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Ein kosovarisches Unternehmen setzt auf Inklusion und stellt ausschließlich Menschen mit Behinderung in der Produktion ein, berichtet unsere Ostbloggerin Vjosa Çerkini.

MDR FERNSEHEN Do 16.05.2024 12:17Uhr 00:49 min

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Kosovo Vorzeigeprojekt: Arbeiten mit behinderten Menschen

25. Mai 2024, 16:16 Uhr

Für Menschen mit Behinderung ist der normale Alltag eine große Herausforderung. Im Kosovo, einem Land, das immer noch unter den Folgen des letzten Krieges leidet, ein schier unüberwindbares Hindernis. Dagegen stemmt sich eine Stiftung mit einer Fabrik, die ausschließlich Menschen mit Behinderung beschäftigt und dabei auch noch wirtschaftlich erfolgreich ist.

Vjosa Çerkini
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Xhevrije Borovci ist schon über Fünfzig. Aber so glücklich wie jetzt war sie noch nie, denn sie kann in der Papierfabrik "Freesia" im Kosovo arbeiten und ihr eigenes Geld verdienen. Möglich ist das, weil sie kleiner ist als 141 cm, die Grenze, ab der Kleinwüchsigkeit als Behinderung anerkannt wird. Und genau dieser Status ist die Bedingung, um bei "Freesia" zu arbeiten. Dort verpackt und stapelt Xhevrije extragroße Küchenpapierrollen, ein Job, der ihr trotz ihrer Größe leichtfällt.

Xhevrije_Borovci bei der Arbeit
Xhevrije Borovci verpackt auf Arbeit Küchenpapier. Bildrechte: MDR/Vjosa Çerkini

"Freesia": Ein Beitrag zur Chancengleichheit und Inklusion

"Freesia" stellt Papier her, Papier, das jeder braucht. Ob in der Küche oder auf Toilette, im Kosovo, in Deutschland oder wo auch immer. Möglich wurde das durch eine Stiftung der Firma "Frutex" aus Suhareka im südlichen Kosovo, die mit dem Energy Drink "Golden Eagle" bekannt und groß geworden ist.

Am Erfolg will "Frutex" über seine Stiftung "Golden Eagle Foundation" diejenigen Kosovaren teilhaben lassen, die es schwerer haben als andere, etwa ältere Menschen in finanzieller Not oder Jugendliche mit schlechten Bildungschancen. Ein Förderprogramm der Stiftung ist das Unternehmen "Freesia", das nur Menschen mit Behinderung anstellt, vom Geschäftsführer bis hin zum letzten Angestellten. Die Mittel, die "Freesia" gebraucht hat, um seine Maschinen für die Produktion von Küchen- und Toilettenpapier zu beschaffen und die Firma aufzubauen, hat die Stiftung zur Verfügung gestellt. Inklusion und Chancengleichheit von Menschen mit Handicap auf diese Art zu fördern, ist im Kosovo einzigartig. Ein Fakt, den auch die Präsidentin des Kosovo Vjosa Osmani bei der Eröffnung der Fabrik würdigte.

Einen Job finden - für Menschen mit Behinderung in Kosovo fast unmöglich

Verlässliche Daten zu Menschen mit Behinderung und ihrer Beschäftigungssituation gibt es im Kosovo, einem Land, das immer noch unter den Folgen des 1999 beendeten Krieges leidet, nicht. Offiziell gibt es im Land zwar die gesetzlich verankerte Auflage für Unternehmen, ab einer Größe von 50 Mitarbeitern auch Menschen mit Behinderung zu beschäftigen. Tun sie das nicht, müssen sie eine monatliche "Straf-" bzw. Ausgleichszahlung leisten.

Dem Direktor des Kosovo-Forums für Menschen mit Behinderung Bujar Kadriu ist sein Frust deutlich anzumerken, wenn man ihn fragt, ob Unternehmen die Auflagen einhalten: "Es gab Fälle, in denen Unternehmen oder Institutionen sogar lieber ein Bußgeld gezahlt haben, nur um zu verhindern, dass Menschen mit Handicap kommen."

Es gab Fälle, in denen Unternehmen oder Institutionen sogar lieber ein Bußgeld gezahlt haben, nur um zu verhindern, dass Menschen mit Handicap kommen.

Bujar Kadriu | Kosovo-Forum für Menschen mit Behinderung

Schlechte Erfahrungen hat auch Xhevrije Borovci in ihrem bisherigen Leben gemacht: "Niemand unterstützt dich. Du bist alleingelassen: vom Staat, von den Leuten, von allen …" sagt sie, denn das Schicksal hat es mit ihr und ihrer Familie nicht gut gemeint. Sie hat noch zwei Brüder, Rafet und Islam, die wie sie kleinwüchsig sind. Islam ist obendrein bettlägerig und leidet an Depressionen. Ohne die Hilfe ihrer Schwester wären die beiden aufgeschmissen. Xhevrijes Bruttogehalt von 500 Euro im Monat ist für kosovarische Verhältnisse fürstlich, beträgt der Durchschnittslohn im Land doch nur etwa 300 Euro.

Profitabel produzieren trotz Behinderung

"Freesia" gibt es seit Mai 2023, sagt der Geschäftsführer Endrit Rexhaj: "Wir beschäftigen derzeit zehn Mitarbeiter und die Produkte finden guten Absatz, die Arbeit läuft wirklich gut."  Die Vertriebswege und die Werbung von "Freesia" konzentrieren sich auf den Kosovo und Albanien. Er hofft, dass die Produkte des Unternehmens auch deswegen gekauft werden, weil die Einnahmen Menschen mit Behinderung zu Gute kommen. Ein geeignetes Umfeld und ein einfaches Produkt, das aber gebraucht wird, haben jedenfalls ihren Anteil am bisherigen Erfolg von "Freesia".

Xhevrije Borovci vor Fabrik Freesia
Xhevrije Borovci ist eine von zehn Beschäftigten beim kosovarischen Unternehmen "Freesia". Bildrechte: MDR/Vjosa Çerkini

Möglich ist das auch, weil kein Besitzer persönlich von "Freesia" wirtschaftlich profitieren muss. "Der gesamte Erlös unseres Unternehmens wird als Spende an Menschen mit Behinderungen abgeführt", sagt Geschäftsführer Rexhaj und erzählt enthusiastisch von den Plänen: "Wir haben das Ziel, mit der dreifachen Belegschaft zu produzieren, aber das hängt vom Absatz ab. Je mehr wir verkaufen, desto mehr Menschen mit Behinderung können wir beschäftigen", sagt Rexhaj.

Zwar stand am Anfang von "Freesia" eine Investition, doch heute bestimmt nur die Nachfrage und damit die Höhe der Produktion die Anzahl der Beschäftigten. Das liegt daran, dass die Papierfabrik die ursprünglich getätigten Investitionen nicht wieder einspielen muss, denn die wurden von der Stiftung übernommen. So geht der Erlös aus dem Verkauf zurück an die Stiftung, die damit "Freesia" oder andere Projekte fördert.

Dass "Freesia" seine Aufgabe, Menschen mit Behinderung zu beschäftigen, sehr ernst nimmt, unterstreicht auch die Tatsache, dass die Angestellten krankenversichert sind. Das ist nicht üblich im Kosovo, in dem jungen Land gibt es (noch) keine gesetzliche Krankenversicherung. Nicht zuletzt das macht "Freesia" zu einem Vorbild.

Vater, Mutter und zwei Kinder vor einem Hauseingang 3 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Xhevrijes Arbeit – mehr als nur Geldverdienen

Zumindest Xhevrije steht jetzt aber auf eigenen Füßen und hat das gute Gefühl, mit der Papierproduktion etwas Sinnvolles zum Wirtschaftsleben beizutragen. "Ich fühle mich sehr wohl in diesem Job, er hat mir das Gefühl gegeben, wertgeschätzt zu werden und ich habe hier eine tolle Zeit mit meinen Kollegen. Wir stehen uns sehr nahe." Für sie hat mit der Arbeit bei "Freesia" ein neues Leben begonnen.

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Heute im Osten | 25. Mai 2024 | 07:21 Uhr

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