Verbrechen Mafia-Mord in Weimar? Der Tod des Arnold N.

07. April 2021, 21:30 Uhr

Vor knapp 30 Jahren wurde in Weimar Arnold N. erstochen. Die Polizei hatte damals schnell einen Hinweis auf den mutmaßlichen Täter. Der Sizilianer Giuseppe M. stand im Verdacht, die Tat begangen zu haben. Es soll um ein Geschäft mit über einer Million falscher US-Dollar gegangen sein. Doch das war offenbar nicht der ganze Hintergrund. Die Spuren führten zu einer der größten Drogenhändlerbanden der Bundesrepublik in den 1980er-Jahren und zur kalabrischen 'Ndrangheta.

Es war spät an diesem 22. Oktober 1992. Der Unternehmer Arnold N. und sein Fahrer "Carlos" kamen von einer Geschäftsreise und es war schon dunkel in Weimar. Beide bemerkten den roten Nissan mit einem niederländischen Kennzeichen, der in einer Seitenstraße stand. Arnold N. musste wohl auch gewusst haben, wer in dem Wagen saß und da auf ihn wartete.

Was dann passierte, schildern damals beteiligte Beamte an dem Fall in etwa so: Arnold N. verließ seinen Wagen und ging in Richtung roter Nissan. Wenige Minuten später verschwand er dann um eine Straßenecke. "Carlos" , der eigentlich Karl-Heinz V.-M. heißt, wartete einige Minuten. Als sein Chef nicht wieder auftauchte, ging er ihm hinterher. Später sagte "Carlos" bei der Polizei aus, dass er Arnold N. blutend und nicht mehr ansprechbar auf dem Boden liegend gefunden habe. Er alarmierte Polizei und Krankenwagen. Doch es war zu spät. Arnold N. starb mit 45 Jahren an Stichverletzungen. Vom Täter mit dem roten Nissan fehlte jede Spur.

Für die Staatsanwaltschaft Erfurt und das Thüringer Landeskriminalamt tat sich mit dem Tod von Arnold N. ein komplizierter Fall auf. Zwar hatten sie Hinweise auf den Täter, weil "Carlos" das Nummernschild erkannt hatte und damit der Halter des Wagens identifiziert werden konnte. Aber diesen zu finden und die wahren Tathintergründe zu ermitteln, stellte sich in den folgenden Jahren als Suche nach der Nadel im Heuhaufen heraus.

Lange kriminelle Karriere

Nur wenige Monate später, Anfang 1993 und rund 400 Kilometer weiter westlich, beschäftigten sich Polizeibeamte in Nordrhein-Westfalen (NRW) ebenfalls mit dem verstorbenen Arnold N. Die Fahnder bekamen Hinweise auf den international agierenden Drogen- und Falschgeldhändler Paolo S..

Ausgangspunkt ihrer Ermittlungen gegen ihn war eine falsche 100 Dollar-Note, bezeichnet als Fälschungsklasse 655. Die hatte S. einem Polizeiinformanten in NRW angeboten. Doch aufgetaucht waren die Blüten erstmals in Weimar. Die Spuren führten zu Arnold N. und einem offenbar großen Falschgeldgeschäft, dessen Scheitern möglicherweise seinen Tod bedeutet hatte. N. hatte bis Anfang der 1990er-Jahre im Gefängnis gesessen. Nach seiner Haftentlassung entzog er sich der Führungsaufsicht seines Bewährungshelfers und ging nach Ostdeutschland, genauer nach Weimar.

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N. hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine lange kriminelle Karriere hinter sich. Laut internen Ermittlungsakten, die MDR THÜRINGEN vorliegen, war er der Kopf einer international agierenden Drogenhändlerbande in der alten Bundesrepublik. Er galt als ein ausgekochter Drogengangster, der Heroin und Kokain in ganz Europa verkaufte. So soll er noch im Februar 1992 an einem Kokaindeal im Hafen von Genua in Italien beteiligt gewesen sein. Es ging um eine Lieferung von insgesamt 200 Kilogramm Koks. Ein Belgier und ein Italiener konnten mit einem Teil der Drogen verhaftet werden.

Der Stoff war offenbar von einem kolumbianischen Schiff, das aus Südamerika gekommen war, übernommen worden. Wie genau, das konnten die Fahnder damals nicht herausfinden. Aber Arnold N., der zu diesem Zeitpunkt schon von Weimar aus agierte, hatte damals eine hochseetüchtige Yacht im Hafen von Genua.

Was an diesem Geschäft auffiel war, dass auch Italiener im Hintergrund daran beteiligt waren, die deutsche Fahnder der kalabrischen Mafia 'Ndrangheta zuordneten. Sie hatten einen wichtigen Stützpunkt in einem Restaurant in Essen in NRW und hatten Kontakte zu Paolo S., der im Visier der Fahnder stand und über dessen Falschgeldgeschäft die Spur nach Thüringen führte.

Parallelgeschäft mit Falschgeld und Heroinpaste angeschoben

Von seinem neuen Lebensmittelpunkt Weimar aus versuchte Arnold N. damals, zwei neue kriminelle Geschäfte mit denselben alten Kontakten anzuschieben. Dazu gehörte der Handel mit Falschgeld. So soll es damals um den Kauf von 1,5 Millionen falschen US-Dollar gegangen sein, Blüten der Fälschungsklasse 655.

Verkäufer war scheinbar der aus Sizilien stammende und in den Niederlanden wohnende Giuseppe M.. Der soll, so heißt es von damals beteiligten Ermittlern, zum Umfeld der kalabrischen 'Ndrangheta gehört haben. Bewiesen wurde das nie. Noch während dieses Geschäft von Weimar aus in Gang gesetzt wurde, startete N. ein weiteres. Er wollte Heroinpaste in Korbmöbeln aus Vietnam nach Sardinen schmuggeln.

Verhängnisvoller Flop

Doch beide Geschäfte floppten. Die Heroinpaste, aus der dann die Droge gewonnen werden sollte, war minderwertig. Damit fehlte der Gewinn aus den Drogengeldern. Mit diesen aber wollte N. angeblich einen Teil der Falschgeldlieferung zahlen. Offenbar vertröstete er seinen mutmaßlichen Händler Guiseppe M. immer wieder.

Zeitgleich, so rekonstruierten es Fahnder in NRW und Thüringen später, soll Arnold N. versucht haben, den finanziellen Schaden aus dem schief gelaufenen Heroingeschäft zu begrenzen. Aus diesem Grund sollen er und sein Fahrer "Carlos" einen Tag vor N.'s Tod in einer kleinen Grenzstadt ihn Belgien gewesen sein und dort Paolo S. getroffen haben. Offenbar sollte dieser mit seinen guten Kontakten nach Sardinien für Schadenersatz und Frieden sorgen. Ob das geklappt hat, bleibt offen, denn einen Tag später war Arnold N. tot. Erstochen von seinem mutmaßlichen Falschgeldhändler Giuseppe M..

Falschgeld aus Italien?

Nachdem mit Hilfe von N.'s Fahrer "Carlos" Giuseppe M. identifiziert werden konnte und die Ermittler Informationen über das gescheiterte Falschgeldgeschäft erhielten, wurde eine internationale Fahndung ausgelöst. Doch jahrelang ohne Erfolg. Giuseppe M., so vermuteten es die Beamten des Thüringer LKA, war in den Niederlanden untergetaucht. Inzwischen fanden sie einige Blüten aus der Lieferung der falschen US-Dollar. Schnell stellte sich heraus, dass die Ware erstklassig war. Die Vermutung der Fahnder: Die Blüten waren mit original amerikanischen Druckplatten gefertigt worden. Dem LKA kamen Informationen zu Ohren, dass die Druckerpressen irgendwo in der Region von Mailand stehen sollten. Doch trotz intensiver Ermittlungen der italienischen Behörden wurden sie nicht gefunden.

Mutmaßlicher Mörder stellte sich

Dafür schlug die niederländische Polizei Ende der 1990er-Jahre Alarm: Es gebe einen Hinweis auf Giuseppe M.. Tatsächlich konnten sie ihn finden. Doch als er festgenommen werden sollte, fragte er, ob er sich im Schlafzimmer etwas anziehen könne. Dort verschwand M. durch das Fenster unerkannt, weil die Niederländer keinen Beamten an der Rückseite postiert hatten. Es sollte noch drei Jahre dauern, bis sich Giuseppe M. doch noch den Behörden stellte.

Mitte der 2000er-Jahre wurde er von Beamten des Thüringer LKA an der deutsch-niederländischen Grenze abgeholt und kam in Thüringen in Untersuchungshaft. Die Ermittler vermuteten, dass M. deshalb so lange gewartet hatte, weil der Falschgeldfall bis dahin verjährt war. Hintergrund war, dass US-Behörden wegen der 1,5 Millionen Dollar-Blüten nach dem Italiener suchten - und der hatte offenbar keine Lust auf einen amerikanischen Knast.

Akten "Arnold N." geschlossen

Am Ende wurde Giuseppe M. 2008 vom Landgericht Erfurt zu vier Jahren Haft wegen Totschlags verurteilt. Im Prozess sagte er aus, dass die Tat eine Kurzschlussreaktion gewesen sei, da N. ihn beleidigt habe. Damit war für die Ermittler des Thüringer LKA die Akte "Arnold N." geschlossen.

Doch pikanterweise tauchte bereits nur wenige Jahre nach N.'s Tod ein Italiener aus Duisburg in Erfurt auf. Der hatte bereits in den komplexen Kokain-Ermittlungen der Fahnder aus NRW eine Rolle gespielt, in die auch Arnold N. vor seinem Tod verstrickt war. Dieser italienische Gastronom und weitere Italiener sollten Ende der 1990er-Jahre den ersten harten Kern der sogenannten Erfurter Gruppe bilden. Einer heute noch aktiven 'Ndrangheta-Zelle in Thüringen und Sachsen. Der Drogen-und Falschgeldhändler Paolo S. wurde für die Ermittler in NRW zum Kronzeugen und packte gegen seine ehemaligen Komplizen aus, unter denen sich auch mutmaßliche Mitglieder der 'Ndrangheta befunden haben sollen. Im Januar 2007 starb er in Spanien bei einem Verkehrsunfall.

Quelle: MDR THÜRINGEN

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Exakt - Die Story | 07. April 2021 | 20:45 Uhr

4 Kommentare

kleinerfrontkaempfer am 07.04.2021

Im vorigen Jahrhundert waren die Spitzbuben wenig zimperlich und da floß schon mal Blut.
Inzwischen ist man angekommen in der Gesellschaft und etabliert. Konflikte werden intern verschwiegen ausgetragen und geklärt. Bloß keine Anhaltspunkte nach draußen. Man hat sich an das Umfeld angepaßt.

Matthi am 07.04.2021

Dem damaligen Oberbürgermeister von Erfurt CDU war es doch egal wer in Erfurt investiert hat und wo die Gelder herkamen, Hauptsache das Essen hat beim Italiener Geschmeckt. Über sonstiges kann nur spekuliert werden.

Gohlis am 07.04.2021

Mehr als eine "Story" ist das nach all den Jahren wirklich nicht. Der Fall zeigt uns aber beispielhaft, wie nachhaltig und wie lange schon der Staat die Kontrolle verloren hat.

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