Nahverkehr Landkreis Stendal: Barrierefreiheit im ÖPNV wird besser
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Von Lisa Ehrenburg, MDR SACHSEN-ANHALT
03. Dezember 2023, 09:46 Uhr
Der Inklusionsbeirat im Landkreis Stendal testet jedes Jahr, wie barrierefrei Bahnhöfe und Haltestellen sind. Die Ergebnisse gibt er an die Nahverkehrsgesellschaft Sachsen-Anhalt (NASA) weiter, um den Nahverkehr im Landkreis Schritt für Schritt barrierefrei zu gestalten. Dieses Jahr im Test: Die Route vom Hauptbahnhof Stendal über die Haltestelle Krankenhaus und den Halt an der Hochschule bis zum Bahnhof Seehausen.
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- Die Barrierefreiheit am Bahnhof Stendal hat sich verbessert. Trotzdem gibt es noch einiges zu tun, zeigt die Erfahrung des Inklusionsbeirates des Kreises.
- Auf dem Weg nach Seehausen entdecken die Tester viele Barrieren und Hürden. Die Nahverkehrsgesellschaft ist dankbar für den Austausch.
- Viele Bahnhöfe in Sachsen-Anhalt sollen in den nächsten Jahren barrierefrei umgebaut werden.
Hauptbahnhof Stendal, Gleis 1. Die Lautsprecherdurchsage kündigt dumpf eine einfahrende Bahn an. Marcus Graubner, stellvertretender Vorsitzender des Inklusionsbeirates Stendal und Vorsitzender des Allgemeinen Behindertenverbandes Deutschland, muss heute aber keine Bahn erwischen. Er steht vor dem Aufzug und möchte ihn auf Barrierefreiheit testen.
Fahrstuhl im Bahnhof Stendal besteht Test auf Barrierefreiheit
Graubner ist ein Mensch mit Behinderung und verwendet einen Rollstuhl. Er drückt den Fahrstuhl-Knopf. "Ich komme von meiner Höhe aus ran. Ich habe selbst gedrückt, hast du das gesehen?", sagt er zu seiner Begleitung. Die Türen öffnen sich.
Im Aufzug fährt Graubner mit den Fingern über die Brailleschrift auf den Tasten. Hier können sich auch Menschen mit Sehbehinderung orientieren, betont er. Eine automatische Stimme im Aufzug gibt ein deutlich hörbares "Türen schließen" von sich. Sprachausgabe – check. Auch sie ist eine notwendige Informationsquelle für Menschen mit Sehbehinderung. "So soll es sein", sagt Marcus Graubner. Der Aufzug hat den Test bestanden.
Bahnhof in Stendal wurde erst vor kurzem barrierefrei umgebaut
Die Idee für die ÖPNV-Begehungen kam von Marcus Graubner selbst. Er freut sich darüber, dass sich seit der ersten Begehung 2019 schon so viel verbessert hat. Denn vor Kurzem erst wurde der Stendaler Hauptbahnhof barrierefrei umgebaut. Außer dem Aufzug gibt es dort taktile Blindenleitsysteme, die im Boden eingelassen sind. Aus dem Bahnhofsgebäude führt bald eine Rampe für Rollstühle, Rollatoren oder Kinderwagen zum Gleis. Aufgeraute Böden sorgen für den nötigen Grip.
Und doch sei am Stendaler Bahnhof in Sachen Barrierefreiheit noch etwas zu tun. Die zurzeit noch angebrachte Behelfsrampe zum Beispiel habe eine zu hohe Kante, um aus eigener Kraft ins Bahnhofsgebäude zu gelangen, sagt Graubner. Und auch zwischen Bahnsteig und Zug klafft noch immer eine Lücke, hinter der erst drei Stufen überwunden werden müssen, um in den Zug zu kommen.
Momentan können Menschen mit Gehbehinderung dort nur mithilfe von Rampen oder Hubgeräten einsteigen. Und das erfordert Hilfe vom Personal. Eine Reise mit dem Nahverkehr bedeutet für Marcus Graubner also eine gute Planung und bestenfalls eine Voranmeldung. "Natürlich würden wir uns wünschen, dass wir spontaner reisen könnten, aber es ist ein Stückchen Sicherheit, wenn jemand weiß, dass ich da bin."
NASA dankbar für Austausch mit Inklusionsbeirat
Vom Hauptbahnhof Stendal geht die Begehung nicht mit der Bahn, sondern mit dem Bus weiter zur Haltestelle "Krankenhaus". In den Bus kommt Marcus Graubner mithilfe einer Rampe, die die Busfahrerin ausfährt. So weit, so gut. Im Bus fällt Reiko Lühe, dem Vorsitzendem des Inklusionsbeirates, allerdings auf, dass die visuelle Anzeige "Wagen hält" fehlt, wenn man den Halteknopf betätigt. Diese ist wichtig für Menschen mit Hörbehinderung. Das weiß er aus eigener Erfahrung.
Solche Erkenntnisse seien ein Gewinn für die Nahverkehrsgesellschaft Sachsen-Anhalt (NASA), sagt NASA-Mitarbeiterin Sophie Golinski. Vertreterinnen und Vertreter der NASA sind dieses Jahr zum ersten Mal bei der Begehung dabei. "Da ist ein Perspektivwechsel weg vom Schreibtisch und mit den Betroffenen wirklich zu kommunizieren eigentlich das beste Mittel, um noch Potentiale zu erkennen, die man vielleicht nicht sieht, wenn man in seinem täglichen Arbeitsumfeld ist", sagt Golinski.
Fortschritte an Haltestellen und Bahnhöfen
An der Haltestelle wird die digitale Informationssäule, an der man sich mithilfe von Sprachausgabe und Brailleschrift über den Fahrplan informieren kann, inspiziert. Unwillkürlich sorgt sie in der Gruppe für einen Lacher. "Was soll denn das hier heißen?", fragt Annemarie Kock und ertastet das in Braille geschriebene Wort. "Da steht Licht", kommt es von der Gruppe. "Nein, da steht 'lacht'".
Trotz Rechtschreibfehler hält der Inklusionsbeirat die Säule für eine sinnvolle Maßnahme. "Davon wünschen wir uns mehr", sagt Johanna Michelis, Teilhabemanagerin des Landkreises Stendal und Organisatorin der Begehung.
Bahnhöfe sollen umgebaut werden
Mit der Bahn fährt die Gruppe weiter zum Bahnhof Seehausen, um dort den Stammtisch "Barrierefreies Seehausen" zu treffen. Am Bahnhof angekommen ergibt sich ein ganz anderes Bild als in Stendal: Zwei Treppen, verbunden von einer Unterführung. Kein Aufzug. Die Gruppe ist groß und viele helfende Hände schaffen es, den Rollstuhl von Marcus Graubner zu tragen. – Keine Chance, wenn man allein unterwegs ist.
Der Seehausener Bahnhof ist einer der wenigen Bahnhöfe im Landkreis Stendal, die kaum barrierefrei sind. Laut "DB Station&Service" waren im Jahr 2022 von 23 Bahnhöfen, die im Landkreis in Betrieb sind, 19 zumindest stufen- und drei weitreichend barrierefrei. Aber die Aussichten sind gut: Denn auch Seehausen soll ab 2025 barrierefrei umgebaut werden – im Rahmen des Modernisierungsprogramms der Deutschen Bahn.
Barrierefreiheit an Bahnhöfen Sachsen-Anhalt
Landkreis Stendal:
Von 23 aktiven Stationen sind 3 Stationen weitreichend barrierefrei (13%) und 19 Stationen stufenfrei (83%).
Sachsen-Anhalt:
Von 277 aktiven Stationen sind 80 Stationen weitereichend barrierefrei (29 %) und 224 Stationen stufenfrei (81%).
Quelle: DB Station&Service/Ministerium für Infrastruktur und Digitales des Landes Sachsen-Anhalt
Bemühungen um Inklusion zeigen Wirkung
Eine Errungenschaft, auf die der Inklusionsbeirat des Landkreises Stendal und der Stammtisch "Barrierefreies Seehausen" sehr stolz sind. Marcus Graubner ist mit der Begehung größtenteils zufrieden. "Die meisten Dinge, die wir heute erlebt haben, waren sehr positiv. Das hängt mit unserem gemeinsamen Kampf zusammen, den wir seit vielen Jahren machen. Es hat sich auf jeden Fall was getan im Gegensatz zum letzten Besuch."
Die meisten Dinge, die wir heute erlebt haben, waren sehr positiv. Das hängt mit unserem gemeinsamen Kampf zusammen, den wir seit vielen Jahren machen.
Die Ergebnisse und Verbesserungsvorschläge der Begehung werden bei der nächsten Sitzung des Inklusionsbeirates am 29. November diskutiert. Dank ihnen können im ÖPNV des Landkreises Stendal immer mehr Hindernisse für Menschen mit Beeinträchtigung beseitigt werden.
MDR (Lisa Ehrenburg)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 17. November 2023 | 14:00 Uhr
Shantuma vor 45 Wochen
Ich kann Ihnen versichern, dass sehr viele gerade auch bei Bus und Straßenbahn getan wird.
Es geht aber auch darum, Gelder für solche Umbaumaßnahmen zurück zulegen. Denn ein Umbau bringt nur einen sehr marginalen Zuwachs and Einnahmen.
Sie sehen dies ggf. anders, das liegt aber daran, dass im ländlichen Bereich die Erträge um einiges niedriger sind als im städtischen Bereich.
Ein Dorfjunge vor 45 Wochen
Die Daten zeigen ja wichtig es ist dass sich endlich in Sachen Barrierefreiheit etwas tut. Es gibt zwar gesetzliche Regelungen welche die Kommunen aber auch das Land zur Barrierefreiheit verpflichten, aber das entsprechende Gesetz wird leider bis heute ignoriert und es gibt auch zuviele Schlupflöcher.
Zur Barrierefreiheit gehört aber nicht nur ein barrierefreier Zugang zur Bahn, sondern eben auch zum Bus oder zur Straßenbahn und auch hier liegt vieles weiterhin im Argen. Weil sich viele der Entscheidungsträger auch gar nicht dafür verantwortlich sehen, es gibt auch zuviele Menschen in der Politik die meinen Barrierefreiheit und Inklusion seien überflüssiges Gedöns.
Doch irgendwann ist jeder auf einen barrierefreien Zugang im ÖPNV oder im öffentlichen Raum angewiesen, von der Barrierefreiheit profitieren ja nicht nur Menschen mit Behinderung, sondern am Ende alle mit irgendwelchen Beeinträchtigungen, aber auch Leute mit Kinderwagen profitieren.