3D-Animation eines weißen Zahns, der gerade zerbricht.
Im Zeitraum 2015 bis 2023 ging die Zahl der Zahnarztpraxen landesweit um 20 Prozent zurück. Bildrechte: MDR/Christopher Schmieg

Mangel spitzt sich zu Zahnärzte in Sachsen-Anhalt werden immer weniger – und immer älter

von Manuel Mohr, MDR Data

28. Januar 2024, 17:56 Uhr

Schwierigkeiten bei der Terminfindung oder Probleme, überhaupt einen Zahnarzt oder Zahnärztin zu finden: In Sachsen-Anhalt zeigen sich immer mehr Vorboten eines Mangels im zahnmedizinischen Bereich. Wie ernst die Lage bereits heute ist – und was dagegen getan wird.

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Den Menschen in Sachsen-Anhalt stehen für Vorsorgeuntersuchungen oder akute Schmerzbehandlungen immer weniger Zahnärztinnen und Zahnärzte zur Verfügung. Zwischen 2015 und 2023 ist deren Anzahl um 14 Prozent auf zuletzt rund 1.450 gesunken. Zudem gibt es immer mehr niedergelassene Zahnmediziner, die 60 Jahre oder älter sind. Ihr Anteil betrug zuletzt 40 Prozent.

Bedeutet: In den kommenden Jahren stehen zahlreiche Renteneintritte bevor und Zahnarztpraxen schließen, sofern keine Nachfolge gefunden wird. Allein im vergangenen Jahr schlossen 55 Praxen.

In jeder der 55 kürzlich geschlossenen Praxen wurde laut Kassenzahnärztlicher Vereinigung Sachsen-Anhalt (KZV) ein Patientenstamm von mehreren tausend Personen betreut, die nur zum Teil von anderen Praxen als Neupatienten aufgenommen werden konnten. Ein KZV-Sprecher sagte MDR SACHSEN-ANHALT, dass dieser drastische Rückgang an Zahnarztpraxen ohne Gegenmaßnahmen erhebliche Konsequenzen für die zahnmedizinische Versorgung der Bevölkerung haben wird.

Bereits heute spürbare Folgen des Zahnärztemangels sind laut KZV:

  • Längere Wartezeiten,
  • problematischere Terminsuche und
  • weitere Fahrtwege für den Praxisbesuch.

Zahnärztliche Versorgung im Jerichower Land am schlechtesten

Besonders deutlich wird der zunehmende Mangel im Jerichower Land. Allein im Zeitraum von Juni 2021 bis November 2023 wurden zehn Praxen geschlossen, nur für zwei weitere konnte eine Nachfolge gefunden werden. Mit den verbleibenden rund 30 Einrichtungen ist die zahnärztliche Versorgung der Bevölkerung so schlecht wie in keiner anderen Region Sachsen-Anhalts.

So werden Versorgungsgrade ermittelt

Für jede Region in Sachsen-Anhalt ist festgelegt, wie das Verhältnis von Einwohnern und Zahnärzten zur optimalen Versorgung sein soll. In Halle und Magdeburg liegt das angestrebte Verhältnis bei 1.280 Menschen je Zahnarzt, in allen übrigen Regionen bei 1.680 Menschen.

Jährlich werden diese Soll-Werte mit den realen Ist-Ständen verglichen und ermittelt, inwiefern die anvisierte Versorgung tatsächlich erfüllt werden kann. Kommen rechnerisch weniger Menschen auf einen Zahnarzt als geplant, liegt der Versorgungsgrad bei über 100 Prozent. Liegt der Wert hingegen unter 100 Prozent, dann muss ein Zahnarzt rein rechnerisch mehr Menschen versorgen als angedacht.

Ein weiteres Problem im Jerichower Land: Der Anteil der über 60-jährigen Zahnärzte liegt bei rund 60 Prozent – deutlich über dem ohnehin schon hohen Landesdurchschnitt. Der gemeinsame Landesausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen hat daher bereits im März 2022 "eine in absehbarer Zeit drohende Unterversorgung" offiziell festgestellt.

Das Problem könnte sich sogar noch weiter verschärfen. Laut einer MDR SACHSEN-ANHALT vorliegenden KZV-Prognose werden von 35 aktuell praktizierenden Zahnärztinnen und Zahnärzten im Jerichower Land im Jahr 2030 nur 12 das Rentenalter noch nicht erreicht haben.

Suche nach Zahnarzt in Sachsen-Anhalt wird zunehmend schwieriger

Aus Sicht der Kassenzahnärztlichen Vereinigung ist der Versorgungsgrad jedoch in erster Linie nur ein Abbild des Ist-Zustands aus dem jeweiligen Vorjahr. Zudem würde sich abzeichnen, dass Versorgungsgrade die Auswirkungen eines realen Zahnärztemangels nicht angemessen erfassen. Denn trotz eines durchschnittlichen Versorgungsgrads von knapp über 100 Prozent zeigen sich laut KZV immer mehr besorgniserregende Vorboten des Zahnärztemangels in allen Landesteilen.

Dazu gehört unter anderem auch eine wachsende Zahl von Zahnarztsuchenden. Normalerweise ist für deren Terminfindung die Zahnärztekammer zuständig. Dennoch wenden sich auch immer mehr Menschen hilfesuchend an die KZV, die allein seit April 2023 rund 330 Anfragen bearbeitet hat.

Dabei zeichnet die Verteilung der Anrufe ein deutliches Bild der hochprekären Versorgungslage in einzelnen Regionen. Bereits jetzt erweisen sich Vermittlungsversuche in Halberstadt als aussichtslos. Besonders ältere Patientinnen und Patienten mit geringer Mobilität sind betroffen.

Kassenzahnärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt

Scharfe Kritik an der Landesregierung

Im Rahmen einer parlamentarischen Anfrage zur "Sicherstellung der zahnmedizinischen Versorgung im Land Sachsen‐Anhalt" der Landtagsabgeordneten Nicole Anger (Die Linke) antwortete das zuständige Sozialministerium im August 2023, dass basierend auf den dem Ministerium vorliegenden Zahlen auch im Jahr 2030 nicht "von einer drohenden Unterversorgung im Sinne des Gesetzes" gesprochen werden kann. Gleichzeitig wurde die KZV aufgefordert, detaillierte Prognosen für die kommenden Jahre anzufertigen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt Ende Januar 2024 stehen diese kurz vor Veröffentlichung.

Als Reaktion auf die Antworten des Sozialministeriums übte die KZV bereits im September 2023 in einer zehnseitigen Stellungnahme scharfe Kritik an der Landesregierung. Und bekräftigt diese im Januar auf Nachfrage von MDR SACHSEN-ANHALT:

Die Landesregierung trifft an keiner Stelle eine konkrete Einschätzung der künftigen Versorgungslage, sie beruft sich ausschließlich auf zurückliegende und gegenwärtige, landesweite Versorgungsdaten. Erschwerend kommt hinzu, dass konkrete Versorgungsproblematiken einzelner Landkreise und Städte unsichtbar bleiben, wenn auf bundeslandweite Durchschnittswerte Bezug genommen wird.

Kassenzahnärztliche Vereinigung Sachsen-Anhalt

Die KZV erwarte daher, dass die Landesregierung die uneinheitliche Versorgungsrealität in den Landkreisen und deren weitere Entwicklung in den Blick nimmt.

Lösungsansätze gegen die drohende Unterversorgung

Um die zahnärztliche Versorgung in Sachsen-Anhalt zu fördern, existiert bereits seit 2010 eine Reihe von Ansätzen. Dazu gehören laut KZV unter anderem Kooperationen mit Hochschulen, Landkreisen und Gemeinden, Stipendien für Studierende sowie finanzielle Förderungen bei Praxisübernahme oder -neugründung und auch für diejenigen, die in versorgungsschwachen Regionen ihre Zulassung über das vollendete 65. Lebensjahr hinaus fortführen.

Ein weiterhin bestehendes Problem ist allerdings, dass Sachsen-Anhalt zu wenig angehende Zahnärztinnen und Zahnärzte im Land halten kann. Von den jährlich rund 40 Zahnmedizin-Absolventinnen und -Absolventen der Uni Halle verbleiben jeweils nur etwa zehn in Sachsen-Anhalt. Unlängst forderte daher der sozialpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Tobias Krull, dass eine Ausweitung der Studienplatzkapazitäten in Halle aktiv geprüft werden müsste.

"Ich schätze die Situation als sehr dramatisch ein"

Allerdings sind sich zumindest in diesem Punkt die KZV und das Sozialministerium einig, dass mehr Studienplätze nicht automatisch auch mehr Fachkräfte für Sachsen-Anhalt bedeuten. Laut Ministerium müssten mehr Absolventen nach dem Studium im Land gehalten werden. Daher fordert die Landesregierung von den Kommunen, Ärzten verstärkt bei der Suche nach Praxisräumen, einem Kitaplatz, einer Wohnung oder eines Baugrundstückes zu helfen.

Aus Gesprächen mit Studierenden weiß die KZV allerdings, dass viele von ihnen aus anderen Bundesländern extra für das Zahnmedizin-Studium nach Sachsen-Anhalt gekommen sind und es sie danach wieder in die Heimat zieht. Zudem spielen auch Karriereperspektiven des Partners, soziale und kulturelle sowie die technische und verkehrsmäßige Infrastruktur eine Rolle bei der Wahl des künftigen Lebensmittelpunktes.

Mit Blick auf die besorgniserregenden Vorboten des Zahnärztemangels in Sachsen-Anhalt sagte die stellvertretende KZV-Vorstandsvorsitzende Dorit Richter beim Neujahrsempfang der Heilberufler Sachsen-Anhalt:

Ich schätze die Situation als sehr dramatisch ein. Wenn wir da nicht schnellstmöglich eine Lösung finden, wird das im Desaster enden.

Dr. Dorit Richter, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt

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MDR (Manuel Mohr), dpa

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 28. Januar 2024 | 19:00 Uhr

2 Kommentare

Maria A. vor 12 Wochen

Nach der Wende sah man anhand des Zahnstatus eigentlich bei den älteren Semestern sofort, ob sie Ossis oder Wessis waren. Mit der Zeit glich sich das an, aber man bemerkt schon länger ein allgemeines Absinken des Niveaus. Was nicht schlichtweg auf einen Mangel an Zahnärzten zurückzuführen ist, sondern darauf, dass mit den seit Jahren schleichend ansteigenden Preisen mehrheitlich nur noch in die Funktionsfähigkeit des Gebisses investiert wird, also aus Kostengründen die Optik nicht mehr so im Fokus stehen kann wie noch vor 20 Jahren.

pwsksk vor 12 Wochen

Ich würde Augenmerk auf Hautärzte und Augenärzte legen.
Da ist es schon zu spät.

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