Einsamkeit- eine junge Frau schaut rauchend aus dem Fenster
Gesellschaftliche Krisen treffen Menschen mit psychischen Erkrankungen oft noch härter als andere. (Symbolbild) Bildrechte: imago images/Petra Schneider

Flöhaer Trialog Corona, Krieg, Naturkatastrophen: "Es gibt Tage, da komme ich nicht aus dem Bett"

15. März 2023, 12:44 Uhr

"Corona, Krieg, Erdbeben – Wie gehe ich mit gesellschaftlichen Krisen um?" Unter diesem Motto nahmen am Dienstag rund 40 Menschen am Flöhaer Trialog teil. Psychisch kranke Menschen, deren Angehörige sowie Fachärzte, Therapeuten und interessierte Bürger kamen zum Thema miteinander ins Gespräch.

Dienstagnachmittag, Diakonie Flöha: Im Haus Weitblick, einer Wohnstätte der Diakonie, sind rund 40 Menschen zusammengekommen, die eins vereint: Sie fragen sich, wie sie mit den Krisen dieser Zeit umgehen sollen.

Viele von ihnen haben Erfahrungen mit psychischen Erkrankungen gemacht, aus eigenem Erleben, als Angehörige von Erkrankten oder weil sie im Hilfesystem arbeiten. Der sogenannte Trialog soll ein Austauschort für alle diese Menschen sein, ist aber auch für interessierte Bürgerinnen und Bürger offen. Dieses Mal steht der Trialog unter dem Thema "Corona, Krieg, Erdbeben – Wie gehe ich mit gesellschaftlichen Krisen um?".

"Impfzwang", "Armutsrisiko", "Gasknappheit" - die Krisen dieser Zeit

Andreas Keller, Heimleiter des Hauses Weitblick, eröffnet den Austausch, indem er die Krisen der letzten Jahre und die damit einhergehenden neuen Begriffe noch einmal aufzählt. So stehen "Impfzwang" und "Coronaleugner" stellvertretend für die Corona-Pandemie, "Armutsrisiko" und "Wucherpreise" für die Inflation und "Gaspreisbremse" und "Gasknappheit" für die Energiekrise. Auch der Angriffskrieg von Russland auf die Ukraine wird benannt.

Medienkonsum verstärkt oft Angstgefühle

Schnell melden sich Anwesende zu Wort und sind sich einig: Nachrichten und Medienkonsum haben ihre Angstgefühle in diesen Krisen verstärkt. Man könne kaum noch den Fernseher anschalten, ohne die immer gleichen Schreckensmeldungen zu sehen, sagt ein Mann. Andere bringen Beispiele, was ihnen geholfen hat, diese Themen besser zu bewältigen. Ob malen, lesen, reiten oder einen Spaziergang mit Freunden machen: Der gemeinsame Nenner scheint eine Beschäftigung zu sein, die ein positives Gefühl in der Person auslöst. Außerdem sprechen viele von einer Reduzierung der Mediennutzung.

Ein Mann erzählt davon, dass die Corona-Pandemie für ihn auch sehr positive Auswirkungen hatte: "Ich habe Dinge wieder wertschätzen gelernt, die früher selbstverständlich waren", sagt er. "Zum Beispiel ein Kinobesuch oder ein Besuch bei der Familie." Auch andere Krisen, wie das Hochwasser 2002 in Sachsen und das Hochwasser im Ahrtal, werden thematisiert. "Mir hat es gut getan, im Fernsehen auch so viel Hilfsbereitschaft zu sehen", sagt eine ältere Frau.

Krisen als Wendepunkte betrachen

Krisen seien nicht immer negativ, sagt ein anwesender Arzt. Manchmal brauche man Krisen, um wieder auf den Boden der Tatsachen zu kommen, vor allem als Gesellschaft. "Krisen sind Wendepunkte", sagt er. "Von da aus kann es in die eine oder die andere Richtung gehen."

Einige Menschen im Raum geben Einblicke in ihre Krankheitsgeschichten. Da ist von persönlichen Krisen, Trauer, Aufenthalten in der Psychiatrie und fehlender Unterstützung die Rede. Wichtig sei, sich an das Hilfesystem zu wenden, wenn man bemerkt, dass man die Situation nicht mehr selbst in den Griff bekommt, sagt Matthias Gröll, Psychiatriekoordinator für den Landkreis Mittelsachsen. "Es gibt niedrigschwellige Beratungsangebote, die sich gut als Erstanlaufstelle eignen", sagt er. "Außerdem können wir im Landkreis über den sozialpsychiatrischen Dienst im Normalfall innerhalb einer Woche ein Erstgespräch vermitteln." Wartezeiten gebe es vor allem im Bereich der ambulanten fachärztlichen Behandlung, was am allgemeinem Fachkräftemangel läge.

Gemeinsam an Ausweg aus der Krise arbeiten

Menschen mit psychischen Erkrankungen reagieren auf negative Nachrichten laut Gröll oft sensibler als andere Menschen. Für viele Dinge, die ein gesunder Mensch automatisch mache, wie sich abzulenken und positive Impulse zu setzen, brauche ein Mensch mit psychischer Erkrankung Unterstützung. "Wir müssen dann gemeinsam daran arbeiten, wie man aus einer Krise kommt", so Gröll.

Eine ältere Frau bedankt sich bei allen Anwesenden für die positiven Beispiele im Umgang mit Krisen. "Aber es gibt Tage, da komme ich einfach nicht aus dem Bett", sagt sie. Ihre Erkrankung hat sie mehr oder weniger in die Einsamkeit getrieben, da ihr Mann sie verließ und auch ihre Freundinnen ihr nach einer Zeit keine Unterstützung mehr sein konnten oder wollten. Sie verzichtet oft auf den Konsum von Nachrichten. Sie sei mit ihren eigenen Krisen schon genug beschäftigt. Der Gedanke an einen Bibliotheksbesuch lässt sie aber lächeln. Sie lese sehr gern, vor allem historische Romane und Krimis.

Trauriger junger Mann am Fenster
In Sachsen hat der Anteil unter jüngeren und männlichen Beschäftigten mit psychischen Belastungen laut DAK deutlich zugenommen. Bildrechte: IMAGO / Bihlmayerfotografie

Mehr Fehltage wegen psychischer Erkrankungen in Sachsen - In Sachsen haben die Fehltage von Beschäftigten wegen psychischer Leiden 2022 einen Höchststand erreicht, so die Krankenkasse DAK-Gesundheit.

- 2022 seien je 100 Versicherte 292 psychisch bedingte Fehltage verzeichnet worden. Das sei die höchste Zahl seit Beginn der Erhebungen vor 25 Jahren.

- Die stärksten Anstiege gab es laut dem aktuellen Report von DAK-Gesundheit bei den jüngeren und männlichen Beschäftigten. Trotzdem litten ältere Menschen und weibliche Beschäftigte am häufigsten an Seelenleiden.

- Depressionen seien der häufigste Grund der Krankschreibungen, an zweiter Stelle stehen laut dem Report Belastungs- und Anpassungsstörungen.
Quelle: epd

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MDR (ali)

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