Tom Wlaschiha vor dem Hauptbahnhof in Erfurt. Er trägt einen braunen Pullover.
Am 25. und 26. Mai ist er Stargast beim Comicpark in Erfurt: Tom Wlaschiha. Bildrechte: MDR/Kehrer

Tom Wlaschiha beim Comicpark "Im Osten hießen die Superhelden Karl Marx und Sigmund Jähn"

27. Mai 2024, 09:00 Uhr

Mit der Rolle des gesichtslosen Mannes "Jaqen H'ghar" aus Bravos in der Erfolgsserie "Game of Thrones" wurde Tom Wlaschiha weltberühmt. Nun ist der ostdeutsche Schauspieler der Stargast beim Comicpark 2024, wo ihn Fans am 25. und 26. Mai treffen können. Im Interview mit MDR THÜRINGEN spricht er über seine Jugend (fast) ohne Comicbücher, seine Theateranfänge in der Wendezeit und darüber wie "Game of Thrones" seine Karriere veränderte.

MDR THÜRINGEN: Herr Wlaschiha, zum Comicpark kommen viele Leute im Cosplay-Kostüm. Wenn Sie privat hingehen würden, was wäre Ihr Kostüm?

Wlaschiha: Ich gehe ja quasi privat hin, weil ich eben kein Kostüm anziehen muss (lacht). Ich verkleide mich beruflich die ganze Zeit, deswegen bin ich ganz froh, wenn ich mal ein normales T-Shirt tragen kann.

Sie sind als Kind der 1970er-Jahre in der DDR aufgewachsen, welche Verbindung haben Sie denn zum Kulturgut Comic?

Früher gab es sehr wenige Comics. Wir hatten das Glück, eine Tante im Westen zu haben, und da wurden ab und zu mal ein "Lustiges Taschenbuch" geschmuggelt. Wenn jemand sowas dann in der Schule hatte, war das natürlich Gold wert und ging einmal durch die ganze Klasse. Ansonsten finde ich diese ganzen Comic-Universen faszinierend, habe da aber selbst nur ein gefährliches Halbwissen.

Also bis auf ein paar Lustige Taschenbücher nie ein Comic gelesen?

Also richtig gelesen... sehr, sehr wenig - früher vielleicht mal ein paar "Mosaik"-Comics.

Konnte man sich mit den "Digidags" und den "Abrafaxen" im "Mosaik" als DDR-Kind identifizieren? Waren das Ihre Superhelden?

Also im Osten ... da hießen die "Superhelden" Karl Marx und Sigmund Jähn, nicht "Abrafaxe" (lacht). Also unter dem Helden-Gesichtspunkt habe ich das nie gesehen. Das war nur ein Spaßfaktor.

Das Besondere am Comicpark ist ja auch, dass da Manga-Figuren und Superhelden zusammenkommen. Es trifft also die amerikanische auf die japanische Comic-Kultur. Ist Ihnen eine von beiden näher?

Da kann ich mich nicht entscheiden. Als Letztes habe ich "Der Junge und der Reiher" (ein jap. Anime, Anm. d. Red.) gesehen, ein ganz toller Film. Aber auch amerikanische Comics kenne ich hauptsächlich als Real-Life-Verfilmung und weniger die Comic-Vorlagen.

Ich hätte erwartet, dass Sie zum amerikanischen Comic tendieren, weil Sie vor Kurzem in der Audible-Podcast-Reihe "Wastelanders" mitgemacht haben, wo Sie der Marvel-Figur "Peter Quill" alias "Starlord" Ihre Stimme geliehen haben. In der Story ist Quill aber schon alt geworden und taugt nicht mehr richtig zum Helden ...

... da habe ich mich auch gewundert, warum ich ausgerechnet dafür besetzt wurde! (lacht) Das soll wohl ein Zeichen sein ... Also nein, das hat Spaß gemacht. Die Geschichte bassiert ja auf dem "Guardians of the Galaxy"-Universum und als die Anfrage kam - es ist ja die deutsche Fassung zum amerikanischen Original-Hörspiel, wo wir jetzt gerade die letzte Staffel aufgenommen haben - das war toll. In so einer Comic-Geschichte kann man als Schauspieler auch mehr machen. Da kann man ab und zu auch mal den Naturalismus verlassen, ein bisschen mehr auf die Kacke hauen und das macht natürlich Spaß.

Weil Comic-Helden ohnehin oft überzeichnet sind?

Nicht unbedingt überzeichnet, aber weil es da mehr Action gibt. Da gibt es Schlägereien, die fliegen durchs Weltall, da explodieren die ganze Zeit Sachen und das muss man dann natürlich alles mit der Stimme spielen.

Als Schauspieler hat man ja gegenüber den Fans eine große Verantwortung, einer Rolle gerecht zu werden. Gerade bei einem Helden wie "Starlord", wo es dann schon Comics und Filme gibt. Wie bereitet man sich auf so eine Figur vor? Frisst man dann sozusagen die ganze Hintergrundgeschichte zu dieser Figur, um sich die Rolle anzueignen?

Ein bisschen, ja. Aber eigentlich muss die Geschichte in sich funktionieren. Jede Staffel dieser Marvel-Geschichte besteht ja aus zehn Folgen und das ist dann schon relativ vielschichtig. Innerhalb dieser Geschichte kenne ich mich natürlich gut aus, aber ich habe jetzt nicht jeden "Peter Quill"-Comic und -Moment der Filmgeschichte parat. Man darf auch als Schauspieler nicht den Fehler machen, irgendwas, was ein anderer vorher zu dieser Rolle gemacht hat, nachzumachen. Man muss seinen eigenen Zugang und eine eigene Interpretation finden.

Sie spielen ja auch am Theater viele klassische Stücke, die nun auch schon Hunderte Male aufgeführt wurden. Was sind denn die Rollen, die am meisten Spaß machen? Die, die eine Vorgeschichte haben, der man gerecht werden muss und wo es die Herausforderung ist, seine eigene Interpretation herauszuschälen. Oder sind es die Rollen, die wie ein unbeschriebenes Blatt sind und wo man sich komplett ausleben kann?

In Deutschland gibt es ja das berühmt-berüchtigte "Regietheater", wo jeder Regisseur den Anspruch hat, auch einen Klassiker nochmal ganz anders zu machen. Das geht manchmal gut, meistens nicht. Das Wichtige ist, dass die Geschichte stimmt und Klassiker sind ja deswegen Klassiker, weil sie über viele Jahre gespielt wurden und die Geschichte Substanz hat. Da macht es natürlich Spaß, die Figuren für sich selber auszuloten. Aber genauso toll ist es, wenn man ein neues Stück hat und ganz ohne Vorbilder rangehen kann. Aber wie gesagt, das Wichtigste ist immer, dass die Geschichte gut erzählt ist und die Figuren vielschichtig sind.

Vielschichtige Figuren haben Sie häufig gespielt. Viele Ihrer Figuren waren zwielichtig, manchmal auch mysteriös - gerade wenn man an die Serien "Game of Thrones" und "Stranger Things" denkt. Wie kommt das eigentlich, wird man da von der Filmbranche auf einen Rollentypus festgelegt oder kann man das als Schauspieler beeinflussen, indem man Rollen annimmt oder ablehnt?

Also das weiß ich nicht. Das, was Caster und Regisseure in mir sehen, ist wahrscheinlich das Zwillichtige. Und Rollen auswählen ... ich bin jetzt seit vielleicht zwei, drei Jahren in der glücklichen Lage, dass ich tatsächlich Rollen auswählen kann, dass also mehr Angebote kommen, als ich zeitlich machen kann. Ansonsten sieht die Realität des Schauspielerberufs anders aus. Da ist man in der Regel froh, wenn überhaupt ein Angebot kommt, und dann kann man sich gar nicht leisten, das abzusagen.

Tom Wlaschiha als Jaqen H'ghar in Game of Thrones.
Tom Wlaschiha als "Jaqen H'ghar" in "Game of Thrones" Bildrechte: IMAGO / Mary Evans

Dass Sie die Rollen jetzt auswählen können, hängt maßgeblich mit dem Erfolg von "Game of Thrones" zusammen. Wie hat die Serie Ihre Karriere verändert?

Das war natürlich ein Riesenschritt. Das war eines von mehreren Castings, die ich über meine Agentur in England bekommen habe. Die Agentur hatte ich mir gesucht, weil es in Deutschland eben nicht so lief, wie ich mir das gewünscht hatte. Dass dann ausgerechnet dieses Casting geklappt hat, war natürlich Glück. Und dass das so eine Riesenerfolg wird, wusste am Anfang natürlich auch keiner.

Film und Fernsehen sind in erster Linie ein Geschäft. Da geht es wenig um Kunst. Wenn man dann das Glück hat und in so einer erfolgreichen Produktion dabei ist, dann landet man automatisch auf den Zetteln von ganz vielen Castern. Die benutzen das dann auch gern als Credit, weswegen da dann immer steht vom "Director of" oder so. Auch in deutschen Firmen wird dann immer deine halbe Vita zitiert ... aber ich beschwere mich nicht. Das hilft ja auch.

Zugleich wird man dann auf diese wenigen Rollen festgenagelt ...

Ja, da versucht man dann irgendwie gegenzusteuern. Also ich bin ja Schauspieler geworden, weil ich möglichst viele unterschiedliche Sachen spielen will. Klar besteht die Gefahr, dass man in die Schublade gesteckt wird. Nach "Game of Thrones" sind mir noch drei weitere geheimnisvolle Priester angeboten worden, die ich dann absagen musste. Aber es müssen natürlich auch die entsprechenden Angebote kommen, weil irgendwann muss man seine nächste Miete zahlen. Und im Zweifel muss man dann eben doch wieder den geheimnissvollen Prieser spielen.

Tom Wlaschiha, von links, Maisie Williams und Faye Marsay in einer Szene aus "Game of Thrones", Staffel 5.
Als geheimnisvoller Priester der gesichtslosen Männer von Bravos ist Jaqen H'ghar Begleiter, Beschützer und später Ausbilder Arya Stark (Maisie Williams). Bildrechte: picture alliance / AP Photo | Helen Sloan

Trotz Ihrer internationalen Erfolge arbeiten Sie größtenteils in Deutschland. Sie machen viele Film- und Fernsehproduktion, spielen Theater, gehen auf Conventions und machen Lesungen. Dabei sind Sie auch oft noch in Sachsen. Erst kürzlich moderierten Sie den Semperopernball in Dresden. Wie verbunden fühlen Sie sich dem Osten noch?

Ich bin in der Nähe von Dresden geboren, das ist natürlich meine Heimat und da fühle ich mich verbunden. Da habe ich ein emotionales Gefühl, das sind meine Wurzeln. Leider ist es viel zu selten so, dass ich Zeit habe, da mal wieder hinzufahren, aber wenn so eine Anfrage kommt, dann fühle ich mich geehrt und habe da natürlich eine zusätzliche Motivation, das zu machen.

Sie haben in einem Interview schon mal gesagt, dass Sie eine sehr glückliche Kindheit in der DDR hatten, dass Sie ohne die Wende aber auch nicht da wären, wo Sie heute sind. Inwiefern hat die Wende Ihre Entscheidung beeinflusst, Schauspieler zu werden?

Das war schon vorher ein Wunsch. Ich glaube in der siebten oder achten Klasse wurde danach in der Schule gefragt, was man mal werden will, und das wurde dann ins Klassenbuch eingetragen. Ich habe damals den Spott der ganzen Schule auf mich gezogen, als da dann da stand: Schauspieler. Hätte es die Wende nicht gegeben ... keine Ahnung - dann würde ich vielleicht Theater spielen oder in irgendwelchen Defa-Filmen, wenn es die noch gäbe. Aber das ist hypothetisch.

Woher kam das Interesse fürs Schauspiel?

Ich wusste schon ganz lange, dass ich was Künstlerisches machen wollte. Ursprünglich hatte ich an Musik gedacht. Aber da muss man wahnsinnig gut sein, wenn man als Solist Karriere machen will. Außerdem muss man dann jeden Tag stundenlang alleine mit seinem Instrument verbringen und üben. Das erschien mir nicht so attraktiv.

Irgendwann kam ich dann auf Theater, da war ich 14 oder 15. Ich habe dann einfach den drei Schauspielschulen, die es in der DDR gab, einen Brief geschrieben, dass ich Schauspieler werden will. Die Leipziger Schule schrieb mir zurück. Damals gab es Förderkurse für junge Leute. Da konnte man dann hinfahren und den Unterricht der Studenten angucken, hat ein paar Hausaufgaben gekriegt und wurde Schritt für Schritt auf die Aufnahmeprüfung vorbereitet. Und zwischendurch kam dann die Wende, aber das hat mich dann nicht davon abgehalten, trotzdem Schauspieler zu werden.

Was glauben Sie, wie dieser Systemwechsel sich dann auf den Schauspielberuf und dementsprechend auch auf Ihre Zukunft ausgewirkt hat? Es kam dann ja die Reise- und Redefreiheit - ganz existenzielle Sachen für Künstler.

Klar, das ist natürlich jetzt was ganz anderes. Das macht es aber nicht unbedingt einfacher. Ich kann mich noch sehr gut erinnern, an die Wendezeit. Da war ich sehr oft in Dresden im Theater und das hatte eine ganz eigene Atmosphäre. Damals musste jede Aufführung abgenommen werden, sie musste durch die Zensur und trotzdem wurde versucht, da irgendwelche Kleinigkeiten einzubauen, die vom Publikum erkannt und dann beklatscht wurden. Das hatte eine elektrisierende Atmosphäre, weil man natürlich auch gegen etwas angehen konnte. Da gab es Widerstände und ja, da musste man mutig sein! Heute darf man alles sagen und dadurch brennst du dann nicht mehr so für die Stücke.

Tom Wlaschiha
2022 spielte Wlaschiha auch in der vierten Staffel des Netflix-Hits "Stranger Things" mit. Bildrechte: IMAGO / Future Image

Im Osten stehen wir gerade vor Wahlen. In Sachsen, Thüringen, Brandenburg wird ein Landtag gewählt. Viele befürchten einen Rechtsruck. Ich habe gelesen, dass Sie sich 2019 einmal in Görlitz dafür eingesetzt haben, dass dort kein Oberbürgermeister der AfD gewählt wird. Beschäftigt Sie das?

Da bewegen wir uns zwar vom Comicpark sehr weit weg, aber ich sage da trotzdem gern etwas dazu. Das mit Görlitz - daran kann ich mich nicht erinnern. Ich halte mich von so etwas eigentlich fern. Ich will nicht als Schauspieler aus Berlin heraus in der Zeitung oder im Fernsehen Leuten Ratschläge erteilen, was sie wählen sollen.

Ich bin über die Situation, wie sie jetzt ist, natürlich auch nicht unbedingt glücklich. Ich glaube, dass es dafür sehr viele Ursachen gibt und dass wir darüber reden müssen, warum so viele Leute Parteien wählen, die sich von der demokratischen Grundordnung verabschieden. Leute pauschal in eine Ecke zu stellen und zu sagen "Ihr dürft das nicht", das hat aber noch nie funktioniert! Es ist auch zu komplex, als dass ich das hier in zwei Minuten im Interview beantworten kann, aber wir müssen die echten Probleme angehen und den Leuten zuhören.

Vielen Dank für das Interview!

MDR (ask)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Johannes und der Morgenhahn | 25. Mai 2024 | 08:40 Uhr

31 Kommentare

THOMAS H vor 3 Wochen

@Sascha, ich habe es auch nicht als Kritik aufgefasst, aber gerade die Kinder ab den 1970er Jahre werden hauptsächlich die Abrafaxe kennen. Die Digedags Mosaik-Heftreihe, für welche der Grafiker Johannes Eduard Hegenbarth (Künstlername Hannes Hegen) der Schöpfer war, wurde nach einem Bruch mit dem Verlag Junge Welt1974 eingestellt.

Ab Januar 1976 kamen dann die Abrafaxe als Mosaik-Heftreihe, ohne Beteiligung von Hannes Hegen, heraus.

(Quelle: "DDR museum - DDR-Geschichte Digedags und Abrafaxe, „Mosaik“ Bildergeschichten aus sozialistischer Produktion")

Sascha vor 3 Wochen

Ich weiß doch,ich meinte es auch nicht böse. Aber mich wundert es,daß immer die Abrafaxe genannt werden,die waren ja ein Flop. Nein @ Thomas H,das sollte keine Kritik gegen Sie sein.

Tashina vor 3 Wochen

Es ist zwar richtig, dass es nun Bundesländer gibt, ich hinterfrage jedoch auch gern, aus welchem Teil Deutschlands jemand kommt. Und wenn wir ganz ehrlich sind, gibt es nicht soooo viele von den Ostdeutschen, die eine Karriere gemacht haben oder die Chance auf eine Karriere bekommen haben. In den Führungsetagen sitzen meist Westgeborene.

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