Bergbausanierung Wismut-Halde: Jahrzehntelanger Streit um Folgen des Uran-Bergbaus dauert an
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02. Januar 2024, 16:53 Uhr
Ein Karpfen hatte das Dorf Gauern mal in die Schlagzeilen gebracht. Äußerlich sah der Fisch prächtig aus, innerlich hatte er erschreckend hohe Uranwerte. Das ging damals überregional durch die Zeitungen, auch das MDR THÜRINGEN JOURNAL berichtete. Seitdem sind über 20 Jahre vergangen. Aber Anfang 2024 gilt einmal mehr: neues Jahr, alte Sorgen.
Gauern liegt heute im Landkreis Greiz. In den 1950er-Jahren war es ein Ort im damaligen Uran-Bergbaurevier Ostthüringens. Das strahlende Erz für das Atomprogramm der Russen - es brachte der DDR bis 1953 nicht einen einzigen Pfennig ein. Denn die Urangewinnung war zunächst eine Reparationsleistung für die Schäden des Zweiten Weltkriegs in der Sowjetunion.
Gauern gehörte zu den Orten in Thüringen, an denen die Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft Wismut (SDAG Wismut) tätig wurde. Für den Uranbergbau wurden zwei Drittel des Dorfes geopfert.
Höhenzug am Dorf sorgt für Verunsicherung
Heute sieht es hier aus, als zöge sich ein bewaldeter Höhenzug bis in den Ort hinein. Das ist die Gauern-Halde. Über sie sind einige Fakten in einem behördlichen Datenblatt erfasst. Zum Beispiel, dass in der Betriebszeit von 1954 bis 1967 Bergbau-Abraum bis zu 37 Meter hoch aufgeschüttet wurde.
Die Menge: 7,5 Millionen Kubikmeter Gestein. Es gibt keine Sickerwassererfassung und -ableitung, heißt es im Datenblatt. Aber es gibt erhöhte "Aktivitätskonzentration in Sicker-, Oberflächen- und Grundwasser", steht da auch geschrieben.
Welche Auswirkungen hat das aufs Dorf? Auf Anfrage von MDR THÜRINGEN schreibt der ehrenamtliche Bürgermeister Stefan Mattis, es gebe bis heute keine klaren Aussagen über Gesundheitsgefährdungen. Es gebe bisher auch "keine vorzuweisenden Sanierungspläne, was zu einer allgemeinen Verunsicherung führt".
Fachlich wäre die Wismut GmbH wohl der geeignete Partner, um ein Sanierungskonzept zu entwickeln, heißt es beim Kirchlichen Umweltkreis in Ronneburg. Die Wismut GmbH ist als bundeseigenes Unternehmen zuständig für alle Betriebstätten des zum 1. Januar 1991 eingestellten Uranerzbergbaus der SDAG Wismut in Thüringen und Sachsen.
Für deren Sanierung hat der Bund insgesamt 6,8 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt. Auch in der Umgebung von Gauern hat die Wismut Halden abgetragen, zusammengelegt und saniert, weil die bis zum Ende des Bergbaus noch zu den Betriebsflächen gehörten. Die Gauernhalde aber zählt nicht zu diesen Objekten. Sie ist ein sogenannter Altstandort.
Verschiedenen Wege in Thüringen und Sachsen für Wismut-Altstandorte
Für Standorte, die 1991 nicht mehr durch die SDAG Wismut bewirtschaftet wurden, gibt es keine einheitliche Vorgehensweise. Sachsen hat seit 2003 mittlerweile drei sogenannte Verwaltungsabkommen mit dem Bund abgeschlossen, damit dort auch Altstandorte des Uranbergbaus saniert werden können.
Das soll bis 2035 beendet werden, für insgesamt 445 Millionen Euro, die das Land Sachsen und der Bund je zur Hälfte tragen. Darüber informierte das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie 2021 in einer Broschüre mit dem Titel "Wismut Bergbausanierung - Verantwortung übernehmen, Zukunft gestalten". Beschrieben werden auch die an den Altstandorten zu leistenden Sanierungsaufgaben. Unter anderem gehe es darum, "radiologische Altlasten zu sanieren" und "Halden zu stabilisieren und deren Oberfläche abzudecken".
Das war schon damals ein schlechter Vertrag, für den wir jetzt teuer bezahlen.
Thüringen konnte solche Abkommen bisher nicht abschließen. Denn mit Thüringen hatte der Bund bereits 1999 den sogenannten "AMG" abgeschlossen - den "Altlasten Management Generalvertrag". Der sollte gewissermaßen den Deckel zumachen - auf einem Fass ohne Boden: Für den Ausgleich von rund 443 Millionen DM übernahm Thüringen alle Kosten etwa für die Sicherung und Sanierung alter Kali-Gruben und die Sanierung im Teerverarbeitungswerk Rositz.
"Das war schon damals ein schlechter Vertrag, für den wir jetzt teuer bezahlen", teilte das Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz im November 2020 ganz offiziell auf seiner Internetseite mit. Trotzdem gilt dieser "AMG". Weitere Abkommen zur Finanzierung von Altlasten-Sanierungen scheinen für Thüringen nicht in Sicht.
Generationen-Ärger in Gauern
Frank Lange vom Kirchlichen Umweltkreis sagt, das sei schlecht für die Altstandorte des Uranbergbaus in Thüringen. Bei denen geht es um Liegenschaften und Einrichtungen, die schon vor Jahrzehnten für die Urangewinnung nicht mehr benötigt wurden.
Sie wurden dann von der SDAG Wismut an die staatlichen Verwaltungen der DDR oder an privat übergeben - aber völlig unsaniert. Lange kennt ein Dokument vom 21. Januar 1957, in russischer und deutscher Sprache verfasst, mit dem Titel "AKT".
Der AKT regelt die Übergabe eines Schachtes und von zwei "Karrieren". Das Wort "Karriere" steht im Russischen für "Steinbrüche", also auch für Halden. Konkret geht es um die Ortslagen von Dietrichshütte, Sorge und Gauern. Allein dieses Papier belegt, was Frank Lange immer wieder betont: Gauern ist kein Einzelfall in Thüringen, sondern nur ein Beispiel für Kommunen, die von Altlasten des frühen Wismut-Bergbaus betroffen sind. Bemerkenswert am Dokument AKT ist der abschließende Punkt vier: "Nach der Übergabe der obengenannten Werte sind jegliche damit verbundenen Forderungen an die SDAG Wismut ausgeschlossen."
In Gauern sorgte erst Jahrzehnte später ein strahlender Karpfen dafür, dass die Öffentlichkeit auf Ausspülungen aus der Halde, die radioaktiv und mit Schwermetallen belastet sind, aufmerksam wurde. Vorsorglich reagierte damals das Landratsamt. Es verbot, die Teiche in Gauern zu befahren und die Brunnen in den Gehöften zu benutzen.
Der Kirchliche Umweltkreis monierte die Anordnung und machte darauf aufmerksam, dass die Fischzucht vom behördlichen Verbot nicht eingeschlossen ist. Die ehrenamtlichen Umweltschützer mit wissenschaftlichem Anspruch an die eigene Arbeit dokumentierten ganze Serien von Messungen und werteten diese aus.
Inzwischen sind sie sich sicher, dass die größte Belastung aus der Gauernhalde weniger die Brunnen im Ort betrifft, aber dafür einen Abschnitt der Fuchsbach-Aue zwischen Gauern und Wolfersdorf.
Frank Lange, Kirchlicher Umweltkreis: Es ist im Prinzip ein toter Bereich
Thüringen hat Handlungsbedarf erkannt. Das Landesamt für Umwelt, Bergbau und Naturschutz erließ 2021 einen Bescheid, die Wismut GmbH solle Art und Ausmaß der radioaktiven Altlast untersuchen und einen Sanierungsplan erstellen. Frank Lange sagt, das Land folge da dem Verursacherprinzip: Die Wismut habe die Halde errichtet, die Wismut solle das Problem lösen.
Gegen genau diese Überlegung wehrt sich das Bergbausanierungsunternehmen vor dem Verwaltungsgericht in Gera. Denn die Wismut GmbH sei eben nicht die SDAG Wismut, der Altstandort Gauern gehöre nicht zu ihrem vom Bund finanzierten Sanierungsauftrag. Der Pressesprecher des Verwaltungsgerichtes sagte auf MDR-Anfrage, noch liefen Fristen, in denen die Streitparteien Stellungnahmen abzugeben hätten.
Wann über die 230 Seiten umfassende Klageschrift entschieden werde? Vielleicht gegen Ende des Jahres, erwartet Amelung. Für Frank Lange vom Kirchlichen Umweltkreis ist das keine gute Nachricht. Für die Leute in Gauern bleibt es beim alten Ärger, der inzwischen schon mehrere Generationen wurmt.
"Man muss das mal über die Jahrzehnte sehen", sagt Lange. "Erst verlieren sie zwei Drittel des Ortes. Und seitdem ist die Fläche jeder urbanen oder landwirtschaftlichen Nutzung entzogen. Es ist im Prinzip ein toter Bereich." Und Bürgermeister Stefan Mattis resümiert: "Wir wissen eigentlich nur, dass etwas getan werden muss. Aber was genau und wann, bleibt abzuwarten."
MDR (ost)
Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | Thüringen Journal | 02. Januar 2024 | 19:00 Uhr
Commander1207 vor 44 Wochen
Nach den Ausführungen ist doch klar, dass das Land Thüringen seit 25 Jahren eindeutig zuständig ist. Anstatt sich zu kümmern, versucht man das Problem auszusitzen. Mit dem Geld hätte man damals zumindest einen Teil des Problems lösen können. Heute reicht das natürlich hinten und vorne nicht...
martin vor 44 Wochen
@beobachter: Die Lebenserwartung von Bergleuten im Mittelalter war ja auch außerhalb der Uranerzbergbaus recht gering. Habe ich Sie richtig verstanden, dass die Kirchenbücher eine geringere Lebenserwartung als die Lebenserwartung anderer Bergleute ausweisen?
DER Beobachter vor 44 Wochen
Habe von einem Pfarrer aus Schwarzenberg vor Jahren schon von den mittelalterlichen Kirchenbüchern gehört, dass im Uranpechblenderevier die Lebenserwartung der erzgebirgischen Bergarbeiter schon im im Mittelalter extrem niedrig war auch für den Beruf als solchen, da wussten die noch gar nix damit anzufangen. Und seinerzeit in der Schule in geo, wie toll es doch ist, dass im Kühlabwasser von Lubmin die forellen so besonders schön gri