Gekreidete Hände an einem Turngerät.
Beim Verbessern des Kinderschutzes sind auch die Sportvereinen selbst gefragt. (Symbolbild) Bildrechte: imago images/Claus Bergmann

Weimar Nach sexuellen Übergriffen im Sportverein: So arbeitet die Kommission zur Aufarbeitung

30. Dezember 2023, 10:48 Uhr

Jahrelang hatte sich ein Trainer beim Hochschulsportverein Weimar an Mädchen sexuell vergangen. Der Mann wurde verurteilt. Seit einem Jahr geht nun eine Kommission der Frage nach, wie es zu den Fällen kommen konnte.

Es ist ein Pilotprojekt: Eine unabhängige Expertenkommission arbeitet die Fälle sexualisierter Gewalt in einem Sportverein auf. Im Mittelpunkt stehen die Fälle beim HSV Weimar.

Jahrelang hatte sich dort ein Trainer an Mädchen sexuell vergangen. Das Urteil gegen Robert P. ist längst rechtskräftig. Das Erfurter Landgericht hatte ihn 2022 wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen zu drei Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt. Der Bundesgerichtshof hat das Urteil bestätigt.

Betroffene, Anwältin und Psychiater arbeiten Fälle auf

Gerichtlich ist der Fall abgeschlossen, emotional jedoch lange noch nicht - und aufgearbeitet schon gar nicht. Das übernimmt seit einem Jahr eine Expertenkommission. Ihre Mitglieder sind beispielsweise eine Rechtsanwältin, Psychiater, ein Hochschuldozent und Betroffene. Sie arbeiten und leben im gesamten Bundesgebiet und sind ehrenamtlich tätig. Der Landessportbund Thüringen hat sie um Hilfe gebeten und eine derartige Aufarbeitungskommission eingefordert.

Die Experten sollen herausfinden, wie es überhaupt zum Missbrauch im Weimarer Hochschulsportverein kommen konnte. "Hier geht es um die Frage, warum die Taten über so viele Jahre stattgefunden haben, nicht wahrgenommen wurden oder - zugespitzt gesagt - nicht wahrgenommen werden wollten", sagt Angela Marquardt vom Betroffenenrat und Mitglied der Kommission.

Weitere Betroffene können sich melden

Dafür führen die Experten Gespräche - in erster Linie mit Betroffenen. "Einige haben sich gemeldet. Wir bewundern ihre Offenheit und ihren Mut." Die Experten nennen die Zusammenkünfte "Anhörungen", wobei es dabei keineswegs zugeht wie vor Gericht.

Das versichern die Kommissionmitglieder Angela Marquardt und Joachim Henseler, Hochschuldozent in Erfurt. "Wir schaffen eine vertrauensvolle Atmosphäre. Die Betroffenen müssen sich wohl fühlen“, sagt Henseler. "So einfach setzt man sich nicht an einen Tisch und erzählt, was einem passiert ist", sagt Marquardt. "Dazu gehören Geduld und Zeit."

Die Kommission hat sich keine Limits gesetzt. "Wir haben zwar schon viele Gespräche mit Betroffenen geführt, aber auch wenn sich jetzt noch jemand meldet, sind wir gern bereit, zuzuhören."

Ziel: Kinderschutz in Vereinen verbessern

Dabei geht es der Kommission nicht um die einzelnen Taten. "Die sind schon vom Gericht aufgearbeitet worden. Wir wollen die Frage klären, wie es dazu kommen konnte." Hinterfragt wird auch die Sicht der Eltern. Was haben sie wahrgenommen, was kam ihnen vielleicht komisch vor? Wie wurde die Situation im Verein gesehen, was haben andere Trainer bemerkt?

Die Kommission möchte Empfehlungen für die Zukunft aussprechen. Gerichtet sind die Empfehlungen zwar an den HSV, doch auch andere Vereine sollen sich daran orientieren. "Die Kinderschutz-Thematik ist noch nicht in allen Vereinen angekommen", sagt Henseler.

"Sportvereine müssen begreifen, dass es nicht rufschädigend ist, sich mit dem Thema zu beschäftigen, sondern dass es ein Qualitätsmerkmal ist", meint Marquardt. Allerdings reiche ein Kinderschutzsiegel allein nicht aus. "Ein Schutzkonzept was keiner kennt, ist kein Schutzkonzept. Ansprechpartner müssen sichtbar sein. Wir müssen die Vereine mitnehmen." Das ist die nächste große Aufgabe für die Expertenkommission.

Gespräche mit Hochschulsportverein Weimar

Die Gespräche mit dem HSV haben kürzlich begonnen. Mitglieder des Vereins aus sämtlichen Ebenen werden mit ins Boot geholt. "Es geht nicht ohne den Verein und seine Leute. Die müssen letztendlich das Kinderschutzkonzept tragen und mit Leben füllen."

Erste Schritte hat der HSV bereits getan. Auf seiner Webseite ist unter dem Punkt "Kinderschutz" ein Leitfaden für Trainer veröffentlicht. Zudem gibt es Regeln für ein respektvolles Miteinander.

Es ist langwieriger Prozess, den Thüringens Landessportbund angeschoben hat. Immer mehr Vereine springen auf und machen den Kinderschutz massiv zum Thema. Eine Entwicklung, die auch die Expertenkommission begrüßt.

Betroffene können sich beim Landessportbund per E-Mail melden: aufarbeitung@lsb-thueringen.de oder über den Kinder- und Jugendschutzdienst Weimar und Weimarer Land: weimar-ksd@profamilia.de.

MDR (cma/mm)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Das Fazit vom Tag | 30. Dezember 2023 | 18:00 Uhr

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