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Bianka Kluge genießt es, beim Weben in Großschönau vom Alltagstrubel abzuschalten. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Weben Aufbäumen, Schüsse und inneres Glück in Großschönau

25. Februar 2024, 14:05 Uhr

Die friedfertigsten Schüsse erlebt man im Textildorf in Großschönau. Schuss heißt es hier, wenn beim Weben ein Querfaden durch die Längsfäden geflochten wird. Beim Weben mit der Hand ist das ein stiller Vorgang, bei dem sich innere Ruhe und Gelassenheit breitmacht. Dem haben sich am Wochenende einige Frauen aus der Oberlausitz in einem Webkurs hingegeben.

Die Wochenenendsonne schickt ihre Strahlen durchs Fenster und lässt die bunten Fäden leuchten. Die Zeit dehnt sich aus, während auf hölzernen Webrahmen Faden um Faden Stoffe wachsen. Sie könne dabei völlig abschalten, sagt Bianka Kluge. "Und falls etwas nicht gerät, hat man immer die Möglichkeit, das noch einmal geradezubiegen."

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Die Webschule in Großschönau hat am Wochenende zum Anweben eingeladen. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Die 44-jährige Sorbin sitzt an einem Tisch im urigen Dachgeschoss des Damast- und Frottiermuseums in Großschönau. Sie habe mit ihrer Tochter mal gewebt, aber der Stoff hatte sich dabei verzogen. Ein klassischer Fehler, wie die Jeßnitzerin eben erfuhr. "Der Faden muss in einem Bogen gelegt werden, damit er die Spannung in der Breite nicht nimmt", sagt Bianka Kluge und schiebt mit dem Kamm im Rahmen ihren nun nicht zu festen Faden auf die Stoffbahn.

Ein Kissen zum Einhuscheln

Für alle Kursteilnehmerinnen hier ist das Weben Neuland - auch für Heike Wünsche aus Oppach. Sie sitzt an einer feuerroten Stoffbahn, aus der später ein Bezug werden soll. "Für ein Kissen zum Einhuscheln." Das Weben habe in ihrem Leben eine wichtige Rolle gespielt, wie die 56-Jährige erklärt. Ihre Mutter arbeitete bis zur Wende in Ostritz in den Zweigwerken von VEB Lautex Zittau. "Da war sie in der Düsenweberei. Da wurde der Schuss mit einer Luftdüse durch die Kettfäden durchgeschossen."

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Heike Wünsches Mutter hatte bis zur Wende in der Düsenweberei von VEB Lautex gearbeitet. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Schuss nennt man den Vorgang, wenn der Querfaden durch die vielen auf den Rahmen gespannten Längsfäden, sogenannte Kettfäden, gezogen wird. Hier im Vereinsraum des Textilmuseum geschieht das mit einem Weberschiffchen. Ach nein, es handelt sich um eine Webnadel, wie Kursleiterin Steffi Friebolin von der Webschule Großschönau den Laien berichtigt. Schiffchen haben eine Spule und sehen tatsächlich wie kleine Boote aus. Hier aber ist der Faden um einen eingekerbten Holzstab gewickelt.

Lautes Knacken beim Bäumen

Die leidenschaftliche Handweberin tritt zu Davia Feurich. An ihrem Rahmen spannen die Längsfäden sehr. Mit einem beherztem Griff und lautem Knacken wickelt Steffi Friebolin sie ein Stückchen von der Rolle am Rahmen herunter. Die Rolle wird als Baum bezeichnet. Je nachdem, ob Fäden rauf oder unter kommen, wird auf- beziehungsweise abgebäumt.

Davia Feurich habe schon immer mal weben wollen und nun die Gelegenheit beim Schopfe gepackt. "Das hat mit Strick zu tun, mit Fäden und Stoff - und ich liebe das", schwärmt die Waltersdorferin.

Unterdessen steht Kursleiterin Steffi Friebolin schon beim nächsten Rahmen. Hier ist der Querfaden ausgegangen. Ein Restchen hält sich noch auf der Webnadel. Beim Handweben gebe es keine Weberknoten, wenn der Faden für einen Schuss nicht reiche, werde einfach ein neuer drübergelegt, erklärt die Expertin.

Die Frauen haben sich um den Rahmen versammelt und schauen gespannt zu. Staunend lachen sie, als Steffi Friebolin den alten Faden bis zum letzten Fitzelchen ausreizt. "Ja, ja. Weber waren ganz sparsame Leute und Garn kostet nun wirklich ein Heidengeld", kommentiert sie schwungvoll.

Bildergalerie Weben im Textildorf Großschönau

Großschönau, wo noch die Textilfabriken Damino und Frottana produzieren, ist geprägt von der Geschichte des Webens.

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Im Damast- und Frottiermuseum von Großschönau wird die Geschichte der Damastweberei erzählt. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt
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Im Damast- und Frottiermuseum von Großschönau wird die Geschichte der Damastweberei erzählt. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt
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Im Damast- und Frottiermuseum kann man einen Blick auf historische Webmaschinen werfen. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt
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In einer Halle weben Mitglieder des Museumsfördervereins noch heute. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt
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Die alte Webschule an der Waltersdorfer Straße wird noch saniert. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt
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Ob Schals, Taschen oder Tücher - in der Großschönauer Webschule kann man selbst Stoffunikate herstellen. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt
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Für Winterveranstaltungen weicht die Webschule in die Räume des Fördervereins des Damastmuseums aus. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt
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Im Sommer gibt es aber auch Kurse und Ausstellungen in der Webschule. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt
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Ausstellung zur Textilindustrie in der Webschule

Seit einem Jahr leitet Steffi Friebolin die Großschönauer Webschule. Diese ist noch im Aufbau. Der eigentliche Sitz der Webschule, einen Kilometer entfernt an der Waltersdorfer Straße, wird gerade saniert. Auch wenn hier bereits seit 2021 Webkurse angeboten werden, fehlt noch immer die Heizung. Deshalb ist Steffi Friebolin mit ihrem Winterkurs ins Damastmuseum ausgewichen. Sie hofft aber, dass im nächsten Winter die Webschule genutzt werden kann. Dort, wo in den Räumen auch die großen Handwebstühle stehen.

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Die Webschule in Großschönau wird saniert. Ab Mitte April wird hier eine neue Ausstellung über die Textilindustrie zu sehen sein. Bildrechte: MDR/Madeleine Arndt

Nach dem Anweben an diesem Wochenende folgen weitere Veranstaltungen. So gibt es ab April in der Webschule eine große Ausstellung über die Textilindustrie der Zukunft zu sehen. Denn diese sei mehr als Kleidung, so Steffi Friebolin. "Textilindustrie - oftmals totgesagt - findet im Gegenteil eine unheimlich breite Anwendung: angefangen von Bautextilien bis hin zur Medizintechnik."

MDR

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Regionalreport aus dem Studio Bautzen | 26. Februar 2024 | 14:30 Uhr

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