Premiere am Staatsschauspiel Dresden: "Die Dreigroschenoper" als AfD-Machtergreifung
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25. Oktober 2023, 11:51 Uhr
Regisseur Volker Lösch bringt am Staatsschauspiel Dresden "Die Dreigroschenoper" von Bertolt Brecht und Kurt Weill in einer überarbeiteten Version mit Texten von Lothar Kittstein auf die Bühne. Die Neuinszenierung des Klassikers erzählt die Geschichte um den Gangsterboss Mackie Messer als AfD-Aufstieg. Die Handlung spielt im Jahr 2024 in der letzten Woche vor der Landtagswahl in Sachsen. Nächste Aufführungen finden am 25. Oktober, im November und Dezember statt.
- Das Staatsschauspiel Dresden zeigt Brechts "Dreigroschenoper" in einer bearbeiteten Version mit aktuellen politischen Bezügen.
- Die Inszenierung von Volker Lösch verhandelt den Aufstieg der AfD und das Erstarken rechter Kräfte.
- Der Regisseur hat Pegida und die "Wutbürger" schon häufiger auf der Bühne kritisiert.
Endspurt im Wahlkampf. So beginnt der Abend. Das Bühnenbild zeigt das Nymphenbad im Zwinger als schwarzweiß verfremdeten Kletterfelsen. Die beiden Spitzenkandidaten der PfD, die in AfD-blauen Anzügen auftreten, prügeln im Takt der Ouvertüre auf einen "Vollidioten aus Pirna" ein, weil er, der wie ein junger Neonazi aussieht, besorgte Bürger aufgewiegelt hatte, eine Pizzeria anzuzünden. Sowas kostet Stimmen. Der Neonazi wird quasi eingenordet, bekommt Arbeit und Arbeitskleidung, die dem Outfit des "Hutbürgers" gleicht, der 2018 an einer Pegida-Demo teilnahm. So soll er dann auf Demos gehen und – gemäßigter – Stimmung für die PfD machen.
Die beiden PfD-Politiker sind im Original Mr. und Mrs. Peachum, die eine Bettlerfirma betreiben. Ihr Geschäftsmodell: Sie staffieren Obdachlose mit einem Kostüm aus, das besonders viel Mitleid erregt. So können die mehr Geld erbetteln. Doch Firma Peachum hat neuerdings Konkurrenz: Mackie Messer, der die Leute mit dem Geld nicht mehr anbettelt, sondern ausraubt und umbringt. Ausgerechnet Peachums Tochter Polly ist in Mackie verliebt und wird ihn heiraten.
Mackie Messer als Kurfürst von Sachsen
Für Regisseur Volker Lösch sind Mackie und Polly eine nächste Generation, die nicht mehr an die alte Ordnung glaubt. Während sich die Peachums gerade noch so im alten politischen System, am rechten Rand, bewegen, kündigt die Generation Mackie diesen Konsens auf. Lösch zeigt eine radikale Truppe: Roberta ist dabei, eine entlassene Erzieherin, die keine Corona-Maske tragen wollte; Jenny, die immer gut geerdet sein will, aber eine Traumtänzerin bleibt; Walter, der überall Verschwörung wittert, Filch, der Mann mit dem Aluhut.
Sie erinnern an Schillers Räuberbande, die einem angeblich entscheidungsunfähigen "Kastraten-Jahrhundert" abschwört und nur noch das Recht des Stärkeren kennt. In diesem Rausch krönt sich Mackie zum "Kurfürst von Sachsen", wird quasi ein oberster Reichsbürger und überreicht Polly als Hochzeitsgeschenk die Krone der Kurfürstin.
Volker Lösch hat AfD und Pegida auf der Bühne verhandelt
Lösch hat diese Radikalisierung der nächsten Generation schon einmal thematisiert, 2015 in Verdis "Räubern" in Weimar, als AfD und Pegida reüssierten. Geradezu prophetisch hatte Lösch schon 2004 in Hauptmanns "Webern" den später so genannten "Wutbürger" auf die Dresdner Bühne gestellt, und später immer wieder AfD und Pegida auf der Bühne verhandelt. Zuletzt 2019 in "Das Blaue Wunder", einer Groteske, mit der Lösch zeigen wollte, wie ein Leben aussähe, wenn die AfD an die Macht gekommen wäre.
Die Inszenierung ist gelungen, weil die Idee, die AfD durch das Dreigroschenopernglas zu sehen, erstaunlich gut trägt und die Mechanik hinter der Fassade offenlegt.
Lösch brachte am Ende der Inszenierung einen Bürgerchor als Gegenbewegung auf die Bühne, der forderte: "Wir müssen mehr werden!" Haltung zeigen ist Lösch ein zentrales Anliegen. 2015, ein Jahr nach Gründung von Pegida, inszenierte Lösch am Staatsschauspiel "Graf Öderland / Wir sind das Volk". Hier traten Schauspieler wie 1989 aus ihren Rollen heraus, um ihre Haltung gegenüber Pegida vorzustellen. Mir sind Schauspielstudierende in Erinnerung, die nach dem Studium nix wie weg wollten. Eindrücklich lehnte Albrecht Goette am Portal, nestelte verlegen an seinem Hemd, spielte mit der Ambivalenz eines Alteingesessenen, der sich positionieren, aber auch nicht anecken will.
In der "Dreigroschenoper" findet sich keine zweite Ebene mehr. Alles ist vereineindeutigt. Drei Stunden lang klettern die Schauspielerinnen und Schauspieler im Zwinger herum, was das Zeug hält, und kennen verbal oft nur eine Richtung: Text frontal ins Publikum, gern laut, oft gebrüllt. Präzises Figurenspiel wird einer Groteske geopfert, die Zeitgeschichte zu Rechts-Geschichte verkürzt, um diese dann illustrativ, anekdotisch aneinanderzufügen. Manchmal retten sich Schauspieler in winzigste Kabinettstückpartikel, wie Polizeipräsident Brown, der einmal auf Inspektor Clouseau macht.
Leider kommt die Musik zu kurz. Das eigentlich gut aufgestellte Orchester mit neun Musikerinnen und Musikern wird quasi wegvervorhangt, darf rechts hinten in einem Kasten Garagenband spielen.
Inszenierung in Dresden als Groteske
Andererseits – wo Lösch die Originalhandlung mit korruptem Polizeipräsident samt Tochter Lucy, hier sein schwuler Sohn Lucyus, vor allem als Sprungbrett für die Groteske nutzt, gelingt es ihm, die Protagonisten zu entlarven: Mackies Räuberbande fällt in sich zusammen, wenn das große Ziel nicht mehr im unmittelbaren Visier ist. Und Mr. Peachum geht es am Ende mehr ums Geld als um die PfD. Die Inszenierung ist also gelungen, weil die Idee, die AfD durch das Dreigroschenopernglas zu sehen, erstaunlich gut trägt und die Mechanik hinter der Fassade offenlegt.
Leider kommt die Musik zu kurz. Das eigentlich gut aufgestellte Orchester mit neun Musikerinnen und Musikern wird quasi wegvervorhangt, darf rechts hinten in einem Kasten Garagenband spielen. Dadurch sind Gesangseinsatz und Rhythmus oft ungenau. Warum wurde das Orchester nicht im Orchestergraben oder auf der Bühne platziert, um Wirkung zu erzielen? Warum gibt es nach den Liedern keine Pausen, in die das Publikum, das den Impuls hatte, hineinklatschen kann? Im Grunde lässt das nur den Schluss zu: Lösch kann mit dieser Opernparodie von Brecht und Kurt Weill nichts anfangen.
Ist das alles noch Brecht? Bei Brecht bleibt die Hoffnung, wenn am Ende alle singen: "Verfolgt das Unrecht nicht zu sehr, in Bälde / Erfriert es schon von selbst, denn es ist kalt." Für Volker Lösch ist die Hoffnung mausetot, wenn er am Ende ein Video der Wahlparty zeigt; zeigt, wie die PfD mit absoluter Mehrheit und Unterstützung der CDU gesiegt hat; zeigt, wie sich Mackies bunte Truppe neu formiert und dem Schwiegervater als eine Art SA andient; verkündet, dass "alte Bonzen" nun "ans Bundesverdienstkreuz geschlagen werden!".
Staatsschauspiel Dresden zeigt Theater für die nächste Generation
Aber dann kommt noch ein Epilog und die Hoffnung doch noch ins Spiel. Jakob Springfeld tritt vor den Vorhang, ein "Aktivist" aus Zwickau, der sich gegen die extreme Rechte und für Klimagerechtigkeit engagiert, und fordert in einem fünf Minuten langen Monolog, dass die Zivilgesellschaft jetzt (!) sichtbar werden müsse: "Wir alle haben die Wahl. Egal ob in Zwickau, Bautzen oder Pirna – Wer jetzt schweigt, stimmt zu!" Black. Das war's.
Mir als Kritiker war das am Ende zu viel Agitprop; war das zu einseitig argumentiert. Hier wurden auch Dinge unterstellt, die man mit gutem Grund anders sehen kann.
Mir als Kritiker war das am Ende zu viel Agitprop; war das zu einseitig argumentiert. Hier wurden auch Dinge unterstellt, die man mit gutem Grund anders sehen kann. Ich war aber mit meinem Neffen in der Vorstellung, der in Dresden Geodäsie studiert. Ihm ging dieses Ende, dieser Schwenk in die Realität, wo übrigens zum ersten Mal das Wort "AfD" fiel, "nahe". Er fand es deswegen gut. Theater für eine nächste Generation, das berührt – kann man es besser machen?!
Angaben zum Stück:
"Die Dreigroschenoper" von Bertolt Brecht (Text) und Kurt Weill (Musik) in einer Bearbeitung des Staatsschauspiels Dresden
Regie: Volker Lösch Bühne: Cary Gayler
Kostüme: Carola Reuther
Dramaturgie: Jörg Bochow
Musikalische Leitung: Michael Wilhelmi
Mit:
Philipp Grimm, Sarah Schmidt, Henriette Hölzel, Jannik Hinsch, Thomas Eisen, Anna-Katharina Muck, Jannis Roth, Viktor Tremmel, Sven Hönig, Yassin Trabelsi, Kaya Loewe, Georg Bochow, Betty Freudenberg, Jakob Springfeldt
Premiere: 6. Oktober 2023
Dauer: 2 Stunden und 50 Minuten
Weitere Termine:
19. November 2024, 19:30 Uhr
9. Dezember 2024, 19:30 Uhr
Redaktionelle Bearbeitung: lig
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | 07. Oktober 2023 | 10:15 Uhr