Eine Frau steht in der Tür eines Verkaufsstands.
Im Alter von 51 bewarb sich Bärbel Koch, um Spargel zu verkaufen. Bildrechte: MDR/Samira Wischerhoff

Handel "Solange ich noch normal bin": Wie Bärbel Koch seit 19 Jahren Spargel verkauft

05. April 2024, 06:00 Uhr

Bärbel Koch aus Bruchstedt im Unstrut-Hainich-Kreis war 51 Jahre alt, als sie sich beim Herbslebener Nicklas-Hof bewarb, um Spargel zu verkaufen. Nie hätte sie damals gedacht, dass sie das 19 Jahre machen würde. Inzwischen ist der Stand am Ortseingang von Gebesee während der Spargelsaison ihr zweites Zuhause. Ein Jahr ohne Spargelverkauf kann sie sich nicht mehr vorstellen.

Es ist laut am Ortseingang von Gebesee im Kreis Sömmerda. Die B4 ist eine stark befahrene Straße - wie viele Lkw hier pro Tag mit hoher Geschwindigkeit in den Ort hineinfahren, weiß Bärbel Koch nicht. "Manche fahren wie die Irren", sagt sie aus langjähriger Erfahrung, aber geknallt hätte es hier noch nie. Direkt an der Tankstelle steht der kleine Spargel-Verkaufsstand. Von hier hat die 70-Jährige alles im Blick.

Zum Beispiel auch eine ihrer Stammkundinnen, die gerade mit dem Rollator die Straße kreuzt. Sie gibt ihr von Weitem mit den Händen ein Zeichen, formt mit ihren Händen einen Korb, soll heißen: Es gibt auch Erdbeeren.

Die ältere Dame kommt näher, doch dann fängt Bärbel Koch an zu schimpfen: "Du bist nicht einmal über die Ampel gegangen, ich hab's gesehen!" Die Frau entgegnet kleinlaut: "Immer werde ich erwischt und dann sagen Sie es meiner Tochter ..." Bärbel Koch erwidert etwas ruhiger: "Nein, ich sage nichts, ich bin doch kein Petzer". Hier wird deutlich: Sie kennt ihre Kunden recht genau. Und sie weiß eben auch, dass Margot Barnkoth keinen Spargel, sondern Erdbeeren möchte.

Zwei Kundinen vor dem Verkaufsstand
Seit 2004 verkauft Bärbel Koch Spargel Nicklas-Hof in Herbsleben. Bildrechte: MDR/Samira Wischerhoff

Von Donnerstag bis Sonntag im Verkaufsstand

Als sich Bärbel Koch 2004 beim Nicklas-Hof für den Spargelverkauf beworben hatte, lag keine einfache Zeit hinter ihr. Die gelernte Friseurin und fünffache Mutter war arbeitslos und bekam Hartz 4. Davon wollte sie damals so schnell es geht weg. Dann las sie die Anzeige vom Nicklas-Hof und bewarb sich. "Dass das so lange wird, hätte ich nie gedacht." Auch zwei ihrer Töchter arbeiten inzwischen für den Hof. Sie selbst steht von Donnerstag bis Sonntag im Verkaufsstand.

Dass das so lange wird, hätte ich nie gedacht.

Bärbel Koch

An die Lautstärke der Straße hat sie sich längst gewöhnt. Eine kräftige Stimme hat sie von Natur aus, um den Straßenlärm zu übertönen. "Wenn's geregnet hat, ist es noch schlimmer. Und die älteren Leute, die hören dann auch nicht mehr so gut, da brülle ich eben ein bisschen.", meint sie und lacht.

Ein Verkaufsstand steht neben einer Tankstelle.
Der kleine Spargel-Verkaufsstand steht direkt neben einer Tankstelle. Bildrechte: MDR/Samira Wischerhoff

Erlebt hat Bärbel Koch in den 19 Jahren schon einiges. In kalten Frühsommern stand sie schon mit Winterschuhen und mit mehreren Jacken eingekleidet in ihrem Stand. Auch in diesem Frühsommer sei es zwischenzeitlich sehr kalt gewesen. Wenn dann mal kaum jemand zum Spargel kaufen kam, wärmte sie sich in der Tankstelle auf. Zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dort habe sie ein sehr gutes Verhältnis, dort könne sie auch zur Toilette gehen. 

Und ich hab auch immer gesagt, solange wie ich geistig und noch normal bin, würde ich das schon noch machen.

Bärbel Koch

Viele Stammkunden - familiäre Atmosphäre

Gerade ist dafür aber keine Zeit, die Kunden kommen im Zwei-Minuten-Takt, darunter viele Stammkunden. Mit sicherer Hand packt Bärbel Koch ein Kilo Spargel in die Tüte, bevor sie ihn noch mal wiegt. Wie viel Spargel ein Kilo sind, habe man nach all den Jahren im Gefühl, erklärt sie.

Viele Kunden müssen nicht einmal ihren Wunsch äußern, Bärbel Koch weiß ihn schon vorher. Ein Mann möchte immer nur genau vier Stangen Spargel, ein anderer bevorzugt die ganz dicken Stangen. Die meisten schätzen die familiäre Atmosphäre am Stand. "Nett, freundlich, hilfsbereit, aufmerksam" - sind Attribute, mit denen Besucher am Stand Bärbel Koch spontan beschreiben.

Drei Menschen stehen an einem Spargelstand.
Bärbel Koch kennt ihre Kunden genau. Bildrechte: MDR/Samira Wischerhoff

Der langjährigen Verkäuferin merkt man auch an, dass sie den Ehrgeiz hat, sich nicht nur zu jedem Gesicht die Wünsche zu merken, sondern auch die Familien-Geschichten. So seien im Laufe der Jahre auch engere Verbindungen entstanden, erzählt sie: "Kunden, die jetzt in der Woche vielleicht so zwei, drei Mal kommen, dann kommt auch Kundschaft 'Och Bärbel, ich hab nen Kuchen gebacken, ich hab Dir ein paar Stückchen mitgebracht' oder so."

Auch zu Waldemar hat sie einen guten Draht. Waldemar liefert Spargel und Erdbeeren aus Herbsleben nach, sobald die Ware am Stand auszugehen droht. Der gebürtige Pole fährt Bärbel Koch außerdem am Morgen von Herbsleben nach Gebesee und am Abend wieder zurück. Sie bringt ihm dafür ein bisschen Deutsch bei. "Nen lieberen gibt's gar nicht wie Waldemar", meint sie strahlend.

Auch Seelsorge gehört zum Spargelverkauf dazu 

Von sich selbst sagt Bärbel Koch, dass sie ein Mensch ist, der unter Leute muss. Alleine zu Hause auf der Couch sitzen ist ganz klar nicht ihr Ding. Ihr fällt auch auf, wenn Kunden mal ausbleiben. Dann erkundigt sie sich bei anderen, ob etwas passiert ist. Auch Seelsorge gehört zu manchen Gesprächen dazu. Viele ältere Menschen kämen mit Sorgen.

Vielleicht hilft Bärbel Koch auch, dass sie bereits als gelernte Friseurin immer ein offenes Ohr für die Menschen hatte. Und wie sieht ihre Beziehung zum Spargelgemüse selbst aus? Die Antwort kommt prompt: "Ich esse sehr gerne Spargel, entweder mit holländischer Soße oder mit brauner Butter und Semmelbröseln, dazu Kartoffeln."

Ich esse sehr gerne Spargel, entweder mit holländischer Soße oder mit brauner Butter und Semmelbröseln, dazu Kartoffeln.

Bärbel Koch

Wehmut am 24. Juni

Wenn die Spargelverkäuferin an den 24. Juni - das Ende der Spargelsaison -  denkt, wird sie in jedem Jahr wehmütig. Ein Jahr ohne Verkauf könne sie sich gar nicht mehr vorstellen: "Ich sage immer, es ist wie Familie. Und es macht mir solchen Spaß. Und ich hab auch immer gesagt, so lange wie ich geistig und noch normal bin, würde ich das schon noch machen." Und wird sie sich am 24. Juni schon auf das nächste Jahr freuen.

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MDR (jn) Der Artikel wurde am 14.06.2023 zuerst veröffentlicht.

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 14. Juni 2023 | 11:00 Uhr

1 Kommentar

Pattel vor 45 Wochen

Wie lange wird das noch sein Frau Bärbel Koch?

Wünsche alles Gute dazu

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