Viertel in Magdeburg "Toller Stadtteil, mieses Image": Der Kampf der Neuen Neustadt in Magdeburg
Hauptinhalt
05. August 2020, 19:22 Uhr
Der Stadtteil Neue Neustadt in Magdeburg hat den Ruf eines sozialen Brennpunkts. Während häufig Probleme im Fokus der Aufmerksamkeit stehen, gibt es überall im Stadtteil Projekte, die für eine bessere Zukunft kämpfen. Ein Besuch bei Menschen, die sich gegen das Image als "Problemstadtteil" wehren.
Immer wieder steht die Neue Neustadt in Magdeburg mit negativen Schlagzeilen als "Problemviertel" im Rampenlicht der öffentlichen Aufmerksamkeit. Da ist von SEK-Einsätzen, Corona-Hotspots, Vermüllung und Ghettobildung die Rede. Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper bezeichnete den Stadtteil erst kürzlich als sozialen Brennpunkt.
"Dieses Bild wird der Neuen Neustadt überhaupt nicht gerecht!", sagen viele Engagierte und Kulturschaffende vor Ort, die für die positive Gestaltung ihres Stadtteils kämpfen. In ihren Augen ist die Neue Neustadt eine Hochburg vielfältiger Projekte, mit Anziehungskraft weit über die Stadtgrenzen hinaus. Der Stadtteil erlebe eine ungeheuer positive Entwicklung. Darüber werde nur zu wenig gesprochen.
Hochburg der Kultur
Christoph Hackel, seit 20 Jahren Geschäftsführer und Programmdirektor des Kulturzentrums Moritzhof in der neuen Neustadt, sieht das ähnlich. "Zwischen der Urania, dem Studiokino, dem Outlaw, der Gedenkstätte Moritzplatz, oder dem Jugendhaus Knast gibt es hier so viele und so verschiedene Angebote, die sich andere Stadtteile wahrscheinlich wünschen würden. Und wir als Moritzhof machen auch seit langer Zeit Programm, das unterschiedlichste Menschen anlockt und das in seiner Form einzigartig in der Stadt ist."
Lars Johansen, der sich etwa als Künstler, Stadtteilbeirat oder Vorsitzender im Moritzhof auf vielfältige Weise in der neuen Neustadt engagiert, ergänzt: Es gebe z.B. den interkulturellen Garten, in dem viel angebaut und kommuniziert werde, die Villa Wertvoll mit neuen Ansätzen aus der Hip-Hop Kultur, die Soap-Opera "Magdeburg Moritzplatz", die einen starken integrativen Moment in sich trage, den Geheimclub mit einer großen, eigenen Szene, und vieles mehr.
Für die verschiedenen Veranstaltungen würden auch Menschen aus anderen Städten anreisen, sie seien weit über die Neue Neustadt hinaus beliebt.
Zudem habe der Stadtteil beste Vorausetzungen, neues Künstlerquartier zu werden: Die Mietpreise seien günstiger als beispielsweise in Buckau, der Stadtteil gut gelegen.
Zudem betont Johansen, gebe es nicht nur Kultur oder ärmere Straßenzüge, sondern auch reiche Teile in der Neuen Neustadt, in denen Villen und teure Neubauten stünden und Investitionen getätigt würden. Die Menschen seien immer wieder überrascht, wenn sie erführen, wie viele der Magdeburger Leuchtturmprojekte eigentlich in der neuen Neustadt lägen. Da sei viel Kommunikationsarbeit nötig.
Multikulturalität- Herausforderung und Potential zugleich
Christoph Hackel erzählt, er sei regelmäßig erschrocken über die negative Außenwahrnehmung, weil er selber den Stadtteil so positiv wahrnehme.
Lars Johansen stimmt zu. Natürlich gebe es hier manchmal auch Schwierigkeiten und Probleme, das wolle er gar nicht wegreden oder jemandem absprechen, sagt Johansen. Trotzdem kann er sich der "Stiliserung der Neuen Neustadt zum Ghetto und Slum Magdeburgs" überhaupt nicht anschließen. Die Neue Neustadt werde oft reduziert auf zwei bis drei Straßenzüge, und auch das zu undifferenziert. Der Stadtteil sei mehr als der Umfassungsweg.
Johansen findet: "Dieser Stadtteil ist etwas besonderes. Er ist mit Sicherheit vergleichsweise multikulturell und ein bisschen anders auch als der Rest Magdeburgs. Das ist für viele noch ungewohnt und natürlich gibt es hier auch Probleme. Aber wir merken eben verstärkt auch, dass man das als Bereicherung sehen kann."
Kunst als Kommunikationsmedium
Jemand, der an der Verbesserung der multikulturellen Kommunikation in der Neuen Neustadt arbeitet, ist Sandy Gärtner. Sie ist Projektleiterin des Bundesmodellprojekts "Neustadt Utopolis", das den Ansatz verfolgt, Kunst- und Kulturangebote zu nutzen, um Menschen verschiedenster Altersstufen und kultureller Hintergründe in Kontakt zu bringen und Begegnungen entstehen zu lassen. Sandy Gärtner berichtet von einem starken Zusammenhalt in der Neuen Neustadt, der sich in der Coronazeit durch Aktionen wie die Nachbarschaftshilfe "Moritz hilft!" sogar noch gefestigt habe.
"Wir haben seit Anfang 2019 daran gearbeitet, hier Menschen in Kontakt zu bringen und erstmal Vertrauen aufzubauen. Das hat ein Jahr gedauert, aber das ist jetzt da, die Kommunikation funktioniert. Wir würden uns da auch manchmal wünschen, dass die Stadt bei Problemen öfter auf uns als "emotionalen Übersetzer" zurückgreift und das nutzt." sagt Gärtner.
Kommunikation der Stadt
Auch Lars Johansen und Christoph Hackel wünschen sich manchmal bessere Kommunikation von Seiten der Stadt. Es sei unempathisch, wenn Lutz Trümper, der Oberbürgermeister, über "Die Neue Neustadt" als Problemzone spreche. Das zeige, dass man eine Menge Arbeit zu leisten habe.
Aber wenn man das tut, ist dieser Stadtteil so vielfältig, so interessant für zukünftige Geschichten, dass ich glaube, dass einer der Zukunftsorte Magdeburgs, nicht nur durch die Bewohnerzusammensetzung, sondern auch durch das soziale Umfeld, tatsächlich hier ist.
Eigentlich sei dazu schon alles da, was es brauche. Man müsse es nur in den Vordergrund rücken und nutzen. Sie wünschen sich, dass auch die Stadt Signale setze, um die Neustadt weiter zu stärken. "Gelder für Projekte wie das Freiraumlabor am Breiten Weg könnten z.B. auch in der Neuen Neustadt investiert werden, und hier ein besonderes Kulturlabor entstehen", finden sie.
Quartiersmanagerin und Geschäftsstraßenmanagerin leisten Vernetzungsarbeit
Einen großen Beitrag zur Zusammenarbeit zwischen Anwohnern, Kulturschaffenden, Geschäfttreibenden und der Stadt leisten die Quartiersmanagerin Franziska Müller und die Geschäftsstraßenmanagerin Juliane Salt. Beide sind erst seit wenigen Monaten im Amt, wurden aber von vielen Seiten ausdrücklich gelobt. Obwohl sich ihre Aufgaben unterscheiden, leisten beide viel Vernetzungsarbeit. Sie sammeln die Anliegen der Anwohner und der Geschäftsinhaber, stellen Projekte auf die Beine und fungieren als Sprachrohr zwischen den Menschen und der Stadtverwaltung.
Juliane Salt findet, dass die Neue Neustadt viel besser ist, als ihr Ruf. An dem seien auch die Medien schuld, weshalb sie einen Fokus ihrer Stelle auf Image- und Öffentlichkeitsarbeit legen möchte. Auch die Zusammenarbeit von Bürgern, Stadt und Ordnungsamt wurde vor einigen Jahren durch die Eröffnung des Neustadtladens gestärkt und aufrechterhalten. Ansonsten arbeitet sie an Konzepten, wie die Aufenthaltsqualität in der Lübecker-Straße verbessert werden soll und tüftelt mit ansäßigen Gewerben an Lösungen für bestehende Probleme. Dabei helfen soll ein 15.000 € schwerer Fond der Stadt, der für Investitionen in die Geschäftsstraße (hauptsächlich Lübecker-Straße) genutzt werden kann.
Obwohl es noch vieles zu tun gibt und wegen Corona einiges ausfallen musste, ist Juliane Salt schon jetzt sichtlich begeistert von der neuen Neustadt. Bei einem Rundgang bleibt sie immer wieder stehen, zeigt auf verschiedene Projekte und Läden, und berichtet begeistert. Sie sieht in dem bunten Mix, der den Stadtteil prägt, ganz klar eine Bereicherung.
Über den Autor
Leonard Schubert arbeitet seit Februar 2020 in der Online-Redaktion von MDR SACHSEN-ANHALT. Seine Interessensschwerpunkte sind Politik, Umwelt und Gesellschaft. Erste journalistische Erfahrungen sammelte er beim Charles Coleman Verlag, für das Outdoormagazin Walden und beim ZDF.
Nebenher arbeitet er an seinem Masterabschluss in Friedens- und Konfliktforschung. Über den Umweg Leipzig kam der gebürtige Kölner 2016 nach Magdeburg, wo er besonders gern im Stadtpark unterwegs ist. In seiner Freizeit steht er mit großer Leidenschaft auf den Poetryslambühnen Sachsen-Anhalts oder sitzt mit einem Eisbärbier am Lagerfeuer, irgendwo in Skandinavien.
Quelle: MDR/ls
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 07. August 2020 | 17:30 Uhr
Wahrsager am 07.08.2020
Für einen , der noch nie dort war klingt es bunt wie eine Mischung aus Dresdner Neustadt, Connewitz und Neukölln. Kann man mögen, muss man aber nicht. Mein primäres Reiseziel wird's wohl nicht werden.
Heike1986 am 07.08.2020
"Leider haben sie den Ernst der Lage nicht begriffen. "
Aber was habe ich daran denn nicht verstanden? Was solle der Ernst der Lage sein? Das Menschen aus einem anderen Land in ein Stadteil gezogen sind, die auch einige andere Gewohnheiten haben, wie z.B. anders Sperrmüll herausstellen, länger wach bleiben, lauter kommunizieren, mehr Zeit draußen verbringen, lachen etc. Diese in ihrer Gesamtheit doch unbedeute Dinge stellen Ihrer Meinung nach einen Grund dar, die Lage als "ernst" zu bezeichnen? Wenn dem so sei, dann haben wohl eher Sie überhaupt nichts von dem Leben in unserer Welt begriffen...
Heike1986 am 07.08.2020
Hallo Frau Wybrands,
ich hoffen, dass die Menschen, die jetzt die Initiativen ignorieren in Zukunft offener und ereichbarer werden. Ich kann Ihnen von mir und meinem Umfeld sagen, dass wir den sozial, gesellschaftlich und politisch engagierten Menschen wie Ihnen sehr dankbar sind und Ihre Arbeit sehr schätzen. Ich glaube sehr fest daran, dass diese sehr negativen, oft auch fremdenfreindlichen Meinungen, wie hier auch teilweise im Forum zu lesen sind, nur von einer kleinen, laut schreienden Zahl kleingeistiger Menschen sind.