Leben statt Massenaufbewahrung

Langfristig wünscht sich Frau Kleinbauer, dass sich das Verständnis von Kita insgesamt verändert. "Wir müssen dahinkommen, dass wir als Gesellschaft Kitas weniger als reinen Ort der Betreuung begreifen sondern im wahrsten Sinne des Wortes als einen Kindergarten: Ein bunter Ort, mit unterschiedlichsten Blumen, die in unterschiedlichster Weise zu unterschiedlichsten Zeitpunkten blühen. An dem man wachsen kann, der Sonne braucht und Regen und immer auch mal ein Gärtner, der für Schatten sorgt und vielleicht auch noch einmal mit der Gießkanne darüber gießt, wenn es nicht genügend geregnet hat."

Nur Kinder, die Lernfreude haben, die Sachen ausprobieren wollen und Freude haben, werden in der Schule und vor allem im Leben Erfolg haben und Lust haben, sich mit Themen zu beschäftigen, die wir als Gesellschaft brauchen. Und diese Wurzeln werden in der Kita gelegt.

Andrea Kleinbauer, Leiterin Kita Wolkenschäfchen

Andrea Kleinbauer meint, dazu brauche es Konzepte für Chancengleichheit in der Bildung und Menschen, die den Kindern etwas zu erzählen hätten, die sie begeistern und mitnehmen könnten, und vor Allem brauche es Herzenswärme und Zeit. Sie wünscht sich kleinere Gruppen und noch buntere Teams an Pädagogen. "Das brauchen wir, um die Kinder stark zu machen, damit sie lernen, Durchhaltevermögen zu entwickeln, gemeinsam Probleme zu lösen und gemeinsam in ihrer Viefalt miteinander zu leben und ihre unterschiedlichen Interessen und stärken zu fördern."

Magdeburger Stadtverwaltung begrüßt Engagement und nimmt das Land in die Pflicht

Ein Plexiglasschild neben einer Eingangstür weist auf das Alte Rathaus in Magdeburg hin.
Die Stadt Magdeburg begrüßt das Engagment des "Runden Tischs Kita" Bildrechte: MDR/Michael Rosebrock

Die Magdeburger Stadtverwaltung zeigt großes Verständnis für die Notlage der Kitas. Auf Anfrage des MDR SACHSEN–ANHALT hieß es: "Dass Eltern und pädagogische Fachkräfte Engagement zeigen und sich gemeinsam für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen in Kitas stark machen, ist ausdrücklich zu begrüßen." Die Forderungen seien größtenteils nachvollziehbar, insbesondere die Forderung nach mehr Personal.

Magdeburg investiere bereits an vielen Stellen in die Kindertagesbetreuung und treffe zahlreiche Maßnahmen zur Steigerung von Kapazitäten und Qualität, aber eine Kommune alleine könne den finanziellen Mehrbedarf nicht stemmen. Daher sei es bedauerlich, dass der "Runde Tisch" das Land, welches erheblich zur Qualitätssteigerung beitragen könne, in den Forderungen außen vor ließe.

Um die Situation zu verbessern, sei eine nachhaltige Verbesserung der Rahmenbedingungen für alle Kitas im Land wünschenswert. Dazu müsse das Land Sachsen-Anhalt mit seiner Gesetzgebungskompetenz einbezogen werden. Aktuell sei ein guter Zeitpunkt, um mit allen Beteiligten auf Kommunal- und Landesebene ins Gespräch zu kommen, weil gerade das "Gute-Kita-Gesetz" evaluiert werde und bis Ende 2022 Bundesmittel bereitstünden.

Abschließend hieß es, die weitere Ausgestaltung von Maßnahmen zur Verbesserung der Qualität solle in einem gemeinsamen Dialog erfolgen. Die Landeshauptstadt Magdeburg erkläre sich dazu gerne bereit.

Land Sachsen-Anhalt versucht, Personal zu gewinnen

Das Sozialministerium des Landes Sachsen-Anhalt sagte, die aktuelle Herausforderung bestehe insbesondere in der Gewinnung und Qualifizierung von Fachkräften Auf Nachfrage des MDR SACHSEN-ANHALT hieß es, im Rahmen des Gute-Kita Gesetzes vom Bund arbeite man daran, die Fachkräftesicherung und -gewinnung auch in den nächsten Jahren abzusichern. Zu den Maßnahmen gehörten:

  • Erhöhung der Ausbildungsattraktivität durch Schuldgeldfreiheit.
  • Angebot einer praxisintegrierten Ausbildung, um mehr Auszubildende, insbesondere Quereinsteiger, zu gewinnen.
  • Es sollen mehr Menschen für den Quereinstieg gewonnen werden. Dafür sollen Praktika für Quereinsteiger finanziert werden.

Zudem fördere das Land aus Mitteln des Gute-Kita-Gesetzes zusätzliche Fachkräfte, um die Qualität zu verbessern und die Teilhabe aller Kinder zu sichern. Gespräche mit allen Beteiligten würden regelmäßig geführt. Dazu sei man auch weiterhin bereit.

Über den Autor Leonard Schubert arbeitet seit Februar 2020 für MDR SACHSEN-ANHALT. Seine Interessensschwerpunkte sind Politik, Umwelt und Gesellschaft. Erste journalistische Erfahrungen sammelte er beim Charles Coleman Verlag, für das Outdoormagazin Walden und beim ZDF.

Nebenher arbeitet er an seinem Masterabschluss in Friedens- und Konfliktforschung. Über den Umweg Leipzig kam der gebürtige Kölner 2016 nach Magdeburg, wo er besonders gern im Stadtpark unterwegs ist. In seiner Freizeit steht er mit großer Leidenschaft auf den Poetryslambühnen Sachsen-Anhalts paddelt, wandert und radelt durch die Natur oder besucht Kulturveranstaltungen verschiedenster Art.

MDR (Leonard Schubert)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 27. Mai 2022 | 07:30 Uhr

2 Kommentare

Sevotharte am 28.05.2022

Ja es steht wirklich schlecht um viele Kitas. Das haben diese aber auch manche Konzeptionen zu verdanken. Und was ich sehr Besorgnis erregend finde, ist das sogar Integrationskinder der Kita verwiesen werden bis hin zur Drängung, dass eigene Kind abzumelden, da es eine zu hohe Belastung darstellt. Leider mussten wir das selbst erfahren und wurden dann zwar vom Jugendamt unterstützt, was uns nicht viel geholfen hat. Nun sind wir schon seit einem 3/4 Jahr Zuhause.
Manche Kitas sollten generell ihr Konzept und auch ihre Mitarbeiter überdenken. Ich selbst habe mich jahrelang in der Kita eingebracht (Kuratorium, Stadtelternrat...) Aber irgendwann war auch bei mir Feierabend mit ich springe jedesmal aber wenn man etwas möchte von der Kita, dann geht es nicht.

Da muss dringend mehr Elternarbeit erfolgen in den Kitas. Nur Menschen die reden, kann geholfen werden.

Elsburg am 27.05.2022

Es ist schlicht voll zum kotzen,wie völlig unverfrohren auf ~ALLEN Ebenen~ Politik+Verwaltungen nix wirksam >ECHT gewährleistet< wird,endl diesem jahrelangen,EWIGEN völlig gesetzwidrigen, ja absolut verfassungswidrigem Verweigern,das Gesetz gehörig ~auch tatsächl~ durchzuführen +inhaltl DAUERHAFT voll zu GARANTIEREN!

Dazu drastische Strafsanktionen gleich ins Gesetz (auch finanziell,zB: ~25% Bezüge aller Entscheider kürzen bis Kita-Vollversorgung gewährleistet IST,dh bei Landtag ALLE MdL-Diäten,wenn HH-Titel unzureichend bzgl Ausbildung+Einstellung!Allen NICHT-Entscheidern muß's endlich gehörig weh tun!

Ki können sich nicht wehren,haben polit. no'Stimme-aber Politiker,alte Pesionäre+Rentner kriegen Hals vollgestopft,auch f.Kita-Garantiegesetze gesorgt zu haben)].

Unterlegen gleich dazu:
Was muß wem passieren,wenn (weiterhin) nix Gesetz-Ziel erfüllendes passiert-zB bzgl Aus~,Fortbildung+Einstellungen incl.min.25% Personalreserve ~Überbesetzungen als "Garantie-Rücklage/-Reserve]!
Auf!

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