Flucht und Migration Aufgeheizte Stimmung bei Asyl-Informationsabend in Dresden

01. April 2023, 21:24 Uhr

Immer mehr Kommunen in Deutschland kommen wegen fehlender Asylunterkünfte an ihre Grenzen. In Dresden sollen Containerdörfer helfen, um die Menschen aus Syrien, Afghanistan, Venezuela, Russland und der Türkei aufzunehmen. Zu den Plänen beantworteten unter anderem Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) und Sozialbürgermeisterin Kristin Kaufmann (Linke) Fragen von Bürgern. Die aufgeheizte Stimmung in der Dresdner Dreikönigskirche drohte zeitweise zu kippen.

Die rund 360 Plätze im Saal der Dreikönigskirche sind voll besetzt. Wer zu spät kommt, findet keinen Platz mehr. Hintergrund der öffentlichen Informationsveranstaltung am Freitagabend sind die Planungen der Stadt Dresden, bis zum Herbst neun Standorte für mehrere Wohncontainer zu errichten, in denen mehr als 800 Asylbewerberinnen und -bewerber Platz finden sollen. Nach der aufgeheizten Stimmung bei einem Anti-Asyl-Protest in Zittau am Donnerstag gibt es Befürchtungen, dass es auch in der Dreikönigskirche zu ähnlich tumultartigen Situationen kommen könnte. Von Beginn an ist die Stimmung auch in Dresden angespannt.

Bereits zu Veranstaltungbeginn muss der Moderator des Bürgerdialogs Oliver Reinhard das Publikum mehrmals um Ruhe bitten. Birgit Bublinski-Westhof vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die über das Asylverfahren und Fragen der Identitätsbestimmung bei Geflüchteten informiert, wird mehrmals unterbrochen. Manche Gäste fordern bereits, Fragen stellen zu dürfen.

Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) nimmt schließlich das Mikrofon in die Hand und spricht sich für einen offenen, respektvollen Dialog aus. Doch es gibt immer wieder lautstarke Unterbrechungen, vereinzelt auch von Vertretern rechter Gruppierungen und der "Querdenken"-Szene.

OB Hilbert bekennt sich zur Aufnahme von Asylsuchenden

Zu der Frage aus dem Publikum, ob er sich als Stadtoberhaupt dafür einsetze, weniger Flüchtlinge aufzunehmen, sagt Hilbert deutlich: "Es ist unsere humanitäre Verpflichtung, Flüchtlinge aufzunehmen." Ein Zwischenruf, der viel Applaus findet: "Gibt es denn dann auch ein Bündnis für arme Rentner?" Dresdens Sozialbürgermeisterin Kristin Kaufmann (Linke) antwortet: "Wir sind auch für die ältere Bevölkerung da." Für ältere Menschen gebe es bereits Anlaufstellen bei Verarmung, Ängsten und Vereinsamung.

Es ist unsere humanitäre Verpflichtung, Flüchtlinge aufzunehmen.

Dirk Hilbert Oberbürgermeister Dresden

Ab Juni nicht mehr genügend Asylunterkünfte

Für die Stadt Dresden werde es immer schwieriger, weitere Geflüchtete unterzubringen, verdeutlicht Sozialbürgermeisterin Kaufmann die Situation der Stadt. Seit vergangenem Jahr seien wieder mehr Flüchtlinge nach Dresden gekommen. 2022 waren es laut Kaufmann rund 1.550 Asylbewerber, bis Ende dieses Jahres rechne man mit weiteren 2.200 Menschen.

Wir haben nicht die Zeit, Liegenschaften und Wohnungen zu sanieren. Wir als Stadt haben nicht die Möglichkeit, keine Geflüchteten aufzunehmen.

Kristin Kaufmann Sozialbürgermeisterin Dresden

Doch die Zeit dränge, weil ab Juni nicht mehr genügend Wohnungen für Geflüchtete vorhanden wären. Deswegen sollen die Wohncontainer knapp die Hälfte der erwarteten Personen aufnehmen. Dazu Kaufmann: "Wir haben nicht die Zeit, Liegenschaften und Wohnungen zu sanieren. Wir als Stadt haben nicht die Möglichkeit, keine Geflüchteten aufzunehmen." Danach wird es unter den Gästen sehr laut. Vereinzelt wird gerufen: "Und was ist mit der Sicherheit?"

Straftaten von Asylbewerbern rückläufig

Dazu zeigt Ulrich Menke vom sächsischen Innenministerium anhand der aktuellen Kriminalstatistik, dass sich die von vielen empfundene Unsicherheit nicht in der Zahl der Gewalttaten widerspiegele. Demnach sind laut Menke die Straftaten durch Asylbewerber "in der Gesamtbetrachtung" im Freistaat leicht zurückgegangen. Das wollen im Publikum wohl nicht alle glauben. Menke wird durch höhnische Rufe unterbrochen.

Nähe zu Grundschulen und Kinderkrippen kritisiert

Sozialbürgermeisterin Kaufmann versucht aufzuklären. Nicht alle Geflüchteten seien junge Männer. Zwar sei "jeder zweite Geflüchtete männlichen Geschlechts." Doch ein Viertel der Geflüchteten in Dresden seien Kinder.

Die Fragen zur Kriminalität und zur Unterbringung sind besonders häufig. Betroffene Anwohner in Sporbitz, Marsdorf und Strehlen wollen wissen, warum gerade in ihren Stadtvierteln eine Asylunterkunft geplant ist.

Dazu eine Anwohnerin des geplanten Containerdorfs am Rudolf-Bergander-Ring: "Wir haben dieses Containerdorf vor den Kopf geknallt bekommen." Die Rednerin kritisiert die Nähe zu einer Grundschule, Kinderkrippen und des Kindernotdienstes. "Unsere Töchter werden zu Frischfleisch, unsere Söhne zu Opfern, weil sie abgezogen werden", sagt sie. Moderator Oliver Reinhard greift ein: "Das ist eine grobe Unterstellung, wenn manche sagen, dass da nur Verbrecher kommen."

Zu wenige Stimmen, die Positives betrachten

Den vielen kritischen Stimmen an diesem Abend antwortet ein Mann, der sich in der Integrationsarbeit engagiert: "Es sprechen zu wenige darüber, was bereits gut läuft." Vielen Geflüchtete seien als Krankenpfleger oder in den Dresdner Verkehrsbetrieben bereits gewonnen worden.

Es sprechen zu wenige darüber, was bereits gut läuft.

Gast aus dem Publikum

Dem stimmt auch der Geschäftsführer des Ausländerbeirats Dresden Christian Schäfer-Hock zu. "Im Vordergrund müssen die Menschen- und Bürgerrechte stehen", sagt Schäfer-Hock. Die Aufnahmebereitschaft der Dresdnerinnen und Dresdner schätze Schäfer-Hock als groß ein: "Das spiegelt sich in der Dankbarkeit der Geflüchteten wieder." Daraufhin applaudiert eine größere Menge.

Eskalation bleibt aus

Trotz zahlreicher Störungen und Unterbrechungen, blieb die große Eskalation an diesem Abend aus. Das bestätigt auch die Polizei auf Anfrage von MDR SACHSEN. Demnach sei die Veranstaltung "störungsfrei" verlaufen.

MDR (phb, dle)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | SACHSENSPIEGEL | 01. April 2023 | 19:00 Uhr

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