Ein 61-jähriger Krebspatient im Palliativzentrum der Uniklinik Köln, 2015
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Selbstbestimmtes Ende in Würde Sterbehilfe: Was erlaubt ist – und was nicht

21. September 2023, 09:45 Uhr

In einem wegweisenden Urteil vom 26.02.2020 (Az. 2 BvR 2347/15) hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das im Grundgesetz verankerte allgemeine Persönlichkeitsrecht ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben als Ausdruck persönlicher Autonomie umfasst. Dieses Recht schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierfür bei anderen Personen Hilfe zu suchen sowie angebotene Hilfe in Anspruch zu nehmen. Was daraus für Betroffene folgt, erklärt Rechtsexperte Gilbert Häfner.


Was überhaupt ist Sterbehilfe?

Unter Sterbehilfe versteht man die Einflussnahme auf den Sterbevorgang eines anderen Menschen nach seinem tatsächlichen oder mutmaßlichen Willen. Bei der so genannten aktiven Sterbehilfe wird der natürliche Todeseintritt bewusst verkürzt; dies geschieht entweder "direkt", das heißt gezielt (z. B. durch Verabreichen von Gift), oder "indirekt", das heißt als in Kauf genommene unvermeidbare Nebenfolge einer medizinisch gebotenen Behandlung (z. B. durch schmerzlindernde Medikation mit Nebenwirkungen).

Von der aktiven Sterbehilfe streng zu unterscheiden ist ein dem Willen des Patienten entsprechendes Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer lebensverlängernden medizinischen Maßnahme (zum Beispiel durch Nichtinbetriebnahme oder Abschalten eines medizinischen Geräts zur künstlichen Ernährung); insoweit spricht man auch von passiver Sterbehilfe. Schließlich gibt es noch die Beihilfe zur Selbsttötung (zum Beispiel indem man dem Lebensmüden Gift verschafft, das dieser dann eigenverantwortlich einnimmt).


Was ist verboten?

Die "Tötung auf Verlangen" ist durch § 216 des Strafgesetzbuches (StGB) ausdrücklich verboten und mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis fünf Jahren bedroht. Darunter fällt auch die "aktive direkte Sterbehilfe". An diesem Verbot hat sich durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nichts geändert.


Was ist erlaubt?

Symbolbild - Ein Patient liegt auf einer Intensivstation im Krankenhaus.
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Schon vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26.02.2020 und auch weiterhin erlaubt ist es, einem unheilbar kranken Patienten nach entsprechender Aufklärung und mit dessen Einverständnis schmerzlindernde Medikamente in dem Bewusstsein zu verabreichen, dass diese zwar nicht zur Verkürzung des Todeseintritts dienen, wohl aber hierzu beitragen können ("aktive indirekte Sterbehilfe"). Gleichfalls erlaubt ist es, lebensverlängernde medizinische Maßnahmen (z. B. durch Nichtinbetriebnahme oder Abschalten eines medizinischen Geräts zur künstlichen Ernährung) zu unterlassen, begrenzen oder beenden, wenn dies dem Willen des Patienten entspricht („passive Sterbehilfe“). Patientenverfügungen, die solche Maßnahmen anordnen, sind von den Angehörigen und Bevollmächtigten des Patienten ebenso zu beachten wie von den Ärzten und dem Pflegepersonal.


Darf man einem Lebensmüden Beihilfe zur Selbsttötung leisten?

Pflegekraft am Bett eine Gastes in einem deutschen Hospiz, 2014
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Getragen von der Sorge, dass sich ein unethisches "Geschäft mit dem Tod" entwickelt, hatte der Deutsche Bundestag zunächst beschlossen, die "geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung" zu verbieten und unter Strafe zu stellen. Insoweit sah § 217 Abs. 1 StGB in der seit dem 10.12.2015 geltenden Fassung vor, dass derjenige mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft wird, der in der Absicht, die Selbsttötung eines anderen zu fördern, diesem hierzu geschäftsmäßig die Gelegenheit gewährt, verschafft oder vermittelt. Nachdem schwer erkrankte sterbewillige Menschen, Ärzte und Sterbehilfevereine unabhängig voneinander Verfassungsbeschwerde gegen diese Vorschrift eingelegt hatten, erklärte sie das Bundesverfassungsgericht durch das Urteil vom 26.02.2020 für nichtig. Nach Auffassung der Verfassungsrichter verengte das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung in § 217 Abs. 1 StGB die Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung in einem solchen Umfang, dass dem Einzelnen faktisch kein Raum zur Wahrnehmung seiner verfassungsrechtlich geschützten Freiheit verblieb.  

Der im Juli 2023 unternommene Versuch einer erneuten gesetzlichen Regulierung der Beihilfe zur Selbsttötung ist ebenfalls gescheitert, weil keiner der zwei miteinander konkurrierenden Entwürfe, den fraktionsübergreifende Gruppen von Angeordneten in den Bundestag eingebracht hatten, eine Mehrheit gefunden hat. Daher ist die Beihilfe zur Selbsttötung, auch wenn sie mit Gewinnstreben unternommen wird, weiterhin uneingeschränkt erlaubt.   


Können Betroffene sich mit der Bitte um Unterstützung bei dem Vorhaben, sich selbst zu töten, an den Arzt wenden?

Ärzte haben einen Eid darauf geleistet, dass die Gesundheit und das Wohlergehen ihrer Patienten ihr höchstes Anliegen sind. Das daraus zunächst abgeleitete Verbot für Ärzte, ihren Patienten Hilfe bei der Selbsttötung zu leisten, ist aber vom Deutschen Ärztetag im Anschluss an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus der Musterberufsordnung Ärzte gestrichen worden. Es gibt jedoch auch weiterhin keine ärztliche Pflicht zur Hilfe bei der Selbsttötung. Vielmehr ist den Ärzten überlassen, aufgrund einer individuellen Gewissensentscheidung einen kranken Patienten bei einem Suizid zu unterstützen.  Darüber hinaus wird sich ein gesunder Mensch mit seinem Sterbewunsch wohl immer vergeblich an einen Arzt wenden.


Wer entscheidet über die Vornahme medizinischer Maßnahmen, wenn man sich infolge alters-, krankheits- oder unfallbedingter Beeinträchtigung des Bewusstseins selbst nicht mehr äußern kann und auch keine Patientenverfügung errichtet hat oder Zweifel an deren Geltung bestehen?

In akuter Notlage – wie etwa bei der Behandlung eines Schwerstverletzten am Unfallort – darf der behandelnde Arzt regelmäßig unterstellen, dass der Patient mit jeder medizinischen Maßnahme einverstanden ist, die aus fachlicher Sicht geboten erscheint. In einer solchen Situation ist der Arzt sogar bei Androhung von Strafe dazu verpflichtet, alle ihm zumutbaren Maßnahmen zu ergreifen, um das Leben des Hilflosen zu retten und dessen Gesundheit weitestmöglich wiederherzustellen.

Besteht dagegen hinreichend Zeit, an Stelle des im Bewusstsein beeinträchtigten Patienten eine dritte Person über die beabsichtigte Maßnahme aufzuklären und deren Einwilligung einzuholen, hat der Arzt zunächst diesen Weg zu beschreiten. Dabei ist aber zu beachten, dass selbst engste Familienangehörige grundsätzlich nicht über die Gesundheit des Patienten disponieren können. Dazu ist vielmehr eine Vorsorgevollmacht erforderlich, die sich ausdrücklich auf die Gesundheitsfürsorge erstrecken muss. Fehlt es daran, ist dem Patienten durch das Amtsgericht als Betreuungsgericht ein Betreuer zu bestellen.

Immerhin gilt seit dem 01.01.2023, dass ein Ehepartner den anderen in bestimmten Angelegenheiten der Gesundheitssorge vertreten kann, wenn der andere Ehepartner derartige Angelegenheiten aufgrund von Bewusstlosigkeit oder Krankheit nicht selbst besorgen kann. Diese "Notvertretungsbefugnis" des Ehepartners ist aber in zeitlicher Hinsicht auf längstens sechs Monate begrenzt und gegenüber einer bestehenden Betreuung oder Vorsorgevollmacht nachrangig.


Sind Hospize eine gute Alternative zur Sterbehilfe?

Hospize leisten nicht "Hilfe zum Sterben", sondern "Hilfe im Sterben", das heißt Sterbebeistand oder Sterbebegleitung. "Sterbehilfe" in diesem Sinne besteht in erster Linie aus der Unterstützung Sterbender durch Zuwendung, Pflege und schmerzlindernde Behandlung, um so das Sterben in Würde und mit liebevoller Umsorgung zu ermöglichen. Dies schließt auch umfassende ärztliche Betreuung ein.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR um 4 | 21. September 2023 | 17:00 Uhr

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