Eine Frau mittleren Alters mit braunem halblangem Haar und einem Festivalpass um den Hals lehnt lächelnd  in einem Türrahmen.
Die Autorin und Filmemacherin Grit Lemke möchte unter den aktuellen Umständen nicht mehr Mitglied im Beirat des Lausitz Festivals sein. Bildrechte: FilmFestival Cottbus

Kultur ohne Einheimische Lausitz Festival: Kulturschaffende schlagen Alarm

von Stefan Petraschewsky, MDR KULTUR-Theaterredakteur

22. November 2023, 04:00 Uhr

Schon länger steht das Lausitz Festival in der Kritik, Kultur nur von außen in die Lausitz zu bringen und die regionalen Kulturschaffenden kaum mit einzubeziehen. Doch genau das soll das Festival eigentlich leisten, den Strukturwandel in der Lausitz begleiten, wofür jedes Jahr 4,5 Millionen Euro Förderung fließen. Mit einem offenen Brief prangern Lausitzer Kulturschaffende die Situation nun an und fordern ein "echtes Lausitz Festival". Die Autorin und Filmemacherin Grit Lemke zieht sich jetzt aus dem Beirat des Lausitz Festivals zurück.

  • Filmemacherin Grit Lemke will nicht mehr im Beirat des Lausitz Festivals sein.
  • Hintergrund ist u. a. die Kritik am Lausitz Festival. Regionale Kulturschaffende werfen der Festivalleitung vor, die regionale Kulturszene kaum mit einzubeziehen. In einem offenen Brief fordern sie ein "echtes Lausitz Festival".
  • Auch was die Verlängerung der künstlerischen Leitung und die Besucherzahlen angeht, zeigt das Festival vor dem Hintergrund massiver Fördersummen wenig Transparenz.

Grit Lemke hat ihren Austritt aus dem künstlerischen Beirat des Lausitz Festivals erklärt, "weil man keinerlei Möglichkeit der Mitgestaltung hat", sagte die Autorin und Filmemacherin MDR KULTUR. Mitgestaltung sei aber ihre Intention gewesen, "weil ich den Gedanken des Lausitz Festivals total schätze und wichtig finde für unsere Region." Lemke kritisiert, dass das Festival kaum mit der Region verknüpft sei, z. B. wenn Inszenierungen mit dem Geld des Festivals in Hamburg entstehen würden, um diese dann in der Lausitz aufzuführen.

Lemke sagt, dass die künstlerische Leitung die Lausitz nicht kenne und dort nicht lebe. Lemke kritisiert, dass das Festival von der Geschäftsführung immer wieder als "Geschenk" an die Lausitz bezeichnet werde. Das sei paternalistisch: "Von jemandem, der beschenkt wird, erwartet man Dankbarkeit."

Lemke bemängelt, dass es für die Verlängerung der Intendanz im Frühjahr keine Ausschreibung gegeben habe, wie man dies in einem Rechtsstaat erwarten würde: "Es wird immer gesagt, der Intendant bringe ja das Geld mit. Als wäre es sein Privatgeld. Meines Wissens sind es aber Steuergelder." Lemke findet es "erschütternd", dass die daraus resultierende Kritik am Festival, die von Kulturschaffenden aus der Region kommt, von einem Mitglied des Aufsichtsrates als "Neiddiskussion" abgetan werde.

"Wenn richtige Fragen gestellt werden, auch Fragen der Transparenz, dann wäre es die Aufgabe eines Beirats, genau diese Fragen an die Leitung des Festivals zu stellen. Das ist nicht passiert." Die Beiratssitzungen erinnern Lemke an Veranstaltungen, die sie nur aus der DDR-Zeit kenne: "Das läuft so ab, dass der Intendant das Programm verkündet, alle loben ihn, und dann heben alle die Hand. Und immer, wenn Kritik geäußert wird, wird gesagt: "Du hast es nur nicht richtig verstanden."

Lemke betont, dass sie die Arbeit des Teams schätze und das Anliegen des Festivals, hochkarätige Kultur in die Region zu bringen, nicht in Frage stelle.

Über das Lausitz Festival und seinen künstlerischen Beirat Seit 2020 findet das Lausitz Festival jährlich als länderübergreifendes Kunstfestival in Sachsen und Brandenburg statt. Es soll den Strukturwandel in der Lausitz begleiten. Die Idee ist, dass internationale Künstler auftreten und für Glanz sorgen, und dabei regionale Kunst und Kultur einbezogen und gefördert wird. Und natürlich soll viel Publikum kommen.

Damit das alles klappt, gibt der Bund jedes Jahr vier Millionen Euro an Fördermitteln für das Festival. Das Land Sachsen und Brandenburg legen jeweils 200.000 Euro oben drauf. Dazu kommen rund 100.000 Euro Drittmittel. Am Ende sind es etwa 4,5 Millionen Euro. Doch von Anfang an gibt es auch Kritik. Von einem Ufo ist die Rede, das für ein paar Wochen in der Lausitz landet und dann wieder weg ist.

Das Lausitz Festival, das seit dem 1. April als Lausitz Festival GmbH existiert, hat neben dem Aufsichtsrat auch einen künstlerischen Beirat. In ihm sitzen Spartenvertreter aus der Region, zum Beispiel für Musik und Theater, Kunst und Soziokultur. Auch die Sorben gehören dazu. Über den Beirat soll laut Gesellschaftsvertrag die Region eingebunden werden. Der Beirat kann Beschlussempfehlungen zur Konzeption des Festivals abgeben. Er hat das Recht, dem Aufsichtsrat eine künstlerische Leitung vorzuschlagen.

Im künstlerischen Beirat ist Grit Lemke als "freischaffende Autorin und Regisseurin" Mitglied. Ihr Dokumentarfilm "Bei uns heißt sie Hanka" über sorbische Identität hat Anfang November das Filmfest Cottbus eröffnet und war im Wettbewerb bei DOK Leipzig. Davor hatte Lemke den Film "Gundermann Revier" gedreht und das Buch "Kinder von Hoy" geschrieben. Film und Buch haben bundesweit großen Erfolg. Außerdem kuratiert Lemke seit vielen Jahren Filmreihen. Sie war viele Jahre lang Leiterin des Filmprogramms bei DOK Leipzig. Eine Expertin also.

Initiative "für ein echtes Lausitz Festival"

Seit September 2023 macht ein offener Brief die Runde, der "Arbeitspapier für ein echtes Lausitz Festival" überschrieben ist. Diese Initiative nennt 25 Erstunterzeichnende der Kunst- und Kulturszene in der Lausitz, die teilweise für Vereine und Netzwerke sprechen. Immer mehr schließen sich an. Ausdrücklich bekennen sich die Unterzeichnenden zu der Idee eines Festivals, das internationale Strahlkraft mit der Kultur vor Ort zusammen denkt.

Eine sorbische Braut und ein sorbischer Bräutigam stehen sich bei ihrer Hochzeit im Film "Bei uns heißt sie Hanka" gegenüber.
Eine Besonderheit der Lausitz ist die Zweisprachigkeit. Deswegen sind Namen auf Schildern oft deutsch und sorbisch geschrieben. Die Homepage des Lausitz Festivals ist nur auf deutsch und englisch zu lesen. Auf dem Bild ist eine sorbische Hochzeit aus Grit Lemkes Film "Bei uns heißt sie Hanka" zu sehen. Bildrechte: Neue Visionen Filmverleih

Allerdings scheine das Programm des Lausitz Festivals derzeit willkürlich zusammengestellt und wenig verortet. Beunruhigend sei, dass ostdeutsche Künstlerinnen und Künstler kaum einbezogen würden. In der angespannten politischen Situation sei der Austausch künstlerischer Positionen und der Aufbau europa- oder weltweiter Netzwerke sinnvoll und wichtig, aber dafür müssten die Betreffenden vor Ort auf Augenhöhe einbezogen werden. Die Besetzung der Intendanz des Lausitz Festivals sei nicht transparent und dadurch nicht nachvollziehbar. Herausgehoben heißt es im offenen Brief: "Wir stellen Fragen und wir fordern Transparenz!"

Festivalintendant: Verlängert, um Aufbauarbeit zu würdigen

Der künstlerische Beirat hat gemäß Gesellschaftsvertrag der Lausitz Festival GmbH auch ein Vorschlagsrecht gegenüber dem Aufsichtsrat für die künstlerische Leitung. In der Antwort der brandenburgischen Kulturministerin auf eine kleine Anfrage der Fraktion Die Linke heißt es auf die Frage, nach welchem Verfahren die Intendanz des Festivals ausgesucht wurde, dass mit Intendant Kühnel ab 1. April 2023 ein Vertrag mit fünfjähriger Laufzeit "in Würdigung seiner Aufbauarbeit unter schwierigen Startbedingungen" abgeschlossen wurde.

Männer diskutieren auf einem Podium, im Hintergrund ist der Schriftzug "Lausitz Festival" zu lesen.
Daniel Kühnel (Mitte) wurde mit Wirkung vom 1. April 2023 als Intendant "in Würdigung seiner Aufbauarbeit unter schwierigen Startbedingungen" für fünf weitere Jahre unter Vertrag genommen. Bildrechte: Lausitz Festival

Mit dieser Antwort stehen Fragen im Raum: Konnte der Beirat sein Vorschlagsrecht in das Verfahren einbringen? War der Stellenwert dieser "Würdigung" so hoch, dass andere Argumente eine untergeordnete Rolle spielten? Ein Beirat müsste bei seinem Vorschlag nicht nur den Aspekt einer "Würdigung" vor Augen haben, sondern auch drei Dinge prüfen: internationale Strahlkraft; regionale Verankerung und Beteiligung; und eine erhebliche Breitenwirkung in die Region.

Schöngerechnete Auslastungszahlen?

Wenig Transparenz zeigt das Festival auch bei den Besucherzahlen, die üblicherweise zum Festivalende veröffentlicht werden. Die Pressemitteilung zum Ende des Lausitz Festivals 2023 nennt nur eine "Gesamtauslastung von 80 Prozent". Erst auf Nachfrage wird die Gesamtbesucherzahl genannt: 5.083 Besucherinnen und Besucher an 17 Festivaltagen. Eine kürzlich zu Ende gegangene Ausstellung in Museum für moderne Kunst in Cottbus sei hier noch nicht eingerechnet. Es handelt sich um eine Kooperation bei einer Rauminstallation.

Besucherinnen und Besucher schauen sich die Ausstellung "Falten für Perkussion" während des Lausitz Festivals an. In der Mitte ist die Ausstellungsfläche mit mehreren Notenständern zu sehen.
Besucherinnen und Besucher schauen sich die Ausstellung "Falten für Perkussion" während des Lausitz Festivals an. Bildrechte: Nikolai Schmidt

Die ganz genauen Besucherzahlen sind in der Antwort der Landesregierung auf die schon erwähnte kleine Anfrage der Fraktion Die Linke im Landtag Brandenburg genannt. Dort sind die Veranstaltungen aufgeführt, für die beim Festival 2023 Tickets gekauft werden konnten. Insgesamt gab es ein Platzkontingent von 6.357 Plätzen, von den 3.386 "besetzt" werden konnten. Das sind rund 53 Prozent. Die Differenz zu den 5.083 Besuchern, die das Festival als Gesamtbesucherzahl angibt, resultiere aus "zahlreichen Veranstaltungen ohne Ticketverkauf".

Immer weniger Plätze

Das Platzkontingent bei der Theateraufführung von Shakespeares "Kaufmann von Venedig" beträgt zur Premiere 90, zur zweiten Vorstellung 70 und zur dritten und vierten Vorstellung 65 Plätze. Warum nimmt das Kontingent ab? Zum Abschlusskonzert in der Kirche Cunewalde mit einem der, laut Programmheft, "bekanntesten Geigenvirtuosen unserer Zeit, der mit seiner Brillanz und Könnerschaft die höchsten Gipfel seiner Zunft erklimmt" kommen 240 Besucherinnen und Besucher.

Die Kirche gilt als größte Dorfkirche Deutschlands und hat 2.632 Sitzplätze. Wegen Dachsanierung ist die obere Galerie gesperrt. Man kann nicht von allen Plätzen gut sehen und es gibt Sicherheitsauflagen, weshalb das Lausitz Festival das Platzkontingent auf 660 Plätze beschränkt hatte. Zur traditionellen Christvesper mit Lichtpyramiden werden in diesem Jahr wieder rund 2.000 Gäste erwartet.

Entfaltet das Festival mit diesen Zahlen eine "erhebliche Breitenwirkung in die Region"? Das ist ein Ziel, das in der Rahmenvereinbarung zwischen Bund und den Ländern Sachsen und Brandenburg für das Lausitz Festival formuliert ist. Zum Vergleich: das Neiße Filmfest im Mai 2023 erreicht an nur sechs Festivaltagen rund 4.800 Besucherinnen und Besucher; beim Bautzener Theatersommer sind es 33.820 Zuschauerinnen und Zuschauer an 39 Tagen.

Rund 885 Euro Fördergeld pro Ticket

Wenn man das Budget des Lausitz Festivals von rund 4,5 Millionen Euro durch die vom Festival benannten 5.083 Besucher teilt, ergibt sich eine Fördersumme von rund 885 Euro pro Besucher. Auch hier ein Vergleich: Der Spiegel errechnet 2022 für einen Opernbesuch bei einem durchschnittlichen Kartenpreis von 40 Euro eine öffentliche Förderung von 210 Euro. Beim Lausitz Festival sind es also mehr als vier mal so viel.

Zwei Musiker geben ein Konzert auf einer Bühne in einer Kirche, das Publikum applaudiert.
In die Dorfkirche Cunewalde passen eigentlich über 2.000 Menschen. Zum Lausitz Festival aber nur wenige Hundert. Bildrechte: Nikolai Schmidt

Mission: In Dunkeldeutschland "das Licht anknipsen"

Intendant Kühnel hatte 2019 bei einer Ideenkonferenz zum Lausitz Festival erklärt, er wolle mit dem Lausitz Festival hierzulande "das Licht anknipsen" und "gucken, wer im Raum ist". Mit anderen Worten: Wenn da andere im Raum sind, dann tappen die im Dunkeln umher. Das wirkt bei dem überschaubaren Erfolg, den Kühnel hat, überheblich und ruft ein Klischeebild auf, das Ostdeutschland und die Kulturschaffenden hierzulande als Dunkeldeutschland diskreditiert.

Quellen: MDR KULTUR (Stefan Petraschewsky)
Redaktionelle Bearbeitung: hro

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 22. November 2023 | 06:30 Uhr

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