Ein Mann prüft ein Metallteil
Andy Wimmer zählt zu den gehörlosen Angestellten von Vacom. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Menschen mit Behinderung Gehörlose Mitarbeiter: So läuft es beim Vacuumspezialisten in Großlöbichau

16. Februar 2024, 21:00 Uhr

Vor fünf Jahren hat sich der erste Gehörlose bei Vacom in Großlöbichau beworben. Damit begann für das Unternehmen ein Prozess, bei dem sich nicht nur Produktionsabläufe änderten, sondern auch die Mitarbeiter lernen mussten. Inzwischen spricht das Unternehmen von einem Erfolgsmodell.

Andy Wimmer kennt keinen Produktionslärm. In der Werkhalle von Vacom in Großlöbichau herrscht für ihn Stille, absolute Stille. Der 27-Jährige ist von Geburt an gehörlos und seit fünf Jahren bei dem Spezialisten für Vakuumtechnik beschäftigt. Zuvor absolvierte er in Nürnberg eine Ausbildung in einem klassischen Metallberuf. Seitdem pendelt er täglich von seinem Wohnort Jena nach Großlöbichau.

"Andy war unser erster gehörloser Mitarbeiter", erzählt Vacom-Mitarbeiterin Stefanie Grötsch. "Wir mussten uns damals erst einmal informieren, was in der täglichen Arbeit mit Gehörlosen wichtig ist."

Seitdem unterstützen die Agentur für Arbeit, der Integrationsfachdienst und der sogenannte Technische Berater das Unternehmen. Denn Arbeitgeber, die Menschen mit Behinderung einstellen, müssen vor allem die internen Prozesse im Unternehmen anpassen. Bei Gehörlosen bedeutet das zum Beispiel, Unfallgefahren zu beseitigen, die für Hörende kein Problem wären.

Aber auch die Kommunikation im Team untereinander spielt eine große Rolle. Aufgrund des eingeschränkten Sprachschatzes kann es immer wieder zu Missverständnissen kommen. Bei den Gehörlosen sorgt das Nichthören für Unsicherheit. Die Angst davor, Fehler zu machen oder ausgegrenzt zu werden, verspottet zu werden, spielt auch eine große Rolle.

Ein Mann arbeiter an einer Werkbank
Bei Vacom fühlt sich Andy Wimmer gut aufgehoben. Er ist nicht der einzige gehörlose Kollege im Unternehmen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Schwierigkeiten bereits bei der Bewerbung

Aus Sicht des Landesverbandes der Gehörlosen in Thüringen ist deshalb eine gute, offene Willkommenskultur im Unternehmen wichtig. Die Betriebe sollten auch möglichst zwei Gehörlose beschäftigen, heißt es aus Erfurt. Für die Betroffenen beginnen die Schwierigkeiten oft bereits mit der Bewerbung.

Die Gebärdensprache hat eine andere Grammatik als die Schriftsprache. Deshalb brauchen Gehörlose zum Beispiel auch bei Briefen von Ämtern Hilfe beim "Übersetzen". Für wichtige Termine können sie deshalb die Unterstützung durch einen Gebärdendolmetscher in Anspruch nehmen. Die Kosten werden durch das Sozialamt übernommen.

Drei Personen arbeiten in einer Produktionhalle
Vacom nimmt in den Betriebsabläufen Rücksicht auf gehörlose Angestellte. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Vacom bucht zum Beispiel bei Mitarbeiterversammlungen oder bei Personalgesprächen einen Gebärdendolmetscher beim Integrationsamt der Stadt Gera. Während der Einarbeitung waren die Dolmetscher sogar längere Zeit vor Ort. Außerdem gab es zu Beginn Infoveranstaltungen im Unternehmen für Gehörlose und Hörende.

Hier wurden auch Regeln für die Kommunikation aufgestellt. Im Arbeitsalltag kommen die Mitarbeiter bei Vacom inzwischen meist ohne Dolmetscher aus. Viele Mitarbeiter kennen ein paar Gebärden. Normalerweise verständigen sich die Kollegen aber mit Körpersprache, Mimik und Gestik. Wenn alles nichts hilft, schreiben sie es einfach auf.

"Ich fühle mich hier wohl"

Drei gehörlose Männer und eine Frau arbeiten inzwischen im Unternehmen. Sie arbeiten in der Fertigung, der Oberflächenbearbeitung und in der Logistik. Jeder Einzelne ist in seinem Bereich einem festen Team zugeteilt. Markus Schwan aus Eisenberg ist seit einem knappen Jahr bei Vacom und arbeitet in der Oberflächenbehandlung.

Zwei Männer unterhalten sich
Markus Schwan im Gespräch mit Gruppenleiter Marco Chrost. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Routiniert trimmt der die Metallbauteile auf Hochglanz. "Ich fühle mich hier wohl", gebärdet Markus Schwan, Dolmetscherin Jana Hagemann übersetzt. Der 39-Jährige wurde nach seinen Worten im Team gut aufgenommen. Und das nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch in der Pause oder bei Firmenfeiern.

Wie viele Gehörlose in Thüringen einen Arbeitsplatz haben, darüber gibt es laut Agentur für Arbeit keine genauen Zahlen. In den Arbeitsplatz-Statistiken für Menschen mit Handicap wird die Art der Einschränkung nicht gesondert erfasst. Allerdings stellt Gehörlosigkeit laut Stefan Scholz, Geschäftsführer der Agentur für Arbeit in Ostthüringen, eine besonders schwere Sinnesbeeinträchtigung dar. Deshalb sei auch die Integration von Betroffenen deutlich schwieriger als bei anderen Menschen mit Behinderung. Trotzdem konnte die Behörde nach eigenen Worten in den letzten Monaten auch immer wieder Erfolge verbuchen.

Unternehmen können Hilfe in Anspruch nehmen

Unternehmen, die Gehörlose beschäftigen wollen, können neben der Beratung auch finanzielle Hilfen in Anspruch nehmen, zum Beispiel im Rahmen der Eingliederung oder bei gesundheitlich bedingten Minderleistungen. Auch Umbauten oder technische Arbeitshilfen werden gefördert.

Für Vacom sind die gehörlosen Mitarbeiter inzwischen ein fester Bestandteil des Unternehmens. Zukünftig könnten noch weitere Gehörlose dazu kommen. Gut vorbereitet dürfte Vacom jetzt sein.

Mehr zum Arbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung

MDR (adr/sar/cfr)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN | MDR THÜRINGEN JOURNAL | 16. Februar 2024 | 19:00 Uhr

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