Ein Mann mit Vollbart, schwarzer Mütze und runder Brille schaut in die Kamera.
Daryaz Mohammed hat bei einer Explosion im Bürgerkrieg auf seinem einen Auge das Augenlicht verloren. Vor zwei Jahren ist er nach Deutschland geflüchtet und möchte hier ein neues Leben beginnen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Migration Per Schleuser von Kurdistan nach Sachsen

16. Oktober 2023, 05:00 Uhr

In den vergangenen Monaten hat die Polizei immer wieder Schleuser dabei erwischt, wie sie Geflüchtete nach Sachsen gebracht haben. Oft waren es viel zu viele Menschen, die in viel zu kleine Fahrzeuge gepfercht wurden. Wer auf diese Weise Deutschland erreicht, ist froh, wenn er die Tortur überlebt hat. Doch wie läuft so eine Flucht ab und wie entsteht der Kontakt zu den Schleusern? MDR SACHSEN hat mit einem Geflüchteten geredet. Die Probleme rund um illegale Migration sind auch Thema am Montagabend bei "Fakt ist!" im MDR FERNSEHEN.

Daryaz Mohammed ist erst 28 Jahre alt. Dennoch haben sich bereits tiefe Sorgenfalten in seine Stirn gegraben. Das Leben habe ihn schnell altern lassen, sagt er. Mittlerweile wohnt der irakische Kurde in Dresden, aber hinter ihm liegt eine abenteuerliche Flucht.

Denn im Herbst 2021 ist er aus seiner Heimat geflohen - aus Verzweiflung. "Wer kritische Fragen stellt, hat es in Kurdistan schwer. Meinungsfreiheit wird nicht akzeptiert. Auch nicht an der Universität", berichtet er.

Ein Mähdrescher erntet ein Rapsfeld ab.
Bildrechte: picture alliance/dpa | Jens Büttner

Er sei zu unbequem gewesen und habe beispielsweise auch mal nachgefragt, was mit dem Geld passiert, das mit dem Ölhandel eingenommen wird. "An der Universität hat mir der Präsident gesagt: Das ist das letzte Mal. Wenn du das noch mal machst, sitzt du im Gefängnis", erinnert sich Daryaz Mohammed und fügt an: "Ich wusste, dass die etwas gegen mich unternehmen, mich vielleicht sogar töten. Ich hatte große Angst und habe daher Kurdistan verlassen."

Neben der Regionalregierung, die Andersdenkende verfolge, hätten für seine Entscheidung auch die äußeren Bedingungen eine Rolle gespielt: "Strom und vor allem Wasser sind vor allem für einfache Menschen in Kurdistan Mangelware."

Situation im Irak/Kurdistan

Berichte der Menschenrechtsorganisation Amnesty International stützen die Schilderungen von Daryaz Mohammed. Die Meinungs- und Versammlungsfreiheit sind den Angaben zufolge im Siedlungsgebiet Kurdistan im Irak eingeschränkt. So hätten Sicherheitskräfte der Regionalregierung bereits gewaltsam Proteste aufgelöst. Zudem würden immer wieder Journalisten festgenommen und attackiert. In der Rangliste der Pressefreiheit belegt Irak den 167. Platz von 180. Laut Amnesty International liegen außerdem Berichte über Misshandlungen von Gefängnis-Insassen vor.

Außerdem schwerwiegend für die Zivilbevölkerung ist die Wasserknappheit. Diese sei in den zurückliegenden Jahren so verheerend gewesen, dass insbesondere auf die Menschenrechte zur Gesundheit, Arbeit, Wasser- und Sanitärversorgung von Millionen Irakern in Gefahr waren. "Die irakischen Behörden versäumten es, den am stärksten Betroffenen und marginalisierten ländlichen Gemeinschaften angemessene Unterstützung zukommen zu lassen", heißt es in dem Bericht von Amnesty International dazu.

Kontakt zu Schleusern über Chatgruppen

Doch wie sollte er von Erbil nach Europa und speziell nach Deutschland gelangen, wo er sich Sicherheit und Freiheit erhoffte? "Über Chatgruppen in sozialen Netzwerken habe ich die Information bekommen, dass es möglich ist, via Dubai nach Minsk und von dort nach Deutschland zu kommen."

Allerdings sei dafür ein entsprechendes Visum nötig. "Es ist nicht legal, aber es gibt viele Unternehmen, die sich um so etwas kümmern. Die setzen sich mit dem belarussischen Konsulat in Istanbul in Verbindung, um die Papiere zu organisieren." Bei ihm habe das zwei Monate gedauert und er habe 3.000 Euro für das Visum bezahlt.

Grenzer wollen kein Geld, aber Zigaretten

Obwohl er beim Warten auf das Visum Geduld haben und danach die entsprechenden Flüge organisieren musste, war das offenbar noch der leichte Teil der Flucht. Ernst wurde es dann wenig später, als er versucht habe, die Grenze von Belarus nach Polen zu überqueren. "Das ist eine ganz eigenartige Atmosphäre. Man hat dort wirklich Todesangst", berichtet Daryaz Mohammed.

Zudem müsse man die Spielregeln an der Grenze kennen. "Wir mussten zwar nicht mit den belarussischen Soldaten verhandeln, um über die Grenze zu dürfen, und haben auch kein Geld gezahlt - allerdings wollten sie Zigaretten haben. Zwei kleine Päckchen habe ich übergeben."

Es sei Zufall gewesen, dass er die dabei hatte. "Ich war wirklich überrascht, dass das notwendig ist", erinnert sich der 28-Jährige an die Situation vor rund zwei Jahren. Anschließend sei es ganz vorsichtig Stück für Stück über die Grenze gegangen.

Kein Weg zurück nach Belarus

Sehr weit seien er und die anderen Flüchtenden aber nicht gekommen, erzählt Daryaz Mohammed: "Wir sind in Polen aufgegriffen und von einer Militärstation aus zurückgeschickt worden." Die Rede ist hier von sogenannten Push-backs. Dabei wird Flüchtenden nicht die Möglichkeit gegeben, einen Asylantrag zu stellen. Stattdessen werden sie "zurückgeschoben" in das Land, aus dem sie gekommen sind. Diese Praxis wird allerdings als illegal angesehen.

Zurück in Belarus merkte die Gruppe, dass sie dort nicht mehr willkommen ist. Stattdessen habe sie eine böse Überraschung erwartet, berichtet der 28-Jährige weiter. "Die Schleuser und die belarussischen Soldaten arbeiten zusammen. Sie haben uns klargemacht, dass wir auf keinen Fall nach Minsk zurückkehren dürfen. Die Soldaten haben uns mit dem Tod bedroht, wenn wir im Land bleiben." Es habe nun kein Zurück mehr gegeben.

Schleuser: unter Drogen und gewalttätig

Ein Kommandant habe die etwa 100 Flüchtenden schließlich mit einer Hand voll Soldaten erneut an die polnische Grenze gebracht, erinnert sich der junge Mann. Auch Werkzeug hätten die Soldaten mitgebracht, um den Grenzzaun zu zerschneiden. "Ein Schleuser hat uns dann noch gezeigt, wie sich am besten ein Loch in den Zaun schneiden lässt. Er hat sich gebrüstet, dass er keine Angst hat und wir haben auch gemerkt, woran das lag."

Alle hätten gesehen, dass er viele Drogen und Alkohol zu sich genommen habe. "Das hat dann auch zu einem unberechenbaren Verhalten geführt. Die Schleuser sind nicht nett. Wenn sie was fragen und du antwortest nicht, dann schlagen sie dich gleich."

Die letzte Strecke zu Fuß nach Deutschland

Durch Polen ging es laut Daryaz Mohammed mit einem Kleinbus weiter. Doch dann habe es einen Unfall gegeben. Obwohl der 28-Jährige für die Schleusung von der belarussisch-polnischen Grenze bis nach Deutschland 2.500 Euro an seinen Schleuser gezahlt habe, sei er den restlichen Weg gelaufen - und das barfuß ohne Schuhe. Nach Deutschland geschafft hat er es trotzdem. Gemeinsam mit anderen Geflüchteten wurde er von der deutschen Polizei aufgegriffen und kam dann zunächst in die Erstaufnahmeeinrichtung des Freistaates Sachsen in Leipzig.

Daryaz Mohammed, der in seiner Heimat Soziale Arbeit studiert hat, möchte in Zukunft gern als Sozialarbeiter in Dresden arbeiten. Dazu muss er jedoch noch besser Deutsch lernen. Seine Geschichte steht stellvertretend für viele andere Geflüchtete. Doch nicht bei jedem geht sie gut aus. Manche bezahlen ihr Geschäft mit den Schleusern auch mit dem Leben.

MDR (sth/sat)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Fakt ist! | 16. Oktober 2023 | 22:10 Uhr

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