Nach der Wahl Starkes BSW, schwache Linke
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15. Juni 2024, 05:00 Uhr
Bei den Kommunalwahlen ist das Bündnis Sahra Wagenknecht als einer der Gewinner der Wahl hervorgegangen. Dabei hat die Partei vor allem der Linken und der SPD Wähler abspenstig gemacht. In Werdau in Sachsen ist schon vor Monaten eine ganze Stadtratsfraktion von der Linken zu BSW übergetreten. Ein Politikwissenschaftler warnt vor dem Verlust der Volksparteien und vor einer schwierigen Regierungsbildung.
- In Werdau hat eine gesamte Stadtratsfraktion von der Linken zum BSW gewechselt.
- Zusätzlich hat das BSW bei der Wahl in Ostdeutschland viele Stimmen geholt – Stimmen, die vorher Linke und SPD gehörten.
- Laut einem Politikwissenschaftler ist das eine schwierige Ausgangslage für die Regierungsbildung.
Wenige Tage vor der Kommunal- und Europawahl in Werdau in Sachsen: Auf einer Wiese sind neben Spielplätzen Hüpfburgen und eine Station der Feuerwehr aufgebaut. Mittendrin: Das Gesicht von Sahra Wagenknecht – auf einem großen Wahlplakat. Denn das traditionelle Kinderfest in Werdau wurde in diesem Jahr nicht von der Linken organisiert wie die letzten 15 Jahre – sondern vom Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW).
Die Linke hatte eine Stadtratsfraktion – von heute auf morgen nichts mehr!
Der Grund: Zum Zeitpunkt des Kinderfestes gibt es Die Linke in Werdau faktisch nicht mehr. Einziger Ansprechpartner für die Linkspartei in Werdau ist jetzt Steffen Gruna – der aber in einem Nachbarort für die Linken kandidiert. In Werdau sei bei der Linken alles auf null gesetzt worden, sagt Gruna: "Wir hatten eine Facebook-Seite, die ist dann von Linke auf BSW umbenannt worden. Die Stadtratsfraktion auch! Die Linke hatte eine Stadtratsfraktion – von heute auf morgen nichts mehr!"
Werdauer Linken-Fraktion zu BSW gewechselt
Wie kann eine ganze Stadtratsfraktion von heute auf morgen nicht mehr existieren? Indem sie zu einer anderen Partei wechselt. Im vergangenen November trat Heiko Döhler als ehemaliger Fraktionsvorsitzender der Linken im Stadtrat von Werdau mit der gesamten Fraktion zur Wagenknecht-Partei über.
Döhler erzählt, die Fraktion habe das Thema offen und ohne Zwang in einer Redaktionssitzung diskutiert und sich gemeinsam dafür entschieden, diesen Schritt zu gehen. "Es musste in eine andere Richtung gehen. Und dann lieber jetzt, als dann dieses ‚Mache ich, mache ich nicht‘."
Es musste in eine andere Richtung gehen. Und dann lieber jetzt.
Es sei ein klarer Strich nötig gewesen. Der Parteiwechsel einer ganzen Fraktion – das ist wohl ein klarer Strich. Auch in Werdau soll es dabei unter anderem um Fragen wie Migration und Krieg und Frieden gegangen sein.
Begeisterung für Wagenknecht
Ähnliche Zeit, anderer Ort: Sahra Wagenknecht kommt nach Leipzig. Hunderte warten hier auf sie, viele sehen in ihr geradezu eine Heilsbringerin.
"Das, was sie vertritt, ist das eigentlich, was mir aus dem Herzen spricht!", sagt eine Besucherin der Veranstaltung, ein anderer: "Das, was sie redet, ist nicht Wischiwaschi!". Und eine andere Besucherin fordert: "Das Land braucht Veränderung!"
Das, was sie redet, ist nicht Wischiwaschi!
So ähnlich formuliert es später auch Wagenknecht in ihrer Rede: "Uns eint doch alle das Gefühl: So wie derzeit kann es in unserem Land nicht weitergehen!" Eine Parole, die offenbar zieht. Denn in Ostdeutschland hat Wagenknechts BSW bei der Europawahl fast 14 Prozent der Wählerinnen und Wähler überzeugt.
BSW verändert politische Machtverhältnisse
Der Politologe und Publizist Albrecht von Lucke sagt: "Die Ironie der Geschichte besteht darin, dass man eigentlich auf bürgerlicher Seite dem Bündnis Sahra Wagenknecht fast schon schöne Augen machte, weil man sagte, das wäre die letzte Chance, um der AfD Wähler abspenstig zu machen." Passiert sei das Gegenteil. Das Bündnis habe nicht in erster Linie der AfD Wähler abspenstig gemacht, sondern den Linken und vor allem der SPD.
Von Lucke betont außerdem noch ein weiteres Problem: "Wir verlieren die letzten Volksparteien!" Es gebe aktuell nur noch zwei Volksparteien, sagt er: "Einerseits die CDU/CSU im Westen und im Osten, so hart muss man das sagen, die AfD!" Im Osten sind die AfD und das BSW die eigentlichen großen Gewinner der Europawahl. Wagenknechts großes Wahlkampfthema Krieg und Frieden hat hier gut funktioniert. Für viele Beobachter ist klar: Mit der neuen Wagenknecht-Partei ändern sich die politischen Machtverhältnisse. Koalitionen werden schwieriger.
Wir verlieren die letzten Volksparteien!
Das bestätigt auch der Politologe von Lucke: "Die Regierbarkeit im Lande wird generell mit einer erstarkenden Sahra-Wagenknecht-Partei immer schwerer." Wagenknecht müsse bundespolitisch erst einmal unter Beweis stellen, dass sie regieren will. Seiner Einschätzung nach sei allerdings eine Partei, die wie Wagenknechts BSW die Ukraine vergessen und sofort Frieden mit Russland machen wolle, bundespolitisch nicht regierungsfähig – "allenfalls auf Landesebene", so schätzt er ein: "Und bereits das ist enorm schwierig!"
Verluste vor allem bei der Linken
Die Kommunalwahlen haben gezeigt, dass das BSW in den neuen Bundesländern schon sehr viel durcheinandergewirbelt hat, gerade im Osten. Dort leidet vor allem Wagenknechts alte politische Heimat, Die Linke. Das ist an den Wahlergebnissen deutlich zu erkennen: In Thüringen, wo ein populärer Ministerpräsident der Linken regiert, trat das Wagenknecht-Bündnis bei der Kommunalwahl nur in vier Kreisen an.
Wo das BSW nicht antrat, hielt sich die Linkspartei noch ganz gut, mit im Schnitt rund 10 Prozent. Wo das BSW aber antrat, erreichten sie durchschnittlich nur etwas mehr als halb so viele Stimmen. In Sachsen-Anhalt dagegen kam es fast überall annähernd zu einer Halbierung der Linkspartei – obwohl das BSW dort nirgends antrat. Und in Sachsen, wo das BSW fast überall antrat, wurde die Linkspartei mehr als nur halbiert.
Linke in Werdau bleibt bestehen
Im sächsischen Werdau allerdings gab es für Die Linke bei der Kommunalwahl wenigstens eine gute Nachricht. Zwar hat es Steffen Gruna im Nachbarort von Werdau nicht in den Gemeinderat geschafft. Doch in Werdau selbst, wo in diesem Jahr das BSW das Kinderfest organisiert hat, hat die Linkspartei zumindest einen Sitz im Stadtrat errungen. Gruna sagt: "Weil hier in Werdau ja gefühlt uns alles weggebrochen ist, haben wir gesagt: Wenn wir einen reinkriegen, wäre es ein Erfolg."
Und nun wird also tatsächlich ein Kandidat wird für Die Linke in den Stadtrat einziehen: Willy Lippold. "Die Linke in Werdau gibt es noch!", freut sich Steffen Gruna.
Ich selber bin natürlich hoch glücklich, dass ich in Werdau jetzt für die Linke in den Stadtrat einziehen konnte.
Allerdings: Lippold ist kein Mitglied der Linken – sondern bei der Satirepartei Die Partei. "Weil die den besten Humor haben", sagt er. Und fügt hinzu: "Ich selber bin natürlich hoch glücklich, dass ich in Werdau jetzt für die Linke in den Stadtrat einziehen konnte. Und das, obwohl ich nicht mal Parteimitglied bin."
Landtagswahl steht bevor
Und während es in Werdau die Linken mit Hilfe eines Kollegen der Satirepartei in den Stadtrat geschafft haben, freuen sich die von den Linken übergetretenen BSWler. Denn die neue BSW-Fraktion wird mit vier Sitzen genauso stark sein wie es die Linksfraktion im Stadtrat vor dem Übertritt der Fraktion gewesen ist.
Dies habe für die Fraktion viel Arbeit bedeutet, aber die sei auch belohnt worden, sagt Fraktionsvorsitzender Heiko Döhler: "Da müssen wir uns auch bei den Bürgern bedanken, dass wir die Vorschusslorbeeren bekommen haben." Vor der Fraktion lägen spannende fünf Jahre. Und sowieso: Bald sei ja schon wieder Landtagswahl, erinnert er. Auch bei der Landtagswahl am 1. September wird das Bündnis Sahra Wagenknecht antreten. Genau wie Linke und AfD. Ob sich dann annähernd dieselben Machtverhältnisse zeigen wie jetzt bei der Europawahl – offen.
MDR (Alisa Sonntag)
Dieses Thema im Programm: MDR Exakt | 12. Juni 2024 | 20:15 Uhr