Fahrlehrer Mike Andrys zeigt Fahrschüler Janos Raduly das Auto.
Dreiviertel der Senioren in Sachsen-Anhalt gelten als Verursacher der Unfälle, in denen Senioren involviert sind. Wer sich im Alter mit dem Auto unsicher fühlt, der kann eine erneute Fahrstunde nehmen. Bildrechte: MDR/Maximilian Fürstenberg

Verkehrssicherheit Warum Rentner ihren Führerschein abgeben – oder auch nicht

von Maximilian Fürstenberg und Georg Hölting, MDR SACHSEN-ANHALT

23. Januar 2024, 09:43 Uhr

Mobilität und Unabhängigkeit – zwei Gründe, warum es Rentnern schwer fallen kann, ihren Führerschein abzugeben. Auch wenn sie eigentlich nicht mehr fahren können. Die Statistik zeigt: Sind in Sachsen-Anhalt Senioren an Unfällen beteiligt, haben sie diese in den meisten Fällen auch selbst verursacht. Eine erneute Fahrstunde kann helfen, die eigene Fahrtüchtigkeit besser einzuschätzen.

Der Blinker des Autos klickt monoton, dann wird das Lenkrad eingeschlagen. "Hier einen großen Bogen fahren, dass sie am rechten Fahrstreifen wieder herauskommen", erklärt Mike Andrys. Der Fahrlehrer zeigt gezielt mit seiner Hand auf die Fahrbahn. "Nicht über die Sperrfläche fahren – ganz rechts. Da ist rechts", fügt er bestimmt hinzu.

Am Steuer sitzt Janos Raduly. Im Gegensatz zu den meisten Fahrschülern besitzt er seinen Führerschein allerdings schon seit mehr als 50 Jahren. Der Magdeburger macht nach Jahrzehnten freiwillig noch einmal eine Fahrstunde. Sein Fahrlehrer schaut sich nun Radulys Fahrfähigkeit an, wie er sagt. Anschließend wird besprochen, wie der Mann seine Fahrweise verbessern kann.

Das Auto brummt. "Ruhig mal in den dritten Gang schalten", sagt Andrys. Raduly reagiert. Dann fahren sie in den dunklen Magdeburger City-Tunnel.

Gründe für eine Fahrstunde: Günstigere Versicherungen und verstorbene Ehepartner

Die Gründe, warum auch ältere Menschen noch einmal Fahrstunden nehmen, sind sehr unterschiedlich. "Die älteren Menschen haben zum Beispiel im Familienkreis die Info bekommen: 'Mama, Papa, geh' doch nochmal zur Fahrschule und lass dir helfen'", erklärt Fahrlehrer Andrys MDR SACHSEN-ANHALT.

Mike Andrys ist Fahrlehrer. Er steht vor seinem Fahrschulauto.
Mike Andrys ist Fahrlehrer. Er gibt Senioren Fahrstunden. Bildrechte: MDR/Maximilian Fürstenberg

Auch der Tod eines Ehepartners führt demnach dazu, dass Menschen in die Fahrschule kommen, um nochmal Stunden zu nehmen – oft Witwen. "Der Mann ist verstorben und fuhr jahrzentelang mit dem Fahrzeug. Jetzt hat die Frau noch das Auto, aber keinen Mann und ist selbst jahrzehntelang nicht gefahren. Sie will aber noch fahren, weiß nur nicht mehr, wie es geht", erklärt Andrys die ihm gut bekannte Situation.

Doch nicht immer muss der Wink aus der Familie kommen: Auch manche Versicherungsunternehmen bieten Senioren günstigere Tarife an, wenn sie eine sogenannte Rückmeldefahrt gemacht haben, erklärt der Fahrlehrer.

Mehr Fahrpraxis bedeutet ein geringeres Risiko

An einer Kreuzung in der Magdeburger Innenstadt: "Langsamer fahren, hier kommt ein Auto. Kupplung!" Das Auto kommt zum Stehen – 30er-Zone, Rechts vor Links. Dann lässt der Senior langsam die Kupplung kommen. "An der Ampel bitte rechts abbiegen", dirigiert Andrys. Raduly reagiert: "Fahrradfahrer."

Der Senior fährt selbst nicht mehr allzu viel. Mehr als 3.000 Kilometer im Jahr kämen nicht zusammen und lange Fahrten versuche er zu vermeiden, erklärt er. Dennoch schätzt er sich als einen guten Fahrer ein. Einen Unfall hat Raduly noch nicht gebaut. Aber sein Fahrlehrer weiß: "Jemand, der 3.000 Kilometer im Jahr fährt, hat natürlich ein anderes Risiko als jemand, der 50.000 Kilometer fährt."

Jemand, der 3.000 Kilometer im Jahr fährt, hat natürlich ein anderes Risiko als jemand, der 50.000 Kilometer fährt.

Mike Andrys Fahrlehrer

Bei einer geringen Fahrleistung sei eine größere Unsicherheit vorhanden. Laut dem Fahrlehrer fahren Senioren dann beispielsweise auf Landstraßen nicht die Geschwindigkeit, die sie fahren sollten oder bilden im Stadtverkehr ein Hindernis, wenn der Verkehr stark frequentiert ist. Da komme es ebenfalls zu Unfällen.

Und ein Blick auf die Unfallstatistik verrät: Zwischen 2019 und 2022 ereigneten sich in Sachsen-Anhalt gut 60.200 Verkehrsunfälle mit Beteiligung von Senioren. Das geht aus Zahlen des Innenministeriums hervor. Circa 44.300 dieser Verkehrsunfälle wurden von den Senioren selbst verursacht. Das entspricht einem Anteil von rund 74 Prozent. In Sachsen-Anhalt insgesamt kam es in dieser Zeitspanne zu 274.900 Verkehrsunfällen.

Mit schwindender Mobilität vereinsamen die Senioren

Um dem entgegenzuwirken, kann das Auto oder der Führerschein im Alter abgegeben werden. Das bedeutet dann aber auch, einen Großteil seiner eigenen Mobilität mit abzugeben. Davon erzählen auch einige Bewohner des Malteser Service Wohnen in Magdeburg MDR SACHSEN-ANHALT.

Klaus Hahn steht in einer Küche im Malteser Service Wohnen.
Klaus Hahn ist Bewohner im Malteser Service Wohnen in Magdeburg. Er lebt hier mit seiner Frau. Bildrechte: MDR/Maximilian Fürstenberg

Klaus Hahn, der seinen Rollator als Gehhilfe braucht, ist 85 Jahre alt. Sein Auto hat er vor anderhalb Jahren abgegeben. Ein Unfall, bei dem er Zeuge war, hatte ihm die Augen geöffnet. "Das war schlimm ausgegangen. Da hat man erstmal gesehen, was einem passieren kann. Da habe ich gesagt, ich fahre nicht mehr." Für alle Wege, die er jetzt unternimmt, muss er sich ein Taxi rufen. Den Weg zur Straßenbahn schafft er nicht mehr, wie er verrät.

Das war schlimm ausgegangen. Da hat man erstmal gesehen, was einem passieren kann. Da habe ich gesagt, ich fahre nicht mehr.

Klaus Hahn Bewohner Malteser Service Wohnen Magdeburg

Hahn kam ins betreute Wohnen, um nicht allein zu sein. "Man vereinsamt wirklich", erklärt Leiterin Janette Franke. "Ich als Außenstehende sehe, dass er gesundheitlich abbaut. Da finde ich es gut, dass er das Auto abgegeben hat. Aber die Leute vereinsamen in der Wohnung, wenn sie nicht rauskommen. Oder sie sagen: 'Ich hab kein Auto, was soll ich noch groß in der Welt'", so Franke.

Leiterin des Malteser Service Wohnen nimmt Klaus Hahn, einen Bewohner, unter den Arm.
Wenn Janette Franke merkt, dass ein Bewohner nicht mehr gut mit dem Auto fährt, macht sie darauf aufmerksam. Bildrechte: MDR/Maximilian Fürstenberg

Senior: "Im Auto bin ich schmerzfrei"

Ein Bewohner, der seinen Führerschein noch hat, ist Günter Reinhardt. Der 92-Jährige hat eine Wirbelsäulenerkrankung und braucht zum Laufen – wie Hahn – einen Rollator. Eine OP hat er aus Angst, dass es ihm hinterher schlechter geht, abgelehnt. Reinhardt fühlt sich in seinem Zustand allerdings im Auto sicherer als zu Fuß. "Wenn ich im Auto sitze, bin ich schmerzfrei und fühle mich sicher", sagt er.

Wenn ich im Auto sitze, bin ich schmerzfrei und fühle mich sicher.

Günter Reinhardt Bewohner Malteser Service Wohnen Magdeburg
Günter Reinhardt steht in einer Tiefgarage vor seinem Auto.
Günter Reinhardt ist 92 Jahre alt. Im Auto – so sagt er – hat er keine Schmerzen. Bildrechte: MDR/Maximilian Fürstenberg

Sein Sohn habe ihm bis jetzt noch nicht geraten, den Führerschein abzugeben, scherzt er. Aber: "Wenn ich merke, dass ich Fehler mache oder unaufmerksam bin, dann würde ich auf jeden Fall sofort aufhören mit dem Fahren", so Reinhardt.

Es liegt in der Verantwortung jedes Einzelnen

Zurück im Fahrschulauto: Nach einer Stunde ist die Fahrt beendet. "Dann parken sie das Auto bitte hier", sagt Andrys. "Ich würde nicht so weit heranfahren, weil der Bordstein sehr hoch ist", erwidert Raduly. "Fahren sie ruhig ran, wir können das Auto nicht so stehen lassen", sagt der Fahrlehrer mit klaren Worten. Noch zwei Mal lenken, dann steht das Auto in der Parklücke.

Fahrlehrer Mike Andrys zeigt Fahrschüler Janos Raduly das Auto.
Andrys ist mit Radulys Fahrweise zufrieden. Bildrechte: MDR/Maximilian Fürstenberg

Mit der Fahrleistung des Senioren ist Andrys zufrieden. Er könne seinen Führerschein guten Gewissens behalten. Raduly selbst will seinen Freunden und Bekannten eine solche Fahrstunde auf jeden Fall empfehlen – das ist für ihn ganz klar. "Es ist schlimmer, einfach loszufahren und sich einzubilden, dass ich das noch kann. Es hat sich vieles geändert: Die Verkehrsdichte ist dichter geworden und einige Verkehrszeichen sind neu. Da sollte man schon Vernunft walten lassen", sagt er.

Letzten Endes liegt es aber in der Verantwortung jedes Einzelnen, ob er seinen Führerschein behält oder abgibt. "Eines Tages muss man sich verabschieden vom Schein", so Raduly mit hochgezogener Augenbraue. Auch der Senior würde, so sagt er, seinen Führerschein abgeben, wenn sein Alter sicheres Fahren nicht mehr zulässt.

FAKT IST!-Bürgertalk aus Magdeburg Mehr zum Thema können Sie in der Sendung "FAKT IST!" aus Magdeburg sehen: am 22. Januar ab 22:10 Uhr im MDR Fernsehen und in der Mediathek – sowie bereits ab 20:30 Uhr im Livestream auf mdr.de.

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Bildrechte: IMAGO / Sven Simon

MDR (Maximilian Fürstenberg) | Erstmals veröffentlicht am 22.01.2024

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 22. Januar 2024 | 19:00 Uhr

33 Kommentare

Erichs Rache vor 15 Wochen

@Spendeblut

Man könnte anstelle eines Fahrtetsts natürlich auch eine regelmäßige Blutspende obligat machen. Wer´s dann noch schafft aus eigener Kraft ins Auto einzusteigen, darf Los-fahren.

DanielSBK vor 15 Wochen

Die Linksgrünen Verbotstanten- und Onkels in den EU und Deutschland Institutionen freut's .... die brauchen auch nicht selber fahren, die haben ihre Chauffeure.

DanielSBK vor 15 Wochen

Wenn Sie LKW fahren, müssen Sie ohnehin alle 5 Jahre zum Arzt - und ohne "Sehtest" (Nachtfahrt, Weitwinkel usw.) bekommen Sie keine Fahrerkarte mehr... sicher, dass Sie da als "Fachmann" hier öffentlich schreiben???

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