Neue Dauerausstellung Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau: Schicksale wirken bis heute nach
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22. November 2024, 11:35 Uhr
"Ich bin als Mensch geboren und will als Mensch hier raus" – so heißt die neue Dauerausstellung der Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau. An diesem Ort sollten in der DDR Jugendliche, die nach Meinung der Funktionäre aus der Reihe tanzten, zu "sozialistischen Persönlichkeiten" umerzogen werden – unter haftähnlichen Bedingungen. Zur Eröffnung am Freitag sind auch Ministerpräsident Michael Kretschmer und Kultur-Staatsministerin Claudia Roth vor Ort.
- Im geschlossenen Jugendwerkhof Torgau waren zwischen 1964 und 1989 mehr als 4.000 Jugendliche in der sogenannten "Umerziehung".
- Die neue Dauerausstellung in der Gedenkstätte will mittels audiovisueller Inszenierung Lebenswege und Schicksale erfahrbar machen.
- Der Ort ist auch eine Anlaufstelle für Betroffene, die bis heute mit Vorverurteilungen zu kämpfen haben.
Im ersten Raum des Rundgangs wird die Einweisungsprozedur dargestellt. Dunkle Wände, die nach oben und nach vorn schmaler zu werden scheinen, vermitteln in einem schleusenähnlichen Gang ein beengendes Gefühl, das durch Worte im Befehlston auf dem Boden noch verstärkt wird: "Stillgestanden! Ausziehen! Haare ab! Drei Tage Einzelhaft!", ist dort zu lesen.
Einziger geschlossener Jugendwerkhof der DDR
Diese Prozedur durchliefen ab 1964 mehr als 4.000 Jugendliche. Sie waren durch nonkonformistisches Verhalten aufgefallen, zumindest im Sinne einer "sozialistischen Persönlichkeit", wie sie der politischen Führung der DDR vorschwebte.
Der Titel der Ausstellung "Ich bin als Mensch geboren und will als Mensch hier raus" ist eine Inschrift in einer der Arrestzellen gewesen. Heute ist bekannt, dass der Schriftzug von einer Jugendlichen stammt, die noch 1989 in Torgau untergebracht war. Sie wurde damals aus dem Jugendwerkhof Klaffenbach bei Chemnitz nach Torgau überstellt.
Im November 1989 wurde der Jugendwerkhof Torgau geschlossen. Mit dem Ende der SED-Herrschaft war auch Schluss mit der von militärischem Drill, ideologischer Schulung und Gewalt, auch sexualisierter Gewalt, geprägten sogenannten Umerziehung. 32 Jugendwerkhöfe gab es in der DDR. Torgau war der einzige geschlossene, kam somit einem Gefängnis gleich – von meterhohen Mauern und Stacheldraht umgeben, mit vergitterten Fenstern und Arrestzellen.
Persönliche Lebenswege erfahrbar machen
In Torgau gab es auch Dunkelarrestzellen. Sie befinden sich, als Teil des Rundgangs, im Keller des ehemaligen Zellentrakts. Inzwischen sind aus dem Trakt normale Wohnhäuser mit blumenberankten Balkonen geworden. Von den Mauern und der Sturmbahn findet sich nichts mehr, zumindest aber erinnern Stelen an die Geschichte dieses Ortes – und natürlich das ehemalige Verwaltungshaus, die heutige Gedenkstätte.
Nur über diese persönlichen Schicksale kann man überhaupt ansatzweise erahnen, was das für die Menschen bedeutet haben muss, hier im geschlossenen Jugendwerkhof Torgau zu sein.
In der neuen Dauerausstellung setze man vor allem auf Inszenierungen, erläutert Leiterin Manuela Rummel. Über die DDR-Heimerziehung gäbe es kaum Bilder, deshalb versuche man jetzt zum Beispiel mit Animation und mit Hörbeiträgen das Leben an diesem Ort nachvollziehbar zu machen: "Wir gehen über die persönlichen Lebenswege, wir erzählen ganz viel über Biografien, weil ich denke: Nur über diese persönlichen Schicksale kann man überhaupt ansatzweise erahnen, was das für die Menschen bedeutet haben muss, hier im geschlossenen Jugendwerkhof Torgau zu sein."
Besondere Verantwortung gegenüber den Betroffenen
Torgau ist heute der einzig verbliebene Ort, der an die repressive Heimerziehung in der DDR erinnert. Insofern sind sich Manuela Rummel und ihr Team der Verantwortung bewusst, die sie gegenüber den Betroffenen haben.
"Bis heute sind viele der Meinung: Das waren damals alles Kriminelle, die schon nicht ohne Grund dort waren", führt Rummel aus. Das begleite die Betroffenen bis heute. Immer wieder müsse man sich rechtfertigen. Deswegen sei das Thema noch so schambehaftet. "Zu sagen: Ich war in einem Jugendwerkhof – das ist nach wie vor Stigma-behaftet", ergänzt die Leiterin. "Man muss sagen: Die Interessenvertretung für die Betroffenen ist bis heute auch keine sehr große."
Bis heute sind viele der Meinung: Das waren damals alles Kriminelle, die schon nicht ohne Grund dort waren.
In der Gedenkstätte in Torgau haben die Betroffenen jedenfalls nach wie vor eine Anlaufstelle – Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner, mit denen sie über ihre Erlebnisse reden können, von denen sie unterstützt werden. Eine Lobby. Das verdankt sich vor allem der 1996 gegründeten "Initiativgruppe Geschlossener Jugendwerkhof Torgau", die seither dessen Geschichte aufarbeitet und an die Schicksale der Frauen und Männer erinnern will. Ihre wichtigste Fürsprecherin ist seit Anfang an Gabriele Beyler.
Folgen einer geschlossenen Unterbringung aufzeigen
Für sie persönlich sei die neue Dauerausstellung "ein neuer Startschuss in eine neue Phase", so Beyler. Mit dieser Ausstellung könne man in Punkto Öffentlichkeitsarbeit und Bildungsarbeit nun ganz anders agieren, "um zu zeigen, welche Folgen eine geschlossene Unterbringung für Jugendliche und für Kinder hat." Und das nicht nur als Blick zurück in die DDR-Vergangenheit, sondern auch auf gegenwärtige Heimunterbringung.
Weitere Informationen zur Ausstellung
Neue Dauerausstellung: "Ich bin als Mensch geboren und will als Mensch hier raus. Der Geschlossene Jugendwerkhof Torgau im Erziehungssystem der DDR".
Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau
Eröffnung am 22. und 23. November
Geöffnet fürs Publikum ab 24. November
Der Eintritt ist frei.
Quelle: MDR Kultur (Grit Krause), Redaktionelle Bearbeitung: lm, lk
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 22. November 2024 | 07:10 Uhr