Jürgen Ulrich, Tierkümmerer, Altmark
Jürgen Ulrich mit "Brav", dem Rehkitz, um das er sich aktuell kümmert. Bildrechte: MDR/Carina Emig

Engagierter Altmärker "Meine Universität war die Natur" – so päppelt ein 84-Jähriger verwaiste Wildtiere auf

20. Juli 2024, 15:23 Uhr

Jürgen Ulrich aus der Altmark kümmert sich um verwaiste oder verletzte Widltiere – und das im Alter von 84 Jahren. Ohne ihn hätten die Tiere keine Chance mehr. Aktuell befindet sich ein Rehkitz in seiner Obhut. Was ihn antreibt und mit welchen Tricks er den Tieren hilft.

Eine blonde Frau
Bildrechte: Carina Emig

Alle vier bis sechs Stunden braucht der kleine Rehbock, den Jürgen Ulrich aus Apenburg in der Altmark aufpäppelt, etwas zu trinken. Auch nachts muss der 84-Jährige raus, denn das kleine Kitz hat Durst und soll schließlich zu einem stattlichen Rehbock heranwachsen.

Eine Spezialmischung aus Kuhmilchpulver und Getreiden sowie das Kennenlernen hunderter Pflanzen stehen für das Altmark-Bambi bis dahin auf dem Speise- und Lehrplan. Einen Namen hat der kleine Rehbock auch schon: Jürgen Ulrich nennt ihn Brav, weil er so brav ist, denn wenn er ihn ruft, dann kommt Brav sofort angeflitzt.

Hilfe für Wildtiere in der Altmark: "Wie eine Rehkitz-Mama"

Tag für Tag erkunden Rehkitz und Rehkitz-Papa gemeinsam den bunten Blumen- und Kräuterkarten hinterm Haus. Das bereite den beiden nicht nur Vergnügen, sondern sei auch sehr wichtig, erklärt Jürgen Ulrich: "Rehe fressen nicht einfach nur Gras, sondern hunderte sehr verschiedene Kräuter, Gräser, Blätter und Blumen." Hinzu kommen außerdem Triebe und Knospen, wobei Rehe sehr wählerisch seien. "Ich mache es wie eine Rehkitz-Mama, indem ich Brav dabei anleite, die verschiedenen, richtigen Pflanzen zu probieren und warne ihn, wenn es sich um Giftpflanzen wie den Fingerhut handelt." Das heißt, im Garten hinterm Haus gibt es bewusst auch ungenießbare und gefährliche Pflanzen, die Brav durch tägliches Üben lernt zu meiden.

Rehe fressen nicht einfach nur Gras, sondern hunderte sehr verschiedene Kräuter, Gräser, Blätter und Blumen.

Jürgen Ulrich, Rehkitz-Retter

Sein erstes Rehkitz zog Jürgen Ulrich auf, als er selbst noch ein halbes Kind war. Sein Vater, selbst Naturmensch und Jäger, hat ihm sehr viel beigebracht. Auch die Schulstunden hätten sich damals, als Ulrich ein kleiner Junge war, viel mehr draußen in der Natur abgespielt. Regelmäßig stand beispielweise Tier- und Pflanzenbestimmung auf dem Stundenplan. Zudem habe er Zeit seines Lebens gerne die Natur und alles, was in ihr ist, beobachtet. "Meine Universität war die Natur", sagt der gelernte Physiotherapeut.

Ein kleiner Trick, der Rehkitze zum Trinken bringt

Damit das Rehkitz trinkt, muss die Ricke das Kleine am After lecken. Das kann und will Jürgen Ulrich so natürlich nicht nachmachen. Er benutzt deshalb einen Trick, indem er mit einem nassen Tuch das Hinterteil des kleinen Brav vorsichtig reibt. Nach dem Trinkprozess würde die Rehkitz-Mutter ihr Kleines ablecken und so säubern. Diesen Vorgang imitiert Jürgen Ulrich, indem er das kleine Böckchen sanft und sorgsam ebenfalls mit einem feuchten Tuch abreibt. Brav genießt diesen Vorgang sichtlich.

Ansonsten hätten verwaiste Rehkitze wie Brav in der freien Wildbahn keine Chance. Seine Mutter hatte sich an einem Eisentor beide Vorderläufe gebrochen, als Jäger zur Hilfe gerufen worden. Bravs Mutterricke sei nicht mehr zu retten gewesen. Allerdings nahmen die Retter um Jürgen Ulrich den kleinen Rehbock nicht sofort mit, sondern warteten noch eine bange Nacht. So stellten sie sicher, dass es sich tatsächlich um Bravs Mutterricke handelte. So sei der Kleine schon sehr dehydriert gewesen, als Jürgen Ulrich ihm das erste Fläschchen gab.

Jürgen Ulrich, Tierkümmerer, Altmark
"Meine Universität war die Natur", sagt Jürgen Ulrich, gelernter Physiotherapeut. Bildrechte: MDR/Carina Emig

"Brav" wird ausgewildert – mit rotem Halsband zum Schutz

Ab Oktober will Jürgen Ulrich seinen Rehbock dann in seinem Henninger Jagdgebiet auswildern. Das mache er immer so, denn 13 Kitze habe er im Laufe der Jahre bei sich aufgenommen und somit vor dem sicheren Tod bewahrt. Ebenso kümmerte er sich um Habichte, Eulen, Turmfalken oder Bussarde.

Der kleine Rehbock soll am Tag der Auswilderung ein rotes Halsband bekommen. "Damit alle Jagdkollegen wissen, dass das Tier geschont werden soll", erklärt Ulrich. Obwohl selber Jäger würde er ein von ihm mit der Hand aufgezogenes Reh niemals schießen oder gar essen. Für Brav wünscht er sich ein langes und glückliches Leben in der Natur, betont der Kitz-Papa.

MDR (Carina Emig, Daniel George) | Erstmals veröffentlicht am 18.07.2024

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 17. Juli 2024 | 12:00 Uhr

4 Kommentare

Germinator aus dem schoenen Erzgebirge vor 37 Wochen

"Ab Oktober will Jürgen Ulrich seinen Rehbock dann in seinem Henninger Jagdgebiet auswildern. Das mache er immer so, denn 13 Kitze habe er im Laufe der Jahre bei sich aufgenommen und somit vor dem sicheren Tod bewahrt. Ebenso kümmerte er sich um Habichte, Eulen, Turmfalken oder Bussarde. Der kleine Rehbock soll am Tag der Auswilderung ein rotes Halsband bekommen. "Damit alle Jagdkollegen wissen, dass das Tier geschont werden soll", erklärt Ulrich. Obwohl selber Jäger würde er ein von ihm mit der Hand aufgezogenes Reh niemals schießen oder gar essen. Für Brav wünscht er sich ein langes und glückliches Leben in der Natur, betont der Kitz-Papa. "

Das ist natürlich der Nachteil. Wenn das Band abfällt, fällt das Reh früher oder später den Jägern zum Opfer.

Nichtsdestotrotz, coole Sache.


Germinator aus dem schoenen Erzgebirge vor 37 Wochen

"Damit das Rehkitz trinkt, muss die Ricke das Kleine am After lecken. Das kann und will Jürgen Ulrich so natürlich nicht nachmachen."

Danke für die Erklärung, das beruhigt mich jetzt ein wenig.

SGDHarzer66 vor 37 Wochen

Leider gibt es solche Menschen, denen das Tierwohl am Herzen liegt, viel zu selten. Ich wünsche Herrn Ulrich auch persönlich alles Gute.

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