Eine Stromtrasse zieht sich durch die Landschaft.
Eine solche 380-kV-Freileitung ist zwischen Thüringen und Bayern nach Ansicht der Bundesnetzagentur zusätzlich notwendig. Bildrechte: picture alliance/dpa | Nicolas Armer

Stromnetz der Zukunft Bundesnetzagentur: Weitere Stromleitung zwischen Thüringen und Bayern nötig

01. März 2024, 20:49 Uhr

Thüringen und Bayern streiten um eine Stromleitung, die eigentlich schon beerdigt war. 2019 hatte die Politik in Erfurt und München frohlockt, weil andere Lösungen gefunden wurden. Seit Freitag ist klar: Sie wird doch gebraucht. Die Bundesnetzagentur hat es offiziell bestätigt.

Zwischen Thüringen und Bayern wird nach 2037 eine zusätzliche Stromleitung gebraucht. Die Bundesnetzagentur hat das umstrittene Projekt mit der Bezeichnung P540 in den Netzentwicklungsplan für die Jahre 2037 bis 2045 (PDF, 40 MB) aufgenommen. Die Leitung soll von der Landesgrenze Thüringen-Bayern nach Münnerstadt und weiter nach Grafenrheinfeld führen, was beides in Franken liegt. Nach den üblichen Konsultationen zu diesem Plan hat ihn die Bonner Behörde am Freitag bestätigt.

Ein Mann fährt am 23.10.2016 vor dem ehemaligen Atomkraftwerk in Grafenrheinfeld (Bayern) mit seinem Rad entlang.
Strommasten vor den Kühltürmen des stillgelegten Kernkraftwerks Grafenrheinfeld: Der Atommeiler wird rückgebaut, ein zentraler Knoten im Übertragungsnetz ist der Ort weiterhin. Bildrechte: picture alliance / dpa | Nicolas Armer

Die Engpässe im Stromnetz zwischen Thüringen und Bayern, so die Behörde, müssten behoben werden. Das sei aber mit Südlink und Südostlink, den beiden geplanten Nord-Süd-Gleichstrom-Erdkabeln, nicht vollständig zu leisten. Für ein klimaneutrales Deutschland ab 2045 müssten die Verbindungen zwischen den Wechselstrom-Netzen der Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz und Tennet weiter ausgebaut werden.

Über zehn Jahre Streit um Leitungsprojekt

Die P540 ist kein neues Projekt. Seit 2012 war sie unter der Bezeichnung P44 immer wieder im Gespräch. Gedacht ist sie als Freileitung. Schon jetzt verbindet die wichtige "Thüringer Strombrücke“ Vieselbach bei Erfurt mit Redwitz an der Rodach in Nordbayern. Bis kurz vor der Landesgrenze bei Schalkau sind die Masten dieser 380-kV-Leitung so ausgestattet, dass für eine weitere Verbindung nach Bayern nur noch Querträger installiert und Leiterseile aufgehängt werden müssen. Die Frage, wie es hinter Schalkau weitergehen soll, war allerdings immer wieder Anlass für Streit zwischen Thüringen und Bayern. Geradewegs über die Grenze – das war und ist die Position von Thüringen.

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Strom-Masten der Westküstenleitung in Norddeutschland neben dem Tennet-Umspannwerk Klixbüll-Süd: Angestrahlt in den Farben Rot, Grün und Gelb für einen Festakt zur Inbetriebnahme am 4. November 2022
Strom-Masten der Westküstenleitung in Norddeutschland neben dem Tennet-Umspannwerk Klixbüll-Süd: Angestrahlt in den Farben Rot, Grün und Gelb für einen Festakt zur Inbetriebnahme am 4. November 2022 Bildrechte: picture alliance/dpa | Christian Charisius

Proteste gegen Freileitungen in Bayern

2019 schienen die Pläne vom Tisch zu sein. In Bayern hatte bis dahin noch nicht jeder, der politische Entscheidungen treffen darf, die Notwendigkeit der Energiewende verstanden. Es gab Regelungen zum Bau von Windrädern, die vor allem eins brachten: fast keine Windräder. Und es gab Bürgerproteste gegen neue Freileitungen für den Stromtransport.

Die P44 verschwand aus den Plänen für den Netzausbau. Im Gegenzug stellte sich Thüringen nicht quer, als die geplante Leistung von Südostlink verdoppelt wurde. In Erfurt und München wurde die Entscheidung gefeiert - vom bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) mit viel Getöse als "Durchbruch für die Energiewende in Bayern", der es als großen Erfolg bezeichnete "dass wir die P44 wegverhandeln konnten". Aus dem Thüringer Energieministerium hieß es damals: "Das Heldburger Unterland bleibt vor Eingriffen geschützt - die Thüringer Argumente haben hier überzeugt."

Blick auf das Heldburger Unterland mit dem in die Landschaft eingebetteten Dorf Gellershausen.
Blick auf das Heldburger Unterland mit dem Dorf Gellershausen. Bildrechte: picture-alliance/ ZB | Martin Schutt

Bayern will Trasse durchs Heldburger Unterland

Dass das Heldburger Unterland doch wieder im Gespräch ist, dafür hat jetzt auch Hubert Aiwanger gesorgt. Am 8. Februar ließ er in einer Pressemitteilung seines Ministeriums wissen, dass wegen des Ausbaus erneuerbarer Energien bei Münnerstadt aus Sicht der Bundesnetzagentur ein Umspannwerk "und die Anbindung von Münnerstadt an das Übertragungsnetz nach Grafenrheinfeld nötig" seien. "Durch die weitere Freileitung von Münnerstadt nach Schalkau/Thüringen erfolgt die Anbindung an Thüringen über die neue P540", ist dort zu lesen. Öl ins bayerisch-thüringische Feuer ist eine Karte unter der Pressemitteilung, auf der ein blauer breiter Korridor Schalkau mit Münnerstadt verbindet. Das Heldburger Unterland liegt auf halber Strecke.

Eine Karte zeigt den geplanten Verlauf einer Stromtrasse von nach Bayern, die auch Südwestthüringen durchkreuzt.
Auf dieser Karte des bayerischen Wirtschaftsministeriums führt die neue Leitung durch das Heldburger Unterland. Bildrechte: Bayerisches Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie

Ramelow: Kein offizieller Trassenvorschlag

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) legt Wert auf die Feststellung, dass dies kein offizieller Trassenvorschlag ist. Im jetzt veröffentlichten Netzentwicklungsplan hat die Bundesnetzagentur auf Seite 344 keinen Trassenkorridor zwischen Schalkau und Münnerstadt vermerkt. Das Heldburger Unterland sei in der grafischen Darstellung also nicht ausgewiesen, insistiert Ramelow. 50Hertz als Betreiber der Thüringer Strombrücke könne seine Masten jetzt von Schalkau bis zur Landesgrenze ergänzen. Der Landesvater bleibt dabei: Auf kurzem Weg über die Landesgrenze soll es gehen. Und dann weiter auf bayerischem Territorium – das wäre dann nicht mehr Sache von Thüringen.

Bundestag muss festlegen wer genehmigt

Wer darüber am Ende entscheidet, das ist auch noch offen. Eine Freileitung, die zwei Bundesländer betrifft - sie könnte in die Zuständigkeit der beiden Freistaaten fallen. Dann wären das Thüringer Landesverwaltungsamt in Weimar und das bayerische Ministerium für Landesentwicklung, das gleichzeitig auch Wirtschafts- und Energieministerium ist, zuständig für die Genehmigung. Andererseits könnte gerade wegen der Bedeutung für die Netze zweier Bundesländer auch die Bundesnetzagentur die Verantwortung übertragen bekommen. Auf welchem Tisch das lange Genehmigungsverfahren am Ende landet, legt der Bundestag fest.

Bundesnetzagentur hat zur P540 ermutigt

Auffällig still in Sachen P540 waren am Freitag die beiden Netzbetreiber 50Hertz und Tennet. Offenbar war es die Bundesnetzagentur selbst, die die P44 als P540 von den Totgeglaubten aufgeweckt hat. Die Behörde antwortete am Freitag auf Anfrage von MDR THÜRINGEN, man habe den Netzbetreibern bereits bei den Gesprächen über den Strombedarf der Zukunft im vergangenen Sommer signalisiert: Wir glauben, dass mehr Netzausbau nötig ist, als ihr beantragt habt. Das ist insofern nicht alltäglich, weil die Bonner Behörde immer wieder auch Vorhaben der Netzbetreiber gestrichen hat.

Tennet hat politische Rückendeckung abgewartet

Tennet als Betreiber des bayerischen Höchstspannungsnetzes bestätigte am Freitag auf Anfrage, dass aus Sicht der Bundesnetzagentur die eingereichten Vorschläge zum Ausbau und zur Verstärkung des Netzes nicht ausgereicht haben: Die Engpässe im Netz - vor allem zwischen dem der ehemaligen DDR und Bayern - könnten so nicht zu beseitigt und der immens wachsenden Bedarf durch die Dekarbonisierung nicht gedeckt werden. "Die Übertragungsnetzbetreiber teilen die Auffassung der Bundesnetzagentur grundsätzlich, haben aber wegen der intensiven Diskussionen um die Netzausbauprojekte P43 und P44 in den vergangenen Jahren die mit der Entscheidung des Ministerrats am 06.02.2024 erteilte Zustimmung der Bayerischen Staatsregierung abgewartet, bevor sie das Projekt P540 bei der BNetzA eingereicht haben." Ein Satz, der Bände spricht.

Die Übertragungsnetzbetreiber teilen die Auffassung der Bundesnetzagentur grundsätzlich, haben aber wegen der intensiven Diskussionen um die Netzausbauprojekte P43 und P44 in den vergangenen Jahren die mit der Entscheidung des Ministerrats am 06.02.2024 erteilte Zustimmung der Bayerischen Staatsregierung abgewartet, bevor sie das Projekt P540 bei der BNetzA eingereicht haben.

Übertragungsnetzbetreiber Tennet

Ärger und Alternativen - Thüringen gibt nicht nach

Am 16. Februar 2024 hatte Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow einen geharnischten Brief an seinen Amtsbruder Markus Söder (CDU) in München geschrieben. Darin macht er seinem Ärger über das bayerische Vorgehen Luft, regt aber auch Gespräche und ein abgestimmtes bayerisch-thüringisches Vorgehen an. Eine offizielle Antwort von Markus Söder hat die Staatskanzlei bisher nicht bekommen.

Auf Anfrage schrieb die Bundesnetzagentur am Freitag, es habe sowohl vor als auch nach dem 16. Februar 2024 Gespräche der Behörde mit Bodo Ramelow gegeben. Nach Informationen von MDR THÜRINGEN waren am letzten Gespräch auch Experten aus den Thüringer Ministerien für Energie und für Infrastruktur beteiligt. Neben Unmut über die P540 hat Thüringen in dem Gespräch auch Alternativen zu dieser Freileitung vorgelegt. In den Netzentwicklungsplan haben sie es nicht geschafft.

MDR (seg)

Dieses Thema im Programm: MDR THÜRINGEN - Das Radio | Nachrichten | 01. März 2024 | 14:00 Uhr

36 Kommentare

astrodon vor 40 Wochen

@Niemann: "Anderenorts denkt man darüber nach ..." - ja, und genau da liegt das Problem: Bestenfall sollen die ersten dieser Anlagen - als Pilotprojekte (!) - im Jahr 2033 in Betrieb gehen und 300 MWel. produzieren. Das ist eine ganze Menge Strom und auch der muss verteilt werden. Und der braucht Leitungen, die diese Leistung übertragen können, wenn er mal nicht amNetz ist. und diese Verbindungen brauchen Sie zwischen allen mind. 200 Reaktoren, die deutschlandweit notwendig wären. Sie sehen, ohne Leitungen wird es auch so nichts.
In den USA hat man sich allerdings davon schon wieder verabschiedet, weil es vermutlich keinen Gewinn erzielen würde.

Dermbacher vor 40 Wochen

Ich bin der Meinung, dass der Strom wo er benötigt wird, auch dort produziert wird! Das erspart z.B Transportverluste! Dann werden nicht unnötig Flächen versiegelt, die ja für den Leitungsbau gebraucht werden!

Niemann vor 40 Wochen

Auch wenn sie wesentliche Aspekte dessen was ich geschrieben habe ignorieren möchte ich sie auf einen einfachen Fakt aufmerksam machen. Auf Autobahnen findet Menschen- und vor allemGüterverkehr statt. Denken wir dabei nur an die endlosen LKW-Kollonen für Just-in-time-Produktion, dem LKW-Transit durch Deutschland, der sich ja nicht durch die eh schon verkehrstechnisch überlasteten Städte drängen kann und der notwendigen Mobilität die nun mal für einem modernen Industriestaat unabdingbar ist. Kurz gesagt, das alles unter die Erde zu verlegen ist unmöglich, allerdings bei Stromleitungen geht das schon zumal durch lokale Energieproduktion (z.B. Atomkraftwerke die in Bayern vorhanden waren!) auch einige dieser Trassen entbehrlich wären. Man mus nur denken und wollen anstatt grüner Politik zu folgen. Ist ihre Frage hiermit beantwortet?

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