Öffentlicher Nahverkehr Gera will mehr barrierefreie Haltestellen schaffen

17. Juni 2022, 18:41 Uhr

Wer mit Kinderwagen, Rollstuhl oder Rollator öffentliche Verkehrsmittel nutzen will, kennt das Problem: Nicht an allen Haltestellen kann man ohne Probleme zusteigen. In Gera sind gerade mal 60 Prozent der Haltestellen barrierefrei. Das soll sich in Zukunft ändern.

Die Haltestelle "An der Spielwiese" in Gera ist das Tor zur Wiesestraße. Dort bauen die Geraer Verkehrsbetriebe seit Mitte 2019 Gleisanlagen, Straße und Fußwege neu. Ein Projekt mit vielen Stolpersteinen, denn schon die Finanzierung verlangte von den Planern viel Geduld. Überraschungen im Baugrund sorgten für weitere Verzögerungen, so dass nun mit mindestens einem Jahr Verspätung im Winter 2022 alles fertig werden soll. Dazu gehören auch barrierefreie Bahnsteige an allen Haltestellen.

Eigenständiges Millionenprojekt

Bei der Einweihung der neuen Haltestelle "An der Spielwiese" am Freitag betonte GVB-Geschäftsführer Thorsten Rühle, dass die Haltestelle nicht Teil der Baumaßnahme Wiesestraße ist, sondern von den Verkehrsbetrieben als eigenes Projekt gestartet wurde.

Für knapp eine Million Euro wurden in zehn Monaten Bauzeit die Gleisanlagen und die Bahnsteige erneuert, außerdem baute die Energieversorgung Gera neue Starkstromleitungen.

Verbesserungen für weniger mobile Menschen

Mit dem Neubau der Haltestelle soll sich auch für Behinderte und andere weniger mobile Menschen einiges verbessern. Auf den beiden neuen Bahnsteigen gibt es auf jeweils 45 Metern Länge jetzt sogenannte taktile Blindenleitsysteme mit weiß gerillten und genoppten Platten, an denen sich blinde Menschen orientieren können. Auch die Gehwegkreuzungen vor und hinter den Haltestellen wurden damit ausgerüstet.

Außerdem passten die GVB die Höhe der Bahnsteige an, damit die Fahrgäste ebenerdig in die Bahnen einsteigen können. Das klappte zur Einweihung nur eingeschränkt, denn zwischen Bahn und Bahnsteigkante sorgte ein Absatz von knapp zehn Zentimetern für Probleme. Laut Straßenbahnfahrer war das der leeren Bahn geschuldet.

Dietmar Schneider von der Initiative "Barrierefreies Gera" freut sich trotzdem über die neue Haltestelle. Er nutzt fast täglich Busse und Bahnen in Gera und ist mit seinem Rollstuhl auf barrierefreie Bahnsteige angewiesen.

Potential für Verbesserungen benannt

Auch Eberhard Tölke ist zur Eröffnung an der Haltestelle. Er ist blind und auf das neue Leitsystem auf dem Bahnsteig angewiesen. "Die Wege sind breit genug, allerdings sind die Papierkörbe und Lichtmasten für blinde Menschen nicht sehr gut platziert", sagt er und übt auch Kritik an den neuen Wartehäuschen. "Die Glasscheiben sind nicht gekennzeichnet, da gibt es keinen Kontrast. Ein blinder Mensch läuft hier schnell davor."

GVB-Chef Thorsten Rühle hört aufmerksam zu und will sich der Hinweise annehmen. Allerdings seien schon bei der Planung die Behinderten- und Blindenverbände in der Stadt Gera angehört worden.

Potential des ÖPNV nicht ausgeschöpft

Mit dem 9-Euro-Ticket ist die Zahl der Fahrgäste in Gera sprunghaft angestiegen. Knapp 17.000 der Fahrkarten haben die Verkehrsbetriebe bisher verkauft, außerdem nutzen weitere 9.000 Abonnenten die Busse und Bahnen in Gera regelmäßig.

Für Thorsten Rühle zeigt sich jetzt, welches Potential der öffentliche Nahverkehr in der Stadt hat. Deshalb will der GVB-Chef auch in Zukunft weiter in die Infrastruktur investieren. Allerdings geht das nur mit Fördermitteln, denn Gera befindet sich nach wie vor in der Haushaltssicherung.

Wir haben Signale aus der Landesregierung, dass es im nächsten Jahr vom Freistaat keine Fördermittel für Investitionen im öffentlichen Nahverkehr geben soll.

Thorsten Rühle GVB-Chef

Und gerade da liegt das Problem. "Wir haben Signale aus der Landesregierung, dass es im nächsten Jahr vom Freistaat keine Fördermittel für Investitionen im öffentlichen Nahverkehr geben soll", sagt Rühle. Das Infrastrukturministerium will das nicht bestätigen. Zwar befinde man sich noch in der Abstimmung zum neuen Haushalt, allerdings seien auch im nächsten Jahr Mittel für den ÖPNV eingeplant. Über die Höhe der möglichen Förderung für Investitionen will man sich aber noch nicht äußern.

Langfristige Strategien nötig

Die Geraer hoffen, dass es Bund und Land mit der Verkehrswende ernst meinen. Denn noch fehlen etwa 15 Prozent der Fahrgäste gegenüber der Zeit vor Corona. Ein attraktiver Nahverkehr könnte gerade in Großstädten wie Gera, Erfurt oder Jena für mehr Fahrgäste sorgen. Die werden jetzt drei Monate mit dem 9-Euro-Ticket angefüttert. Ohne langfristige Strategien könnte sich das aber als Rohrkrepierer erweisen.

MDR (gh)

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 17. Juni 2022 | 19:00 Uhr

1 Kommentar

Jedimeister Joda am 18.06.2022

Das ist ja alles sehr löblich. Aber das Problem ist doch viel gößer. In der Stadt gibt es den ÖPNV. Auf dem Dorf gar nicht, fast nicht. Wir haben noch nicht mal Gleise. Ja die Welt ist ungerecht. Und eh jemand den Einwand bringt, kannst du da nicht wegziehn. Es ist schwer Gerchtigkeit stattfinden zu lassen. Doch genau das steht im Grungesetz. Auch die Exkanzlerin hat da versagt. Kemmrich läßt grüßen. Wollen mal sehen ob da Konsequenzen draus erwachsen. Hoffnung hab ich wenig. Das Sprichwort lautet. Eine Krähe hackt der Anderen kein Auge aus. Macht was.

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