Rund ein Drittel aller Schülerinnen und Schülerinnen und Schüler in Sachsen-Anhalt hat psychische Probleme. Grund dafür ist unter anderem ein hoher Leistungsdruck. Nun soll ein Präventionsprogramm helfen, die Situation zu verbessern.
Rund ein Drittel aller Schülerinnen und Schüler in Sachsen-Anhalt haben psychische Probleme. Grund dafür ist unter anderem ein hoher Leistungsdruck. Nun soll ein Präventionsprogramm helfen, die Situation zu verbessern. Bildrechte: picture alliance / Hauke-Christian Dittrich | Hauke-Christian Dittrich

Studierende schreiben für den MDR Viel Druck, wenig Unterstützung: Was Schüler in Sachsen-Anhalt belastet

11. März 2024, 09:03 Uhr

Die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ist seit der Corona Pandemie zu einem großen Thema an den Schulen in Sachsen-Anhalt geworden. Rund ein Drittel der 10- bis 19-Jährigen hat mit psychischen Leiden zu kämpfen. Die Vorsitzende des Landesschülerrates Sachsen-Anhalt ist wenig überrascht von diesen besorgniserregenden Zahlen. Sie berichtet von großem Leistungsdruck und fordert mehr Mitspracherecht für Schülerinnen und Schüler. Ein Gastbeitrag einer Studentin aus Halle.

Dieser Text ist im Rahmen des Projekts "Studierende schreiben" in Zusammenarbeit mit der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg entstanden.

Am Gymnasium Pierre Trudeau in Barleben bei Magdeburg stecken die Schülerinnen und Schüler der Oberstufe schon jetzt in den Vorbereitungen auf das Abitur. Greta Steinmetz, Vorsitzende des Landesschülerrates Sachsen-Anhalt, ist eine von ihnen. Die 17-Jährige steht aktuell unter hohem Leistungsdruck und empfindet das als große Belastung, erzählt sie. Auch die unteren Jahrgangsstufen seien davon schon betroffen: "Die Lehrpläne für die Schuljahre werden extrem vollgepackt und der Stoff wird nicht geschafft, da Ferien, Feiertage oder Projektwochen dazwischenliegen", berichtet Greta. 

Great Steinmetz, eine angehende Abiturientin mit blonden Haaren schaut in die Kamera
Greta Steinmetz ist seit Juli 2023 die Vorsitzende des Landesschülerrats und macht gerade ihr Abitur. Bildrechte: Landesschülerrat Sachsen-Anhalt

Schülerinnen und Schüler fühlen sich häufig überfordert und abgehängt 

Einige Lehrerinnen und Lehrer würden das Leistungsniveau bewusst hoch ansetzen, getrieben von der Überzeugung, dass ihre Schützlinge einen hohen akademischen Abschluss erreichen sollen. "Man kann nicht grundsätzlich sagen: 'Ich bilde hier eine Leistungsspitze aus'. Lehrer können es versuchen, aber letztendlich muss man alle Schülerinnen und Schüler gleich fördern", meint Greta. Und genau diese individuelle Förderung bleibe wegen des Zeitmangels oft auf der Strecke, Schülerinnen und Schüler fühlten sich abgehängt. Die Folgen: sinkende Motivation und eine angespannte Stimmung in den Klassenverbänden. 

Programm "MindMatters" soll psychische Gesundheit an Schulen verbessern

Auch Mobbing und Ausgrenzung sind laut Greta immer noch große Probleme, nicht nur an ihrer Schule. Dass dringend Handlungsbedarf bei der mentalen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen besteht, zeigt der Barmer Arztreport 2023. Im Jahr 2022 sind demnach rund 30 Prozent der 10- bis 19-Jährigen von psychischen Leiden und Verhaltensstörungen betroffen gewesen. Darunter fallen zum Beispiel Belastungsreaktionen, Angststörungen oder Depressionen. In der Statistik werden jedoch nur professionell diagnostizierte Krankheiten aufgeführt. Die Anzahl an Kindern und Jugendlichen mit psychischen Problemen sei also höchstwahrscheinlich noch höher, meint Axel Wiedemann, Landesgeschäftsführer der Barmer Sachsen-Anhalt.

Wiedemann weiß, dass es neben der professionellen Unterstützung durch niedergelassene Therapeutinnen und Therapeuten auch Präventionsmaßnahmen im Lebensumfeld der Kinder und Jugendlichen brauche. Im Oktober 2023 unterschrieb die Barmer zusammen mit der Unfallkasse und dem Bildungsministerium Sachsen-Anhalt eine Kooperationsvereinbarung für das Programm "Mind Matters". Die verschiedenen Module wurden von Wissenschaftlern der Universität Lüneburg entwickelt und zielen darauf ab, die psychische Widerstandsfähigkeit von Schülerinnen und Schülern sowie Lehrerinnen und Lehrern zu stärken. 

Verpflichtend ist der Einsatz von "MindMatters" an Schulen jedoch nicht, erklärt Axel Wiedemann weiter. "Wir lassen den Schulen und Lehrern die Freiheit zu bewerten, ob sie das Programm gut finden und die Kulisse an der Schule es hergibt, es einzusetzen." Entscheidet sich eine Schule für "MindMatters", würde die Universität Lüneburg die Lehrkräfte unterweisen und ihnen die nötigen Materialien bereitstellen. So könnten Lehrerinnen und Lehrer Module des Programms im Unterricht umsetzen.

Zu wenig professionelle Beratungsangebote an Schulen in Sachsen-Anhalt

Greta unterstützt den Ansatz dieses Angebots, ist aber skeptisch, ob Schulungen für Lehrer ausreichen, um erfolgreich auf die psychischen Probleme der Schülerinnen und Schüler einzugehen. Denn die Bearbeitung der Module im Unterricht sei angesichts der straffen Lehrpläne schwer umsetzbar.

Zudem kritisiert die Vorsitzende des Landesschülerrats die Befangenheit von Lehrerinnen und Lehrer: "Es ist schon vorgekommen, dass mit dem Vertrauenslehrer etwas besprochen wurde und diese Informationen wurden dann teilweise weitererzählt, zum Beispiel den Eltern." Dieser Vertrauensbruch hätte zur Folge, dass die Schülerinnen und Schüler sich eher zurückziehen. Greta fordert deshalb neutrale, externe und vor allem professionelle Beratungspersonen an Schulen in Sachsen-Anhalt. 

Doch auch an denen mangelt es. Im Landesschulamt gibt es derzeit 26 Mitarbeitende für Schulpsychologie. Bei rund 200.000 Schülerinnen und Schülern im Bundesland müsste eine Fachkraft fast 7.700 Schülerinnen und Schüler betreuen. Zudem plant das Bildungsministerium in Magdeburg, ab 2024, Schulsozialarbeit nur noch an Schulen mit Problemen zu finanzieren. Das könnte die Situation verschärfen.

Man kann nicht grundsätzlich sagen, ich bilde hier eine Leistungsspitze aus. Also Lehrer können es versuchen, aber letztendlich muss man alle Schülerinnen und Schüler auch gleich fördern.

Greta Steinmetz, Landesschülerrat Sachsen-Anhalt 

Ein Schülerrat soll das Mitspracherecht stärken 

Greta fordert deshalb, den Austausch an Schulen zu verbessern und Schülerinnen und Schülern mehr Mitspracherecht zu geben. "Natürlich möchte ich auch als Schüler einen gewissen Einfluss haben und sagen: 'Ich bin ein Teil dieser Schulgemeinschaft und kann hier etwas verändern.' Das gibt den Schülern so viel Motivation, wenn man sie mit einbezieht", erklärt die 17-Jährige. So könnte beispielsweise besser und schneller auf Missstände aufmerksam gemacht und entsprechend reagiert werden. 

Um diesen Prozess anzustoßen, gründet Greta gerade gemeinsam mit einem Mitschüler einen Schülerrat am Gymnasium Pierre Trudeau. Damit wolle sie den nachfolgenden Jahrgängen eine schöne Schulzeit sichern. Die gegenseitige Unterstützung unter den Schülerinnen und Schülern sei dabei ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. 

Allegra Wendemuth, eine junge Frau mit halblangen Haaren, schaut in die Kamera
Bildrechte: Allegra Wendemuth

Über die Autorin Allegra Wendemuth studiert seit 2023 den Master Multimedia und Autorschaft in Halle. Während ihres Bachelorstudiums an der HTWK Leipzig war sie Chefredakteurin der Studierendenzeitung "Leipziger Lerche" und verfasste Artikel über die neusten Trends im Verlagswesen. Nach dem Abschluss entdeckte sie im Rahmen eines Volontariats bei einer Fernsehproduktionsfirma ihre Leidenschaft für investigative Reportagen.

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MDR (Sarah-Maria Köpf)

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38 Kommentare

Anita L. vor 6 Wochen

"Wenn ein Schüler aber nur halb bei der Sache ist, dann ist dies deutlich ein Zeichen dafür, dass andere Themen eben wichtiger erscheinen."

Ja, eben, und ein Schüler, der für sich entschieden hat, Max zu sein und nicht Marie, könnte sich zu hundert Prozent mit schulischen Themen beschäftigen, wenn nicht die Menschen um ihn herum sich nicht auf diese wesentlichen Dinge konzentrieren können, sondern seine Entscheidung, Max zu sein, ständig in Frage stellen, auszureden versuchen, zum hundertsten Mal "nicht verstehen", ... Max hingegen ist seine Ausbildung viel wichtiger als dieser permanente Kampf mit Lehrkräften, Elternhaus, dem Zwang, sich permanent und vor jedem "erklären" zu müssen.

Anita L. vor 6 Wochen

@Shantuma, die Entscheidung, Max zu sein und nicht Marie, mit Suizidgedanken gleichzusetzen, sehe ich als Anzeichen tiefer Missachtung den betroffenen Menschen gegenüber.

Die meisten Menschen, die Suizid aufgrund ihrer Auseinandersetzung mit ihrer Genderidentität begehen, tun dies, weil ihnen die fehlende Akzeptanz der Gesellschaft die eigene Akzeptanz quasi unmöglich macht. Ich habe beide Arten von Betroffenen in meinen Klassen: jene, die von ihrem Elternhaus geliebt und unterstützt werden, egal ob Max oder Marie, und jene, die diesen Rückhalt nicht haben.
Der Weg zur Therapie ist übrigens vollkommen unabhängig davon, ob ich gewillt bin, mit Max zu sprechen, grundsätzlich sinnvoll; jedoch muss ich diese Empfehlung eher jenen Menschen der zweiten Kategorie mitgeben, die ohne Rückhalt in der Familie sind, denn die anderen werden in den allemeisten Fällen bereits therapeutisch betreut und haben somit - zurück zum Thema - viel mehr Kraft zum Lernen.

Anita L. vor 6 Wochen

"Vollständig neu sind psychische Belastungen an Schulen wahrscheinlich nicht, Hesse hat sie mit Hans Griebenrath (Unterm Rad) schon vor 100 Jahren beschrieben."

Zum Teil musste Hans tatsächlich ähnliche Probleme bewältigen, wie zum Beispiel die unangepassten und ihn selbst nicht berücksichtigenden Anforderungen bei sonstiger Ignoranz seiner Person durch seinen Vater. Andererseits war das beschriebene wilhelminische Schulsystem anders als das unsere von engen Strukturen, strikter Hierarchie und genau dem Vermitteln kognitiven Wissens konzentriert, während der Druck heutzutage neben den teilweise ebenso unrealistischen Erwartungen der Eltern eher an der "Freiheit" liegt, die einem das Recht auf Bildung immer weiter einräumt. Freiheit bedeutet nämlich vor allem, sich selbst zu entscheiden und damit eben auch entscheiden zu müssen.

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