Die Schauspielerin Stefanie Reinsperger steht beim Theaterstück «Baal» von Bertolt Brecht im Berliner Ensemble auf der Bühne.
Vor 100 Jahren wurde Bertolt Brechts "Baal" uraufgeführt, hier eine Inszenierung vom Berliner Ensemble. Bildrechte: picture alliance/dpa/Berliner Ensemble | Birgit Hupfeld

Uraufführung von "Baal" am 8. Dezember 1923 In Zeiten der Krise: Was uns Bertolt Brecht heute noch zu sagen hat

08. Dezember 2023, 13:19 Uhr

Bertolt Brechts "Baal" wurde vor hundert Jahren, am 8. Dezember 1923, in Leipzig uraufgeführt und sorgte für einen Skandal. Sofort nach der Premiere wurde das Stück abgesetzt. Was war geschehen? Was das Publikum damals so aufwühlte, ist auch für unsere Gesellschaft heute entscheidend, sagt der Theaterwissenschaftler Günther Heeg.

Bertolt Brecht hat dem Theater in aktuellen Krisenzeiten viel zu bieten. So sieht es Günther Heeg, Direktor des Leipziger Centre of Competence for Theatre. Besonders Brechts Frühwerk "Baal" sei in Zeiten des Umbruchs "ein Experimentierfeld auf neue Perspektiven". Das Stück hat zur Uraufführung in Leipzig vor hundert Jahren, am 8. Dezember 1923, einen Skandal ausgelöst: "Es war umstritten, umkämpft. Es haben sich Beifallsstürme und Buhrufe wechselseitig gesteigert, fast bis zu Handgreiflichkeiten", erklärte Heeg bei MDR KULTUR. Die Frage, was diese Reaktionen ausgelöst habe, sei auch heute noch interessant:

Da ist etwas geschehen, was auch heute für unsere Zeit wichtig ist.

Günther Heeg über die Uraufführung von Brechts "Baal"
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Am 8. Dezember 1923 wurde Bertolt Brechts "Baal" in Leipzig uraufgeführt – und löste einen Theater-Skandal aus. Im Publikum kam es zu Tumulten. Sofort nach der Premiere wurde das provokante Stück abgesetzt.

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Uraufführung von Brechts "Baal" in Leipzig sorgt für Skandal

Was war an diesem Stück oder der Premiere so besonders? Mit "Baal" hat Brecht laut Heeg eine Figur geschaffen, die der Dramatiker später selbst als einen "Asozialen in einer asozialen Gesellschaft" beschrieben hat. Baal "frisst, hurt, erniedrigt und beleidigt, bringt seinen besten Freund um, verführt die Tochter seines jungen Bewunderers, spannt seinem Förderer, dem Kaufmann, die Frau aus und erniedrigt sie", erzählt der emeritierte Professor für Theaterwissenschaft. Vor hundert Jahren sei das "ein vollkommen neuer Blick auf die menschliche Gesellschaft und Existenz" gewesen. "Es ist ein Blick ohne jede idealistische Verbrämung".

Brecht gibt Antworten auf populistische Bewegungen

Als "Baal" 1923 am Alten Theater Leipzig uraufgeführt wird, steckt die Weimarer Republik wirtschaftlich in einer Krise. "Es gibt in dieser Zeit des Umbruchs eine breite Bewegung von Menschen, die zurück wollen in die scheinbar bessere Ordnung des untergegangenen Kaiserreichs oder noch weiter zurück in die scheinbar heile Welt einer völkischen Gemeinschaft", so Heeg. Auf der anderen Seite seien da aber auch Menschen, "die sich dieser neuen Welt stellen" und "die daraus versuchen, neue Anschauungen und Orientierung zu gewinnen."

Der deutsche Dramatiker Bertolt Brecht als 20jähriger im Jahr 1918
Bertolt Brecht schrieb die erste Fassung seines Dramas "Baal" 1918 mit gerade einmal 20 Jahren. Bildrechte: picture-alliance / dpa | dpa

Solche Menschen brauche es heute mehr denn je, meint Theaterwissenschaftler Heeg. Denn ähnlich entgegengesetzte Bewegungen wie zu Brechts Zeiten gebe es auch heute wieder: "Wir haben massive reaktionäre, fundamentalistisch-populistische Bewegungen". Die Gegenseite aber tue sich schwer. Auch deswegen sei "Baal" heute noch relevant: Neben der Erfahrung von Bodenlosigkeit, Orientierungslosigkeit und Ängsten stecke das Stück auch voller Wünsche, Hoffnungen und Alternativen.

Günther Heeg 8 min
Günther Heeg ist emeritierter Professor am Leipziger Institut für Theaterwissenschaft und Direktor des Centre of Competence for Theatre. Bildrechte: Stefan Petraschewsky/MDR
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Bertolt Brecht hat in aktuellen Krisenzeiten viel zu bieten, findet Günther Heeg, Direktor des Leipziger Centre of Competence for Theatre. Thomas Bille spricht mit ihm über den Skandal um Brechts "Baal" vor 100 Jahren.

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Quelle: MDR KULTUR (Thomas Bille, Stefan Petraschewsky, Hartmut Schade)
Redaktionelle Bearbeitung: vp, hro

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Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR am Morgen | 08. Dezember 2023 | 08:40 Uhr

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