Appell zum Dialog Dresdner Kabarettist: Nicht alle AfD-Wähler zu Faschisten erklären
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28. Januar 2024, 09:41 Uhr
Die Dresdner Herkuleskeule war zu DDR-Zeiten eine Institution. Heute hat Philipp Schaller die künstlerische Leitung. Er trat in die Fußstapfen seines Vaters Wolfgang Schaller, der für seine mit Peter Ensikat kreiierten Programme im Osten gefeiert wurde. Sie seien wie Eisbrecher gewesen, Ventil und Ermutigung, sagen Fans von einst. Doch was heißt es heute, politisches Kabarett zu machen? Nicht alle AfD-Wähler zu Faschisten zu erklären, sondern zu differenzieren, sagt Philipp Schaller und fordert auf zum Dialog.
- Aus Angst vor der AfD auf Kritik an der Ampel-Regierung zu verzichten, nennt der Dresdner Kabarettist Philipp Schaller "Schwachsinn".
- Schaller plädiert dafür, nicht alle AfD-Wähler zu Faschisten zu erklären, den Dialog zu suchen und zu differenzieren.
- Schallers Plan für die Dresdner Herkuleskeule ist politisches Kabarett auf der Höhe der Zeit.
Der Kabarettist Philipp Schaller hat zu einem differenzierten Umgang mit AfD-Wählern aufgerufen. Er könne sich nicht auf die Bühne stellen und sagen, alle, die diese Partei wählten, seien Faschisten, erklärt er im Gespräch mit MDR KULTUR.
Kein Verzicht auf Kritik aus Angst vor der AfD
Schaller, der seit 2020 auch künstlerischer Leiter der Dresdner Herkuleskeule ist, sagt dazu weiter: "Wir haben vielleicht in acht Monaten in Sachsen eine AfD-Regierung, damit müssen wir uns ja mal auseinandersetzen." Es gelte, genau hinzugucken, warum gerade so viele Menschen glaubten, AfD wählen zu müssen. Mit Blick auf seine Arbeit als Kabarettist führte Schaller weiter aus, Differenzierung sei das eine Zauberwort, Ambivalenz das andere. Aus Angst vor der AfD nicht mehr die Grünen oder die Ampel kritisieren zu können, wie einige Kabarett-Kollegen glaubten, sei aber "gefährlicher Schwachsinn." So betreibe man erst recht das Geschäft der AfD.
Offenbar fühlten sich viele Menschen mit ihren Problemen nicht mehr gesehen. "Dass die AfD als Partei vorgibt – und ich möchte ganz fett unterstreichen – vorgibt, die Probleme der Leute zu sehen, reicht dann offenbar schon aus, dass die Leute sagen: 'Dann wählen wir die.'" Darüber müsse man reden, betont Schaller und fordert auf zum Dialog.
Appell zum Dialog: "Wir haben verlernt zu streiten"
Die Gelegenheit zum Dialog ergreift der Autor und Kabarettist nach eigenem Bekunden bei seinen Tourneen, die ihn nicht nur in Großstädte, sondern auch kleinere Orte im Osten führten. "Auch die, die AfD wählen, sitzen bei uns im Publikum. Das heißt, wir kriegen Widerspruch aus dem Saal", berichtet Schaller. Er könne nur lachen, wenn "Moral-Kabarettisten wie Sarah Bosetti oder Jan Böhmermann" ankündigten, sie machten eine Deutschland-Tournee mit Stationen in München, Hamburg oder Berlin. "In Spremberg, Zwickau oder Reichenbach besteht man nicht damit, dass man einfach nur seine Haltung rausposaunt. Die Konfrontation mit der Wirklichkeit verändere das Schreiben: "Es wird nämlich konkreter, und es wird auch differenzierter." Dabei gelte es, vor dem Publikum zu bestehen "ohne seine Haltung zu ändern".
In seinem aktuellen Programm bringt Philipp Schaller gerade den Streit um gendergerechte Sprache und nachhaltige Lebensweise unter dem Titel "Rabimmel, Rabammel, Rabumm – Zwei Männer retten die Welt" als musikalische Kabarettkomödie auf die Bühne der Herkuleskeule in Dresden. Die Kritik in der Lokalpresse bescheinigt ihm, weit mehr zu bieten als billige Witze über Kanzler, Klimakleber oder SUV-Fahrer, vielmehr teile er in alle Richtungen aus. Im Gespräch mit MDR KULTUR erklärt Schaller selbst, er bekomme interessanterweise nun auch Mails, die ihm AfD-Nähe unterstellten, wohl weil die von ihm gespielte Figur im Programm eher bürgerliche Positionen vertrete. In dieser Verwechslung sieht er genau den Kern des Problems: Man könne die Dinge aus verschiedenen Blickwinkeln sehen. Nur: "Wir haben verlernt, miteinander darüber so zu streiten, dass das Gegenüber nicht zum Feind erklärt wird." Er lade nach jedem Programm ein, ins Gespräch zu kommen:
Ich wünsche mir, dass die Leute, die nicht einverstanden sind mit dem, was wir auf der Bühne machen, hinterher dableiben und mit uns ins Gespräch kommen.
Herkuleskeule Dresden: Kabarett auf Höhe der Zeit
Schaller, der erst Schauspieler werden wollte und später auf Lehramt studierte, trat dann doch in die Fußstapfen seines Vaters. Wolfgang Schaller galt als einer der bedeutendsten Satiriker und Kabarett-Autoren des Ostens. Seine gemeinsam mit Peter Ensikat verfassten Stücke waren nicht nur in Dresden außerordentlich erfolgreich, sie wurden auch von anderen Kabaretts übernommen und vom Publikum gefeiert. Wie beide daran arbeiteten, bekam Philipp Schaller als Kind und Jugendlicher aus nächster Nähe mit. Von Haus aus habe er gelernt, politisch wach zu sein und sich selbst seine Meinung zu bilden, erzählt er im Gespräch mit MDR KULTUR. Als prägend für seine Laufbahn beschreibt er zudem die Zusammenarbeit mit der Kabarettistin Gisela Oechelhaeuser. 2020 trat er als künstlerischer Leiter der Herkuleskeule die Nachfolge seines Vaters an.
Gefragt nach den Zukunftsplänen für das Haus, sagt Schaller im MDR-Gespräch, er habe angefangen mit großem Respekt vor der Aufgabe und der Verantwortung für ein Haus mit 20 Angestellten. Er habe dennoch keinen Masterplan. Sein Handeln sei bestimmt von der Idee, sich mit seinem Ensemble und den Programmen, die er verantworte, der Zeit zu stellen. Das sei in diesen Tagen mitunter eine absolute Zerreißprobe, aber eben das Kerngeschäft des Hauses.
MDR KULTUR (Ilka Hein), Redaktionelle Bearbeitung: Katrin Schlenstedt
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 28. Januar 2024 | 12:00 Uhr