Einen bei Verschwörungstheoretikern beliebten und oft ironisierten «Aluhut» trägt die Teilnehmerin an einer Kundgebung
Einen bei Verschwörungstheoretikern beliebten und oft ironisierten "Aluhut" trägt die Teilnehmerin einer Kundgebung. Bildrechte: picture alliance/dpa | Boris Roessler

Hilfe für Betroffene Was tun, wenn Angehörige an Verschwörungstheorien glauben?

15. Dezember 2022, 17:52 Uhr

Verschwörungserzählungen sorgen nicht nur häufig für Konflikte innerhalb der Familie, sie können sogar gefährlich werden. Im Januar startet in Bautzen eine Selbsthilfegruppe für besorgte Angehörige von Verschwörungsgläubigen. Projektleiter Benjamin Winkler von der Amadeu Antonio Stiftung erklärt, was man tun kann, wenn Familienmitglieder in eine andere Realität abdriften.

Eigentlich hatte die Bautzener Selbsthilfegruppe für Angehörige von Verschwörungsgläubigern schon im Dezember starten sollen, aber weil mehrere Teilnehmer krankheitsbedingt absagen mussten, wurde der Beginn ins neue Jahr verschoben. Die Gruppe ist Teil des Projekts "Debunk" der Amadeu Antonio Stiftung. Dieses hat die Prävention gegen Antisemitismus und Verschwörungsideologien in Sachsen zum Ziel. Der Leiter des Projektes ist Benjamin Winkler. Er koordiniert "Debunk" von Leipzig aus. Im Gespräch mit MDR SACHSEN gibt er Tipps für den Umgang mit Freunden und Familienmitgliedern, die an Verschwörungsideologien glauben.

Für wen ist es sinnvoll, zu einer solchen Selbsthilfegruppe zu gehen?

Benjamin Winkler: Es handelt sich um ein Angebot für Menschen, die entweder in ihrer Familie oder ihrem Freundeskreis mindestens eine Person haben, die Verschwörungserzählungen als Wahrheit betrachtet und dadurch auch ihr Verhalten geändert hat. Etwa Personen, die auch schon besorgniserregende politische Ansichten geäußert haben, zum Beispiel, dass man eigentlich das System abschaffen müsste oder Ähnliches.

Solange jemand sein Leben nicht dramatisch ändert und auch nicht anderen Menschen Schaden zufügt, kann man den Angehörigen manchmal auch den Rat geben, diese Person bei ihrem Glauben zu lassen. Das ist manchmal besser, als sie auf Teufel komm raus überzeugen zu wollen. Ein Beispiel dafür wäre, wenn jemand immer noch heute sagt, die Amerikaner seien nie auf dem Mond gewesen, aber ansonsten ein ganz normales Leben führt und auch keine Absichten hat, selber auf die Spur der sogenannten Verschwörer zu gehen.

Die Selbsthilfegruppe ist primär für Angehörige oder Freunde solcher Personen, die sich Sorgen machen, dass die Leute entweder sich selbst oder anderen Menschen Schaden zufügen könnten.

Können Sie ein Beispiel dafür nennen?

Manche Leute lehnen auch bei einer schwierigen Erkrankung wie Krebs jegliche medizinische Behandlung ab, weil sie an die große Pharma-Verschwörung glauben. Und dadurch ist ihr Leben in Gefahr.

Was können Angehörige tun?

Angehörige können eine ganze Menge tun. Das wissen viele gar nicht. Deswegen ist eines unserer Ziele, diese Vielfalt an Möglichkeiten aufzuzeigen. Wir können zum Beispiel mit den betroffenen Personen eine kritische Überprüfung der Inhalte und der Quellen vornehmen, gerade wenn die noch am Anfang ihres Verschwörungsglaubens stehen. Wir können zum Beispiel in der Selbsthilfegruppe Anregungen dazu geben, wo man solche Sachen gelesen haben kann, welche Seiten und Akteure es im Netz gibt.

Wir können die Angehörigen erst mal beraten, damit sie ein gutes Futter haben. Und wenn sie sich dann mit den Personen treffen, können sie denen das zum Beispiel erzählen und sie fragen: Hast du schon mal darüber nachgedacht, dass das vielleicht gar nicht stimmt, was da erzählt wird?

Aber viele Leute erleben, dass ihre Angehörigen trotz aller Fakten und Argumente bei ihrer Meinung bleiben. Wie geht man damit um?

Das ist dann der Fall, wenn die Personen nicht erst am Anfang stehen, sondern wenn da schon eine gewisse Portion Überzeugung hinter ihren Annahmen steckt. Dann wird es schwieriger mit dieser faktenbasierten Argumentation. Dann kann es sinnvoll sein, der Person zum Ausdruck zu bringen, dass man sich Sorgen macht. Man kann ihr gegebenenfalls vermitteln: Ich habe das Gefühl, dass du dich veränderst. Und ich mache mir Sorgen um die Beziehung zu dir. Man spiegelt der Person also die Emotionen, die man selber empfindet und schaut, was die mit so einer Information macht.

Eine andere Möglichkeit ist, dass man Fragen stellt und versucht, zu verstehen: Warum ist es für die Person eigentlich so wichtig? Gab es einen besonderen Anlass, sich mit diesen Erzählungen zu beschäftigen? Was gibt das der Person, an so etwas zu glauben? Man könnte auch Fragen stellen danach, ob sie vielleicht auch neue Freundinnen und Freunde gefunden hat, die ihr solche Dinge erzählen.

Und wenn das nichts hilft?

Dann kann man versuchen, mit der Person einen Konsens im Dissens zu vereinbaren. Man macht ihr deutlich, dass man diese Einstellungen nicht teilt. Aber man akzeptiert zunächst, dass die Person jetzt diese Meinungen hat. Gleichzeitig definiert man aber Regeln für den Alltag, damit das Zusammenleben funktionieren kann. Und da kann es dann zum Beispiel um so etwas gehen wie eine Überwältigungsverbot.

Was bedeutet das?

Das heißt, dass niemand das Recht hat, zum Beispiel in einer Freundschaft, den anderen von der eigenen Meinung zu überwältigen, sondern dass es okay ist, wenn der eine die eine Meinung und der andere eben die andere Meinung hat. Es kann also manchmal auch darum gehen, Regeln für den Alltag zu finden, damit man überhaupt noch eine Freundschaft oder familiäre Beziehung miteinander haben kann.

Und ausgehend dann von der Stärkung der sozialen Beziehung gibt es auch die Möglichkeit, immer mal dezent kritisch nachzufragen. Das heißt, man versucht nicht, mit Argumenten zu überzeugen, sondern bringt die Person eher durch gute Fragen immer mal wieder ins Nachdenken. Menschen, die ausgestiegen sind, berichten häufig, dass diese kritischen Fragen sie tatsächlich ins Grübeln gebracht haben. Auf Konfrontation zu gehen würde dagegen die Fronten verhärten.

Heißt das, dass man schwierige Themen im Alltag erstmal aussparen soll?

Man kann sie aussparen, man kann aber auch sagen: Du sagst mir deine Sichtweise, ich sage dir aber auch meine. Was wir zum Beispiel immer wieder beobachten, ist, dass Leute, die eine sehr feste Überzeugung von etwas haben, nur sehr schlecht mit Gegenmeinungen umgehen können. Die reagieren schon fast gereizt. Da kann es sinnvoll sein, zu sagen: Dann bekommst du jetzt zwei Minuten, mir deine Meinung zu begründen. Dann darf ich aber auch in zwei Minuten meine Meinung begründen.

Weshalb machen Sie dieses Angebot jetzt im Landkreis Bautzen? Ist es hier besonders nötig?

Wir machen das Angebot zurzeit in drei Landkreisen: im Landkreis Bautzen, im Vogtlandkreis und im Landkreis Nordsachsen. In den letzten Jahren haben uns immer wieder Betroffene berichtet, dass dieses Problem bei ihnen besteht. Diese Personen wollen wir gezielt unterstützen. Es geht nicht darum, den Landkreis oder die Stadt als besonders gefährlich darzustellen, sondern wir haben hier einfach immer wieder die Rückmeldung erhalten, dass der Bedarf groß ist.

MDR (jwi)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalreport aus dem Studio Bautzen | 05. Dezember 2022 | 16:30 Uhr

Mehr aus Bautzen, Hoyerswerda und Kamenz

Mehr aus Sachsen