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In einem offenen Brief fordern 33 Autorinnen und Autoren einen geplanten Auftritt von Alice Schwarzer beim Literarischen Herbst in Leipzig abzusagen. Jörg Schieke und Thomas Bille ordnen die Positionen im Streit.

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Offener Brief Leipzig: Protest gegen Alice Schwarzers Auftritt beim Literarischen Herbst

von Jörg Schieke, MDR Kulturdesk

17. Oktober 2023, 18:19 Uhr

Ein geplanter Auftritt von Alice Schwarzer beim Literarischen Herbst in Leipzig sorgt für Diskussionen. Nachdem sich bereits einige Kooperationspartner des Literaturfestivals wegen der Veranstaltung zurückgezogen haben, fordern nun 33 Autorinnen und Autoren in einem offenen Brief die Absage der Lesung. Hintergrund sind Schwarzers umstrittene Aussagen über Transmenschen. Die Publizistin will am 25. Oktober ihre Autobiografie "Mein Leben" in der Leipziger Stadtbibliothek vorstellen.

Wenn in der nächsten Woche der Leipziger Literarische Herbst, gut bestücktes und traditionsreiches Literaturfestival, startet, so startet er in diesem Jahr aus einer kulturpolitisch angespannten Situation heraus: Das Festival-Team hat neben vielen anderen Lesungen, Gesprächen, Lyrik-Salons und Veranstaltungen für Jugendliche auch zu einer Lesung samt Gespräch mit Alice Schwarzer und ihrem langjährigen Lektor Helge Malchow eingeladen.

Alice Schwarzer, bekannteste Figur des deutschen Feminismus, soll ihre Autobiografie "Mein Leben" vorstellen, im Gespräch mit Helge Malchow. Schwarzer hat die feministische Bewegung im 20. Jahrhundert entscheidend mitgeprägt, zum Beispiel als Publizistin und Herausgeberin der Zeitschrift "Emma".

Alice Schwarzer
Alice Schwarzer in der Redaktion der von ihr gegründeten Zeitschrift "Emma". Bildrechte: picture alliance/dpa/Horst Galuschka

Inzwischen jedoch gilt Schwarzer Teilen der feministischen Bewegung in Deutschland als Feindin und Gegnerin, die rassistische, trans- und frauenfeindliche Positionen vertrete. Nun haben sich verschiedene mitveranstaltende Vereine und Institutionen zurückgezogen und wollen ausdrücklich nicht mehr als Mitveranstalter genannt sein. Dazu gehören die Buchhandlung Rotorbooks sowie die Magazine "Edit" und "Hot Topic!".

Offener Brief fordert Absage für Alice Schwarzer

In einem offenen Brief haben 33 Autorinnen und Autoren nun den Literarischen Herbst noch einmal aufgefordert, Alice Schwarzer keine Bühne für ihre problematischen Aussagen zu geben und die Veranstaltung aus dem Programm zu nehmen. Anja Kösler und Nils Kahlefendt, die, nach dem Rückzug des ursprünglich mitverantwortlichen Jörn Dege, das Festival nun zu zweit organisieren, haben auf solche Forderungen bereits zuvor mit einem Statement reagiert.

"Wir waren uns bewusst, dass mit Schwarzer eine umstrittene, durch provokante, manchmal auch für uns problematische Äußerungen, polarisierende Autorin ein Podium im Rahmen des Festivals erhält. Dennoch stehen für uns die Errungenschaften einer Publizistin außer Frage, die sich seit Jahrzehnten für Feminismus weltweit eingesetzt und damit emanzipatorische Bewegungen und die Bundesrepublik nachhaltig geprägt hat", heißt es dort.

Der Auftritt von Alice Schwarzer im Rahmen des Literarischen Herbstes stelle für einige der Programm-Partner eine rote Linie dar: So habe sich die Buchhandlung Rotorbooks aus der ursprünglich verabredeten Buchhandelspartnerschaft zurückgezogen. Auch das Team des Magazins "Hot Topic!" habe sich dazu entschlossen, dass es nicht in einem Programm neben Alice Schwarzer stehen will, so die Festivalleitung. "Wir respektieren diese Entscheidungen, auch wenn sie uns traurig machen. Natürlich kann es in Vorbereitung und Durchführung eines so breit aufgestellten Festivals zu Spannungen kommen – nie war es unsere Absicht, gezielt zu provozieren oder zu verletzen", teilen Anja Kösler und Nils Kahlefendt mit.

Cécil Joyce Röski kritisiert Transfeindlichkeit

Demgegenüber stellt Cécil Joyce Röski, die den offenen Brief gegen den Schwarzer-Auftritt mitinitiiert hat, fest: "Wir finden, dass der Literarische Herbst eine Verantwortung gegenüber seinen Mitveranstalter*innen hat und der Hetze gegen marginalisierte Gruppen durch Alice Schwarzer ohne kritische Einordnung und um jeden Preis eine Bühne gibt – wodurch sich der Literarische Herbst mit marginalisierten Gruppen entsolidarisiert".

Alice Schwarzer würde der Trans-Community aktiv schaden, indem sie trans-feindliche Narrative propagiere (zum Beispiel auf dem Cover der letzten "Emma"-Ausgabe), betont Röski. "Sie hat Stimmung gegen das Selbstbestimmungsgesetz gemacht – und behauptet, dass transfeminine Personen eine Gefahr in Frauenschutzräumen darstellen", kritisiert Röski.

Der Stand jetzt: Die Veranstaltung mit Alice Schwarzer wird stattfinden. Es gibt einen, nun auch öffentlich ausgetragenen, Konflikt zwischen denen, die durch Alice Schwarzer die Rechte marginalisierter Gruppen attackiert sehen – und denen, die mit Alice Schwarzer eine Person eingeladen sehen, "an der es ein breites öffentliches Interesse gibt". So wie der Herbst ein Programm anbieten möchte, dessen "Veranstaltungen für weite Teile der Stadtgesellschaft relevant sind."

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version
dieses Artikels hatten wir Cécil Joyce Röski fälschlicherweise Cecilia Joyce Röski genannt. Wir bitten um Entschuldigung.

Quellen: MDR KULTUR, dpa
Redaktionelle Bearbeitung: lig, hki

Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 17. Oktober 2023 | 11:30 Uhr

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