Interview "Man merkt, dass die Leute Angst haben" - Bürgermeister von Leinefelde-Worbis über Demos

29. Oktober 2022, 18:41 Uhr

Diesen Sommer erst wurde Christian Zwingmann zum neuen Bürgermeister der Stadt Leinefelde-Worbis gewählt. Er löste Amtsinhaber und Mitbewerber Marko Grosa (CDU) ab. Zwingmann ist parteilos. Der Friseurmeister betreibt einen eigenen Salon. Den betreut seit der Wahl und dem damit neuen Vollzeitjob seine Frau. Im Interview spricht MDR THÜRINGEN mit ihm über die wieder vermehrt stattfindenden Demonstrationen an Montagen.

Herr Zwingmann, deutschlandweit haben wir hohe Energiepreise und Inflation: Die Menschen gehen montags auf die Straßen. Im letzten Monat waren die im Eichsfeld vor allem in Leinefelde-Worbis zu sehen. Wie nehmen sie die Stimmung in einer relativ kleinen Stadt wie Leinefelde-Worbis wahr?

Man merkt schon, dass die Leute Ängste haben, wie dieser Winter sich gestaltet. Und nicht nur dieser Winter. Ich sehe das Problem auch eher nächstes Jahr auf uns zukommen, weil dann die Nebenkostenabrechnungen für die Leute kommen. Viele wissen nicht, wie sie das bezahlen sollen. Da versteht man die Leute, die auf die Straße gehen, weil sie ihre Ängste irgendwo darstellen müssen. Ich habe vollstes Verständnis dafür.

Was erleben Sie denn abseits der Demonstrationen? Kommen die Leute auf Sie zu?

Man kriegt dadurch, dass meine Frau den Friseursalon noch hat, viel mit von der Stimmungslage der Leute. Da merkt man schon, dass die Angst haben. Ganz einfach Angst, was morgen wird. Ob sie Rechnungen bezahlen können, ob sie Essen und Trinken noch bezahlen können. Ob alles noch mal teurer wird durch diese Energiekrise, die wir jetzt haben. Die Mittel- und Geringverdiener trifft es wieder am härtesten. Wenn ich einkaufen gehe, dann unterhält man sich ja auch mit den Leuten. Oder wenn man sich in der Stadt trifft. Zu meiner Frau, die meinen Betrieb nun leitet, habe ich schon gesagt: Die Energiekosten werden auch bei uns den Gewinn schmälern. Wir sind ein kleines Unternehmen, das wird für uns auch schwierig werden.

Wenn die Leute Angst kriegen, dann müssen sie irgendwohin mit ihren Emotionen und dann gehen sie auf die Straße.

Christian Zwingmann, Bürgermeister von Leinefelde-Worbis

Im Stadtrat haben sie auch schon davon gesprochen, dass Sie Verständnis dafür haben, wenn die Leute auf die Straße gehen. Wie haben Sie das gemeint?

Die Leute wollen auf sich aufmerksam machen, auf ihre Situation und da kann man auch nur auf Verständnis haben. Wenn die Leute Angst kriegen, dann müssen sie irgendwohin mit ihren Emotionen und dann gehen sie auf die Straße. Ich muss sagen, die Energiepolitik unserer Bundesregierung ist, gelinde gesagt, eine Katastrophe. Anders kann ich es nicht bezeichnen. Viele Themen sind hausgemacht. Die Invasion von Russland hat das Ganze natürlich ins Rollen gebracht, aber man hätte anders reagieren können. Die Diskussion der Atomkraftwerke hätte echt nicht sein müssen. Das war ein Hin- und Hergeeiere unserer Regierung. Das verunsichert die Märkte und Märkte reagieren auf so etwas mit Preissteigerung.

Wir wollen ja auf die Situation vor Ort schauen: Waren sie denn schon mal bei den Demonstrationen in Leinefelde-Worbis?

Nein, ich habe sie mir nur mal vom Wasserturm aus angeguckt. Dort war ich noch nicht. Es steht auch jedem Mitarbeiter frei, da mitzugehen. Das war auch Thema in der Verwaltung, ob Mitarbeiter da mitgehen können. Und ich habe gesagt: Ja, das könnt ihr gerne machen.

In Thüringen gibt es ja auch schon das Beispiel in Bad Langensalza, dass ein Bürgermeister selbst zu Demonstrationen aufruft. Würden Sie das auch machen?

Von Amtswegen würde ich das schon mal nicht machen. Aber ich würde auch einen Teufel tun, um sie zu verhindern. Also beim besten Willen. Ich verstehe die Leute. Ich kenne auch viele, die da mitlaufen. Und solange das nicht missbraucht wird von irgendwelchen Radikalen, egal welcher Couleur, ist das vollkommen in Ordnung. Bis jetzt ist auch bei uns alles vollkommen friedlich abgelaufen.

Sie sprechen die roten Linien an: Der Begriff Montagsdemonstrationen kommt noch aus der DDR, dann hat Pegida das genutzt und später dann die Querdenker zur Corona-Pandemie. Jetzt beteiligen sich normale Bürger. Muss man da nicht auch für sich selbst eine rote Linie ziehen?

Der Tag spielt da eigentlich keine Rolle. Die Montagsdemonstrationen zu DDR-Zeiten waren ja auch friedlich und hatten auch nichts mit Radikalismus zu tun. Wer da nun mitläuft: Da muss man aufpassen. Wenn da natürlich irgendwelche mit einer Reichsflagge vorneweg laufen, dann musst du natürlich die Grenze ziehen. Aber das ist bis jetzt, soweit ich weiß, nicht geschehen. Und von daher ist das alles in Ordnung. Und wie gesagt: Ich kenne viele, die da mitlaufen, und das sind ganz ordentliche Leute. Wirklich der Durchschnitt unserer Gesellschaft.

Man kann nicht alle verhindern, die da mitlaufen.

Christian Zwingmann, Bürgermeister von Leinefelde-Worbis

Zu Corona-Zeiten waren dort aber schon Querdenker dabei - die teilweise ja vom Verfassungsschutz beobachtet werden - oder auch Reichsbürger, Rechtsextremisten. Wenn man dort mitläuft: Macht man sich dann nicht trotzdem damit gemein?

Nein, das sehe ich nicht. Solange sich diese Leute da nicht äußern oder in diesen Demonstrationen in den Vordergrund stellen. Man kann nicht alle verhindern, die da mitlaufen. Da werden mit Sicherheit auch ein paar Radikale dazwischen sein und die versuchen, das dann auszunutzen. Aber deswegen kann ich diese Demonstrationen trotzdem verstehen. Man darf sich dann mit diesen Extremen nicht gemein machen.

Wie kann man sich denn abgrenzen?

Das ist natürlich schwierig, aber ich sage mal so: Die Veranstalter haben das bis jetzt zu verhindern gewusst. Und ich denke, die Menschen, die mitlaufen, werden das auch zu verhindern wissen. Zumindest bei uns hier im Ort. Falls es zu irgendwelchen radikalen Äußerungen kommt, werden die Leute das schon selbst regeln. Wenn dort irgendein Radikaler seine Meinung kundtun wollte, ist das bis jetzt schon geschehen. Bisher organisieren zwei normale Gewerbetreibende die Demonstrationen.

Bei den Demonstrationen gibt es oft das Narrativ von "denen da oben" und "wir hier unten". Jetzt sind sie auch ein gewählter Volksvertreter. Wie nehmen Sie sich da war und wie werden Sie wahrgenommen?

Vielleicht gehe ich auch mal hin, als interessierter Bürger.

Christian Zwingmann, Bürgermeister von Leinefelde-Worbis

Als "oben" würde ich mich nicht bezeichnen. Wir haben mit denselben Problemen zu kämpfen wie die Leute auch. In einem anderen Umfang oder einem anderen Maße. In der Verwaltung ist man auch noch relativ sicher aufgehoben. Aber unsere Stadt hat da auch mit zu kämpfen. Unsere Stadtfinanzen sind ja bekanntermaßen angespannt. Die Energiepreise werden sich bei uns auch durchschlagen.

Gut, das lässt sich allerdings auf alle Ebenen bis zum Bund und dem Bundeshaushalt übertragen. Aber wie werden Sie selbst wahrgenommen?

Ich glaube nicht, dass die Leute mich so sehr als Politiker wahrnehmen. Ich bin ja auch ein Bürgermeister für eine kleine Stadt. Da sehe ich mich eher als Mitte der Gesellschaft. Mein Vater hat hier ein paar Häuser in der Stadt. Wir haben mit denselben Problemen zu kämpfen wie alle anderen auch. Ich kann das alles durchaus nachvollziehen. Ich fühle mich da schon in ihrer Mitte.

Haben Sie sich denn die Kundgebungen vor Ort mal angehört?

Bisher nur vom Hörensagen. Es sollen auch ein paar vernünftige Meinungen dabei sein. Man müsste vielleicht wirklich mal hingehen und es sich mal anhören, was dort so gesprochen wird. Vielleicht gehe ich auch mal hin, als interessierter Bürger. Ich möchte aber auch nicht mitgehen, um mich den Leuten da anzubiedern.

Sie sind ein parteiloser Bürgermeister und haben keine Parteizwänge. Hilft Ihnen das in gewissen Situationen?

Ich denke, in gewisser Weise schon. Vielleicht, weil die Menschen einen nicht als parteiangehörig wahrnehmen. Die Wahrnehmung ist anders, weil man "denen" nicht angehört. Die Parteien haben zurzeit einen schlechten Ruf. Teilweise gerechtfertigt, teilweise nicht gerechtfertigt. Irgendwann braucht man gewisse Strukturen, um gewisse Sachen durchzusetzen. Ich sehe mich als Bürgermeister einer Kleinstadt. Auch meine Stadträte, egal, welcher Partei sie angehören, sollten auch alle nur das Wohl der Stadt im Blick haben und das haben sie, glaube ich, auch. Da spielt Parteipolitik nicht die große Rolle.

Ist das womöglich ein Trend durch die vielen Zwänge der Parteien, dass deshalb mehr parteilose Bürgermeister kandidieren?

Das würde ich so nicht unbedingt sagen. Ich glaube, das Problem ist, dass die Menschen zufrieden sind mit denen, die an der Macht sind, solange es ihnen gut geht. Ob es nun Parteien sind oder Bürgermeister. Wenn die Menschen Probleme kriegen, dann wenden sich von dem bestehenden System ab. Ob das nun ein Parteiensystem ist oder ob das unabhängige Kandidaten sind. Ich denke mal, das Problem ist anders gelagert. Das hat nicht unbedingt was mit den Parteien zu tun. Wobei die Gesellschaft ja sehr differenziert geworden ist. Diese ganz großen Volksparteien gibt es ja in dem Sinne nicht mehr. Wir haben hier im Eichsfeld noch die CDU, die als Volkspartei durch unseren christlich geprägten Landstrich noch da ist. Aber bundesweit sieht man ja, wo die Sache hingeht.

Was ist Ihnen noch wichtig?

Was mir wirklich zu kurz kommt in der Bundespolitik ist der Mittelstand. Es wird viel für die ganz Kleinen gemacht. Die Leute, die so knapp drüber sind über dieser Grenze Geringverdiener, Hartz IV, die werden in dieser ganzen Geschichte gerade vergessen. Und auch der Mittelstand, der wird hier vergessen. Mit der Energiepreisbremse erreicht man da nicht so viel. Da wird mit der Gießkanne wieder Geld ausgeschüttet und kommt im Endeffekt nicht bei den Richtigen an. Und das ist schlechte Regierungsarbeit in Berlin.

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MDR (sar)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 25. Oktober 2022 | 07:00 Uhr

283 Kommentare

O.B. am 31.10.2022

Martin, ich dachte wir waren durch für heute!?
Also jeder hat seine Erfahrungen gemacht im Leben. Ich weiß es geht immer schlimmer aber ich weiß auch das kaum einer mit mir tauschen wollte. Wenn ich sehe wie ich mich angestrengt habe was aufzubauen dann könnte ich fluchen was da für gestalten tausende von € bekommen. Der Mann erzählt von Kranken Mitarbeitern und erwartet auch noch mitleid von Leute die krank sind und am hungertuch nagen. So wie sie und andere die afd und ihre Mitglieder sowie "freunde" in ihrer Ganzheit ablehnen sei es doch mir gestattet auch ein zwei Gestalten nicht zu mögen und deren Aussage auf die Goldwaage zu legen 🙏😉. Ein Politiker der in seinem Buch schreibt er können mit seinem Land nichts anfangen würde in keinem Land der Welt Vize Kanzler. Bei den Amis zb würde er noch am selben Tag gehen. Einen Eid zu leisten und Steuergelder einstecken obwohl man kein Interesse am Land hat ist eine Unverschämtheit in meinen Augen 🤷‍♂️

Wessi am 31.10.2022

@ O.B. ... dann nutzen Sie doch die Unterstützung eines Sozialverbandes,der Gewerkschaft oder wo Sie sonst Mitglied sind.Das ist vielfach effektiv!Übrigens...arbeitslos war ich mehrfach, auch in jungen Jahren.Aber ich habe von zuhause gelernt nie Schulden zu machen+mit Geld umzugehen, nie über Steuern zu jammern+mich über unser Land zu freuen,gesellschaflich teil zu haben+Ehrenämter auszufüllen, statt zu mäkeln...und vor allem mich von AG mich nicht ausbeuten zu lassen.

Wessi am 31.10.2022

nein @ knarf ich habe oben die Quellen angegeben.Rein absolut gibt es in NRW die meisten Armutsgefährdeten.Prozentual steigt diese Gefährdung im Westen, im Osten wird sie niedriger.Als ein Beispiel gibt es Osten die Rentnerinnen die höhere Renten haben als viele Frauen im Westen, weil es in der DDR gerechter zuging+Kinderbetreuung effektiv gestaltet wurde.Das ist im Osten heute immer noch besser.

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