Polizei an einer Schule in Leipzig.
SEK-Beamte checken am 6. Juli 2023 die Lage vor dem Leipziger Reclam-Gymnasium. Bildrechte: IMAGO / Christian Grube

Nach Amok-Alarm Leipziger Polizei prüft Zusammenhänge mit Notruf-Missbrauch in Berlin und München

14. Juli 2023, 17:19 Uhr

Der Amok-Alarm an einem großen Leipziger Gymnasium hat für großes Aufsehen gesorgt. Viele Polizisten waren vor Ort. Der Alarm erwies sich als Fehlalarm. Jetzt wird geprüft, ob dieser Fehlalarm absichtlich herbeigeführt worden ist. Die Polizei schaut sich auch ähnliche Fälle in Berlin und München an. Jedes Mal wurde der Alarm über die bundesweite Notruf-App nora ausgelöst.

Nach dem Amok-Alarm an einer Leipziger Schule prüft die Polizei Zusammenhänge mit anderen Fällen von Notruf-Missbrauch. Das sagte Polizeisprecherin Therese Leverenz MDR SACHSEN und fügte hinzu: "Derzeit gehen wir von einem Missbrauch aus." Am gleichen Tag habe es einen ähnlichen Fall in München und rund eine Woche zuvor einen Fall in Berlin gegeben.

Unbekannter setzte Notruf in Leipzig ab

Wer in der vergangenen Woche den Notruf in Leipzig abgesetzt hatte, ist bisher unklar. Nach eigenen Angaben dauerten die Ermittlungen der Polizei an. Dabei arbeite die Polizei auch mit Kollegen aus Nordrhein-Westfalen zusammen. Diese sind für die "nora-"App zuständig. Über diese Notruf-App der Bundesländer war am Donnerstagvormittag (6. Juli 2023) gegen 10:30 Uhr Alarm in Leipzig geschlagen worden. Zwei verdächtige Personen sollten sich im Umfeld des Anton-Philipp-Reclam-Gymnasiums aufhalten, hieß es.

Polizei schneller als der Telefon-Hinweis

Der App-Alarm landete laut Polizeisprecherin Leverenz sofort bei der Polizei. Die habe ihre "lebEl-Einheit" los geschickt, die zuständig für lebensbedrohliche Einsatzlagen ist. Nach MDR-Informationen waren die Beamten so schnell da, dass es in der kurzen Fahrtzeit nicht mehr gelang, jemanden in der Schule im Zentrum-Südost zu erreichen. Lehrer und Schüler waren entsprechend überrascht, als plötzlich SEK-Beamte das Gebäude stürmten. Bei einigen Schülern seien Tränen geflossen. Das Gebäude wurde evakuiert, für Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler ging es entlang schwer bewaffneter Polizisten in Reih und Glied hinaus. Nachdem die Beamten keinen Täter ausfindig machen konnten, gaben sie gegen 13 Uhr Entwarnung.

Polizeiwagen und Polizisten an einer Schule in Leipzig.
Die für lebensbedrohliche Lagen zuständige Polizeieinheit war schnell vor Ort am Reclam-Gymnasium in Leipzig. Bildrechte: IMAGO / Christian Grube

Fehlalarme in München und Berlin

Eine Stunde nach dem Leipziger Alarm hatte es auch eine Amok-Warnung an einer Grundschule in München-Neuperlach gegeben. Dort war von einem bewaffneten Mann die Rede. Acht Tage zuvor hatte die nora-App einen Mann mit Waffe an der Gemeinschaftsschule Carl-von-Ossietzky in Berlin-Kreuzberg gemeldet. Auch das erwies sich mutmaßlich als Fehlalarm.

Zwei von drei Tätern werden in Sachsen entdeckt

In Sachsen sind die Aussichten, dass der Verursacher eines absichtlich herbeigeführten Fehlalarms davonkommt, bei 35 Prozent: "Die Aufklärungsquote bei solchen Delikten liegt in Sachsen bei 65 Prozent", sagte Landespolizeiinspekteur Petric Kleine MDR SACHSEN. Er warnt: "Das ist kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat, die mit einer Geld- oder einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren geahndet wird. Es ist skrupellos und verwerflich, weil dadurch Einsatzkräfte gebunden werden, die vielleicht an anderer Stelle gebraucht werden, um Menschenleben zu retten." Wenn der Geschädigte, wie eine Schule, aus einem falschen nora-Alarm zivilrechtlich erfolgreich auf Schadensersatz klage, dann könne auch eine hohe Geldstrafe auf den Sünder zukommen.

Zehn Prozent falscher Alarm in Sachsen

In Sachsen gab es nach Polizei-Angaben zwischen Oktober 2021 und April 2023 787 Notrufe über die nora-App. In zehn Prozent der Fälle handelte es sich dabei um absichtlich falschen Alarm.

"nora-App ergänzt klassischen Notruf"

Den Zweck der App erläutert Petric Kleine: "Sie ist eine Ergänzung zum klassischen Notruf über Handy oder Telefon. Sie wurde eigentlich geschaffen für Menschen mit Sprach- oder Hörbehinderung. Inzwischen wird sie aber auch genutzt für Nicht-Sprachkundige. Man kann mit ihr auch einen stillen Notruf absetzen." Das ist ein Notruf, wenn man gar nicht sprechen kann oder sich bedroht fühlt.

Petric Kleine, Polizeiinspekteur
Petric Kleine, der Inspekteur der Polizei Sachsen, nennt den Missbrauch von Notrufen "skrupellos". Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Mit dem Alarm wird den Einsatzkräften laut Kleine automatisch der Standort mitgeteilt. Weitere Informationen könnten über einen Chat mitgeteilt werden. Bei der Registrierung würden zunächst nur der Name und die Telefon-Nummer abgefragt. Das liege an der Barrierefreiheit und am Datenschutz. Weitere Informationen, wie Vorerkrankungen oder Behinderungen, kann der Nutzer dann individuell anklicken. Diese Infos würden zunächst nur auf dem lokalen Handy abgespeichert.

nora-App Nora ist die offizielle Notruf-App der deutschen Bundesländer. Die App ist kostenlos und wurde nach einer EU-Maßgabe für Menschen mit Hör- und Sprachbehinderung entwickelt. Aber auch alleinstehende Menschen, die sich selbst nicht heilfen können oder Menschen in Notsituationen sollen sie nutzen. Es gibt die App seit September 2021.

Die App ergänzt die Notrufnummern 110 und 112 und bietet eine weitere Möglichkeit, Polizei, Feuerwehr oder Rettungsdienst zu erreichen.

Stellvertretend für alle Bundesländer wird die App von Nordrhein-Westfalen aus organisiert. Das Notruf-App-System ist im Innenministerium von NRW angesiedelt. Bis Juni 2023 zählte das Ministerium 461.313 Registrierungen.

In Sachsen gab es 2022 insgesamt 1.243.360 Notrufe, 0,03 Prozent der Meldungen kamen über die nora-App. www.nora-notruf.de, Polizei Sachsen und Innenministerium von Nordrhein-Westfalen

Bei professionellen Manipulationen sind die Internet-Spezialisten der Polizei gefragt

Dass bei der Registrierung nur Name und Telefon-Nummer abgefragt werden, mache die Nachverfolgung für die Polizei laut eigener Aussage bei einem Verdacht von Missbrauch schwierig. Es könnten zum Beispiel ein Fake-Name oder eine Prepaid-Handykarte verwendet werden. Dann setzt man auf die "Internetverbindung, um dem Täter habhaft zu werden", so Patric Kleine. Oft würden die IP-Adresse und Standorte professionell verschleiert werden. Bei Hinweisen auf professionelle Manipulationen wanderten die Fälle zu den polizeilichen Fachabteilungen für Cyberkriminalität.

Mann schaut nachdenklich auf sein Handy 13 min
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MDR SACHSEN - Das Sachsenradio Fr 14.07.2023 11:10Uhr 12:48 min

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR SACHSENSPIEGEL | 13. Juli 2023 | 19:00 Uhr

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