Goethestraße Fahrradstraße in Magdeburg im Selbsttest: Die Probleme bleiben

18. September 2019, 17:47 Uhr

Neue Verkehrsregeln in Magdeburg: Zum ersten Mal ist in der Landeshauptstadt eine Straße in eine Fahrradstraße umgewandelt worden. Autos dürfen hier zwar weiterhin lang, aber nun sind sie Gäste. Funktioniert die Umstellung und fährt es sich als Radfahrer in der Fahrradstraße nun besser? MDR SACHSEN-ANHALT-Reporter Leonard Schubert hat es getestet.

Leonard Schubert
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Die Goethestraße in Magdeburg-Stadtfeld ist für mich ohne Frage eine der schönsten Straßen der Landeshauptstadt: In zwei Einbahnstraßen aufgeteilt, führt sie entlang der kleinen Schrote, umringt von Bäumen wie in einer Allee, dazwischen kleine Parks. Der Weg führt vorbei an einem Kinderspielplatz, vielen kleinen Läden sowie Cafés. Wer es hier nicht eilig hat, hat es gut.

Wer hier als Radfahrer lang muss, braucht mitunter gute Nerven. Denn die Goethestraße wird natürlich hauptsächlich von den Anwohnern genutzt. An allen Fahrbahnrändern stehen die Autos wie an einer Perlenkette aneinander geparkt. Die zahlreichen Kreuzungen – sieben je Richtung auf einer Länge von gerade einmal 900 Metern – sind mitunter schwer einsehbar. Zu 80 Prozent gilt hier "rechts vor links". An ein gemütliches und sicheres Entlangradeln ist da nicht zu denken. Da die Straße wegen der Parksituation auch nicht sehr breit ist, verschärften Überholmanöver einiger Pkw-Fahrer zuletzt dieses Gefühl.

Radfahrer haben jetzt Vorrang! – Oder?

Aber nun soll alles anders sein, hoffe ich zumindest: Seit Mittwochvormittag ist die Goethestraße offiziell eine Straße für uns Radfahrer, Autos sind nur noch Gäste. "Fahrradstraße" steht auf den Schildern, vorher hingen hier Hinweise auf die "30er-Zone". Die ist es nun weiterhin. Auch dafür stehen die "Fahrradstraßen"-Hinweise, die auch als Sticker auf die Fahrbahn geklebt wurden. Fährt es sich nun besser mit dem Rad? – Helm auf, los geht's.

Die ersten Meter, ein leichtes Gefühl von Freiheit kommt auf. Endlich habe ich mal Vorfahrt. So sehen es zumindest die Fahrradstraßen-Regeln vor. Aber die Ernüchterung kommt schon nach Sekunden: Die Goethestraße ist weiterhin vollgeparkt. Selbst wenn hier Radfahrer nun nebeneinander fahren dürfen – mein prüfender Blick auf jedes einzelne Auto bleibt, ob nicht doch eine Tür aufspringt oder ein Kind zwischen den Fahrzeugen auf die Straße läuft. Ich traue dem Frieden nicht.

100 Prozent "rechts vor links"

Vierte Kreuzung, zum vierten Mal "rechts vor links", das ist hier jetzt übrigens einheitlich. Wieder schaue ich misstrauisch zur Straßenecke. Von links quert ein Pkw die Schrote, fährt auf die Kreuzung zu und ich merke schon am Fahrstil: Das mit dem "rechts vor links" wird gleich nicht funktionieren. Ich bremse ab. Das Auto fährt unbeirrt weiter.

Kehrtwende am Europaring, nun geht es auf der Gegenseite zurück. Ich bin nicht allein. Hinter mich hat sich ein Umzugswagen gesetzt. Und der hat es eilig. Das lässt er mich spüren. Der Wagen fährt dicht auf, ich höre die Ungeduld am Motorsound. Der Fahrer spielt schon mit dem Gaspedal. Er signalisiert mir: "Du bist im Weg". Die Schilder signalisieren: Das ist jetzt meine Straße. Eigentlich. Und auch auf "meiner" Fahrradstraße dürfte er überholen – doch dafür reicht die Breite der Fahrbahn nicht aus. Dafür kann ich nichts. Ergebnis: Der Umzugswagen bleibt mir im Nacken. Entspanntes Radfahren sieht wirklich anders aus.

Wie ist die Fahrradstraßen-Situation in Halle?

Die erste Fahrradstraße in Halle ist schon 2001 eingerichtet worden – wahrscheinlich als eine der ersten in Sachsen-Anhalt. Als Grund nannte die Stadt, dass mit der Fahrradnovelle aus dem Jahr 2000 nun Straßen mit besonderer Bedeutung für den Radverkehr auf der gesamten Fahrbahnbreite Radweg sein können. Bis ins Jahr 2019 sind insgesamt sechs weitere Straßen dazugekommen. Oft machen sie jedoch lediglich kurze Abschnitte von einigen hundert Metern aus. Die Fahrradstraßen bilden nur einen sehr kleinen Teil des Radverkehrskonzeptes der Stadt.

Von 1995 bis 2018 ist das Radwegenetz von knapp 40 Kilometer auf rund 110 Kilometer angewachsen. Die Stadt richtet Zukunftswerkstätten aus – zuletzt im August 2019, um Chancen und Entwicklungen des Radverkehrs in Halle auszuloten. Sie hat ein Radfahrportal auf der Webseite der Stadt eingerichtet, wo alle Informationen rund um das Thema gebündelt werden. Und regelmäßig werden "Runde Tische Radverkehr" mit Vertretern der Stadt, des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC), der Polizei und der Halleschen Verkehrs-AG (HAVAG) abgehalten.

Insgesamt scheinen die Bürger der Stadt mit den Radfahrmöglichkeiten zufrieden zu sein. Bei einer Umfrage des ADFC aus dem Jahr 2016, wie fahrradfreundlich Halle eingeschätzt wird, wird besonders geschätzt, dass viele Einbahnstraßen von Radfahrern genutzt werden können und dass das Stadtzentrum gut zu erreichen sei und insgesamt man auf dem Rad zügig vorankomme. Bemängelt wird hingegen, dass der Winterdienst selten Radwege beräume und es kaum Kontrollen von Falschparkern auf Radwegen gebe.

Wie ist die Fahrradstraßen-Situation in Dessau?

Die Fahrradstraßen in Dessau-Roßlau liegen abseits der viel befahrenen Verkehrsadern. Die Georgenallee etwa ist in dem Teil, wo sie Fahrradstraße ist, eine eher weniger befahrene Straße entlang des Landschaftsparks "Georgengarten". Die Walderseestraße ist eine schmale Straße in Randlage der Stadt, die zu einem Ausflugslokal führt und am Schillerpark ist es ähnlich. Autofahrer müssen hier 30 fahren, Radfahrer bestimmen in jedem Fall das Tempo, dürfen gemäß der Regeln nebeneinander fahren.

Der ADFC kritisiert, dass die Streckenabschnitte der ausgewiesenen Fahrradstraßen zu kurz sind. Zumindest am Schillerpark und in der Georgenallee. Denn nicht die komplette Straße ist Fahrradstraße. Wie viele Fahrradfahrer hier tatsächlich nebeneinander fahren, lässt sich nicht sagen.

Das Fazit: Ernüchterung

Schade eigentlich, denke ich. Diese Fahrradrunde fühlt sich an wie immer. Mehr Sicherheitsgefühl? – Nein. Bessere Übersichtlichkeit? – Nein. Schnelleres Vorankommen? – Auch nicht. Dabei weiß ich aus eigener Erfahrung, dass so eine Fahrradstraße wirklich funktionieren kann. In Kiel gibt es eine Fahrradstraße, ebenfalls in der Innenstadt, auf der es sich wirklich gut fährt. Wir Radfahrer haben fast durchgehend Vorfahrt. Zwar parken dort trotzdem Autos, für sie gibt es aber zusätzlich noch eine parallel verlaufende Straße. Und: Hier hat sich das Prinzip schon eingespielt. Vielleicht braucht Magdeburg noch etwas Zeit zum Eingewöhnen. Denn eigentlich gefällt mir die Idee der Fahrradstraße.

Ich bin zurück am Ausgangspunkt, wo die Goethestraße von der Olvenstedter Straße abzweigt. Ein großer Banner weist auf die neue Fahrradstraße hin und erklärt: "Autos sind Gäste", "Maximal Tempo 30" sowie "Fahrräder dürfen nebeneinander fahren". Vor dem Schild steht ein älterer Herr mit grauer Schirmmütze. Aufmerksam betrachtet er die Hinweise und schüttelt den Kopf. "Nix Neues", murmelt er. Schließlich gelte immer Paragraph eins der Straßenverkehrsordnung. "Die Teilnahme am Straßenverkehr erfordert ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht." Stimmt, daran ändern auch neue Schilder nichts.

Leonard Schubert
Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Über den Autor Leonard Schubert arbeitet als Praktikant in der Online-Redaktion von MDR SACHSEN-ANHALT. Themen aus Politik, Umwelt und Gesellschaft interessieren ihn besonders. Erste journalistische Erfahrungen sammelte er beim Charles Coleman Verlag, für das Outdoormagazin Walden und beim ZDF. Neben seinem Praktikum arbeitet er an seinem Masterabschluss in Friedens- und Konfliktforschung. Über den Umweg Leipzig kam der gebürtige Kölner 2016 nach Magdeburg, wo er besonders gern im Stadtpark unterwegs ist. In seiner Freizeit steht er mit großer Leidenschaft auf den Poetryslambühnen Sachsen-Anhalts oder sitzt mit einem Eisbärbier am Lagerfeuer, irgendwo in Skandinavien.

Quelle: MDR/ap

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 18. September 2019 | 12:00 Uhr

4 Kommentare

MeineMeinung am 19.09.2019

Im Moment herrscht in der Goethestraße noch große Verunsicherung. Ich bin hier regelmäßig sowohl mit dem Fahrrad als auch mit dem Auto unterwegs. Fahrräder, Roller, Skateboards fahren nun wie sie wollen. 30km/h sind hier eh nicht möglich und wenn Autofahrer darunter bleiben, werden sie nun von den Radfahrern überholt. "Klasse" Konzept für eine vielbefahrene Straße. Dazu kommt noch die extreme Unsicherheit bei Radfahrern (u.a.) und Autofahrern, die zudem an einer Kreuzung eine veränderte Vorfahrtsregelung vorfinden und bei dem derzeitigen Schilderwald überhaupt nicht mehr wissen, wer zuerst fahren darf. Ich warte auf die ersten Unfälle an dieser Kreuzung. Selbst habe ich allein heute 3 brenzlige Situationen erlebt. Vielen Dank für die ausreichende Vorbereitung auf diese "Fahrradstraße".

Nordharzer am 19.09.2019

Muss man jetzt an jedem Gehweg ein Schild aufhängen, dass Fußgänger Vorrang haben? Ich bin neulich auf einem schmalen Gehweg von einem Radfahrer bedroht worden, der meiner Frau und mir entgegen kam und anhalten musste. Radfahrer haben in der überwiegenden Zahl kein Unrechtsbewußtsein.

Denkschnecke am 19.09.2019

Vermutlich müssen wirklich alle beteiligten noch den Umgang mit einer Fahrradstraße lernen. Aber die geschilderten Erfahrungen sind stimmig mit dem, was man als Radfahrer in anderen engen Straßen erlebt. Erst vor einer Woche an ähnlicher Stelle bei gut 5 m lichter Breite und Tempo 30: Ich fahre mit 26 km/h und ziemlich exakt 1,5 m Abstand zu den parkenden Autos. Hinter mir ein ungeduldiger Kleinwagen, der mich bei erster Gelegenheit mit weniger als 50 cm Abstand überholt. Nachdem ich ihn auf seinem Parkplatz zur Rede stelle (wo er plötzlich wieder gaaanz viel Zeit hatte): "Sie hätten ja mal weiter rechts fahren können!" (Kleine Kopfrechenhilfe: Autobreite 1,80 m + Lenkerbreite 0,7 m +2x 1,50 m macht, na?)

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