Ein Schild "Hilfscenter Sparbüchse" über dem Eingang eines breiten Flachbaus.
Das "Hilfscenter Sparbüchse" in der Chemnitzer Lessingstraße hat Angebote für Menschen mit schmalem Geldbeutel. Bildrechte: MDR/Thomas Friedrich

Armut Sozialkaufhaus in Chemnitz: Helfen und helfen lassen

19. Februar 2024, 06:00 Uhr

2022 galten laut Paritätischem Wohlfahrtsverband 17 Prozent der Bevölkerung in Sachsen als armutsgefährdet. Damit lag der Freistaat im Bundesvergleich zwar im hinteren Drittel. Doch ob das so bleibt, wird sich nach der nächsten Erhebung zeigen. Denn die Zahl dürfte nach oben gehen, wie eine Reportage aus dem Chemnitzer Sozialkaufhaus "Sparbüchse" zeigt.

Ich bin mit Eric Schreyer, dem Leiter des Chemnitzer Sozialkaufhauses "Sparbüchse" auf dem Chemnitzer Sonnenberg verabredet. Bei dem Namen denke ich unwillkürlich an meine Kindheit, als mir Kleingeld fürs Sparschwein zugesteckt wurde.

Die Kunden der Chemnitzer "Sparbüchse" haben wahrscheinlich keine Reserven, auf die sie zurückgreifen können. Am Vormittag herrscht hier ziemlicher Andrang, junge Frauen und Männer, aber auch viele ältere Menschen suchen hier für kleines Geld Haushaltwaren, Bekleidung oder Möbel.

Eric Schreyer, der Projektleiter des Sozialkaufhauses "Sparbüchse" in Chemnitz.
Eric Schreyer, der Projektleiter des Sozialkaufhauses "Sparbüchse" in Chemnitz, kümmert sich mit seinem Team darum, dass gespendete Waren zum Selbstkostenpreis wieder neue Besitzer finden. Bildrechte: MDR/Thomas Friedrich

Die Zahl der Kunden hat stetig zugenommen. "Das hat schon vor 18 Monaten etwa begonnen, dass der Zustrom zur 'Sparbüchse' zugenommen hat", erzählt mir Schreier. Unter ihnen seien viele Seniorinnen und Senioren mit kleiner Rente. "Wenn sie Miete, Strom, Nebenkosten und Lebensmittel bezahlt haben, ist nicht mehr viel Geld übrig." Dann sei nichts mehr da für einen neuen Kühlschrank, eine Waschmaschine, selbst für Bekleidung.

Als ich Kamera und Notizblock beiseite lege, fängt eine Rentnerin an zu erzählen. Ihren Namen will sie, wie die meisten anderen hier, nicht nennen. Die Kosten für Strom und Lebensmittel seien derart gestiegen, dass sie und ihr Ehemann trotz zweier Renten kaum über die Runden kämen. Da reiche das Geld nicht für andere Dinge. Sie gönnt sich heute einen kleinen Osterhasen aus Holz und ein Osterdeckchen.

Ein Mann um die 70 sucht unterdessen für seine Enkel nach ein paar Kleinigkeiten. Er hat schon ein Buch in seinem Einkaufskorb. Über die Gründe, die ihm zum einkaufen in der "Sparbüchse" bewegen, sagt er mir nichts.

Blick in einen Verkaufsraum mit Schaufensterpuppe und Metallregalen.
Bildrechte: MDR/Thomas Friedrich

Sozialverband VdK fordert höhere Renten

Die Beispiele aus Chemnitz sind keine Einzelfälle, wie mir Horst Wehner, Landesverbandsvorsitzender des Sozialverbandes VdK Sachsen, mitteilt. Der VdK warne schon lange vor der ansteigenden Altersarmut. "Ursachen sind unter anderem der große Niedriglohnbereich, unterbrochene Erwerbsbiografien oder der Eintritt einer vorzeitigen Erwerbsunfähigkeit", sagt er.

Horst Wehner
Horst Wehner, Landesverbandsvorsitzender des Sozialverbands VdK Sachsen, fordert langfristig einen Umbau des Rentensystems und höhere Renten. Bildrechte: VdK Sachsen

Gleichzeitig beantragten noch zu wenige Menschen mit niedrigen Renten zum Beispiel Wohngeld oder weitere ergänzende Leistungen. Neben einer Erhöhung des Rentenniveaus fordert der VdK langfristig den Umbau der gesetzlichen Rentenversicherung zu einer Erwerbstätigenversicherung, in der auch alle Selbstständigen und Beamte einbezogen werden sollen.

Helferinnen und Helfer erhalten selbst Hilfe

Eric Schreyer führt mich weiter durch die Räume der "Sparbüchse". Ich bekomme Gelegenheit, hinter die Kulissen des Sozialkaufhauses zu blicken und treffe zwei Frauen beim Abwaschen. Sie sichten, sortieren, spülen und polieren das gespendete Geschirr, bevor es zum Weiterverkauf ins Regal kommt. Jede Menge Arbeit, bei der sie mir freimütig erzählen, wie sie in der "Sparbüchse" aufgenommen wurden.

In einer gefliessten Küche sortieren zwei Frauen loses Geschirr aus einem Einkaufswagen.
Das Geschirr wird, bevor es in den Verkauf kommt, gründlich geprüft und nochmals gereinigt. Bildrechte: MDR/Thomas Friedrich

Übereinstimmend berichten sie, dass sie sich angenommen fühlen. Sie loben das freundliche Miteinander, das sie sonst im Chemnitzer Alltag oft vermissen. "Das ist sehr angenehm hier", sagt eine der beiden. "Hier schaut dich niemand schräg an." Ganz im Gegenteil, der Umgang der Mitarbeiterinnen und des Chefs sei sehr freundlich. Sie hoffe, dass sie weiterhin hier arbeiten könne, auch wenn ihre Maßnahme vorbei ist. Sie lacht und wendet sich wieder dem Abtrocknen zu.

Ihre Kollegin am Abwaschtisch hat die Stelle über die Arbeitsagentur bekommen. Wegen einer Erkrankung sei sie schwer vermittelbar. "Ich bin erst kurze Zeit hier", sagt sie. "Es ist schön hier." Auch sie lobt die freundliche Atmosphäre im Sozialkaufhaus.

Eine Frau räumt verschiedene Gläser in ein Regal, die mit handgeschiebenen Preisschildern versehen sind.
Ein Regal voller Gläser: Die Waren sind gespendet oder stammen aus Haushaltsauflösungen. Bildrechte: MDR/Thomas Friedrich

Eric Schreyer betont auch diesen Aspekt der Hilfe im Sozialkaufhaus. "Insgesamt sind hier 60 Menschen beschäftigt. Einige Festangestellte, Ehrenamtler, Menschen, die sich im Bundesfreiwilligendienst engagieren, aber auch Jugendliche mit einem gebrochenen Lebenslauf."

Für sie gebe es das Programm "Motivation zur Arbeit". Neun Jugendliche würden derzeit betreut. "Wir versuchen, ihr Selbstbewusstsein zu stärken und an den Arbeitsmarkt heranzuführen." Der Verein vermittle dann Praktika und im besten Fall eine Lehrstelle.

An einem Kleiderständer in einem Verkaufsraum ein Schild: "Jungs Piullover ab 110".
Hier finden auch Eltern Bekleidung für ihre Kinder zu einem überschaubaren Preis. Bildrechte: MDR/Thomas Friedrich

Nach zwei Stunden verlasse ich das Kaufhaus. Ein freundliches "Auf Wiedersehen" der Damen von der Kasse entlässt mich wieder auf die Straße. Ich bin um die Erkenntnis reicher, dass Wärme nicht unbedingt nur etwas mit der Raumtemperatur zu tun haben muss.

Verein "Selbsthilfe 91" Der Verein "Selbsthilfe 91" wurde 1992 gegründet, die Idee dazu entstand bereits ein Jahr früher. Der Verein rekonstruierte und baute bis 2001 vier Häuser für mehr als 300 Mieter. Es folgten Wohnprojekte für Jugendliche, die Beratungsstelle "Lichtblick", die Begegnungsstätte "Treff am Wind", das Sozialkaufhaus "Sparbüchse" und zwei Kreativwerkstätten für arbeitslose und behinderte Menschen. Eine Sozialküche liefert Schulessen für drei Schulen. In Niederfrohna wurden in der Wetzelmühle zwei Wohngruppen für Jugendliche eingerichtet.
Seit der Gründung des Vereins wurden mehr als 5.300 Personen betreut. Der Verein selbst hat 75 festangestellte Mitarbeiter. Quelle: Verein "Selbsthilfe 91 e.V."

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN - Das Sachsenradio | Nachrichten | 18. Februar 2024 | 11:00 Uhr

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