Rabbiner Alexander Nachama
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Schabbat Schalom | MDR Kultur | 08.07.2022 Chukkat: Warum Wut uns nicht ans Ziel bringt

07. April 2022, 14:49 Uhr

Wut bringt uns nicht ans Ziel – auch nicht in Notlagen. Das zeigt die Geschichte von Mosche im Wochenabschnitt Chukkat in der Auslegung von Alexander Nachama.

In Chukkat, dem Abschnitt dieser Woche, erfahren wir, dass Mosche und Aaron nicht in das versprochene Land einziehen dürfen. Jene, die den Auszug aus Ägypten angeleitet haben, werden nicht mehr beim Einzug in das versprochene Land dabei sein.

Ausgangspunkt ist eine Beschwerde der Israeliten über zu wenig Wasser. Nachdem Gott Mosche und Aaron instruiert hat, wie sie Wasser erzeugen können – sie sollen mit dem Felsen reden – spricht Mosche zu den Israeliten: "Hört doch, ihr Widerspenstigen, werden wir euch wohl aus diesem Felsen Wasser hervorbringen können? Und Mosche erhob seine Hand und schlug den Felsen zweimal mit seinem Stabe; da kam viel Wasser heraus und die Gemeinde und ihr Vieh tranken."

Gott versagt Mosche den Einzug ins versprochene Land

Das Problem scheint gelöst – es gibt wieder Wasser, die Israeliten scheinen (zunächst) besänftigt und es könnte heißen: Zurück zum Alltag. Aber so ist es nicht. In der Tora heißt es: "Der Ewige sprach zu Mosche und Aaron: Weil ihr mir nicht geglaubt und nicht meine Heiligkeit vor den Augen der Israeliten gezeigt habt, darum sollt ihr diese Gemeinde nicht in das Land bringen, das ich ihnen gebe."

Wir können uns vorstellen, dass es viele Kommentare zu dieser Geschichte gibt. Ich möchte ein paar Aspekte aufzeigen und dabei darauf eingehen, weshalb Mosche nicht in das versprochene Land durfte. So heißt es im Talmud: Mosche durfte das gelobte Land nicht betreten, weil er in Jähzorn geraten war und seine Selbstkontrolle verloren hatte. An welcher Stelle ist Mosche in Jähzorn geraten? Maimonides, ein bedeutender jüdischer Gelehrter und Arzt aus dem 12. Jahrhundert, schreibt dazu: "Mosche war in Wut geraten und hatte die gesamte Gemeinde beleidigt, als er sagte: ‚Hört zu, ihr Widerspenstigen.'"

Man könnte es als einen Ausdruck der Emotionen betrachten. Wie oft hatte Mosche sich für die Israeliten vor Gott eingesetzt? Wie oft hat hatte Mosche auf Vorwürfe besonnen reagiert? Aufgrund eines einzigen Momentes, in dem Mosche einmal nicht ruhig und besonnen reagiert, sind die Konsequenzen für ihn fatal.

"Jeder, der jährzornig ist, gleicht einem Götzendiener"

In den Kommentaren wird darauf hingewiesen, dass es unter Propheten zwar immer mal wieder vorkam, dass sie das Volk beleidigten, dass in diesen Fällen jedoch immer wichtige Gründe vorlagen. In diesem Wochenabschnitt lag dagegen kein wichtiger Grund vor, war es doch nachvollziehbar, dass sich die Israeliten ohne Wasser in der Wüste in einer Notlage befanden. Damit geht einher, dass kurz zuvor Miriam, die Schwester von Mosche und Aaron, gestorben war. So schreibt der Talmud, dass der Brunnen, der die Israeliten bis dahin auf ihrem Weg durch die Wüste begleitet haben soll, mit ihrem Tod verschwand. Das verleiht der Situation eine zusätzliche Brisanz: Es war nicht das "übliche" Klagen der Israeliten nach Wasser oder Essen. Nach Miriams Tod herrschte tatsächlich Panik und Not.

Im Talmud heißt es weiter:

Jeder, der jähzornig ist, gleicht einem Götzendiener (…) wenn er ein Weiser ist, verlässt er die Weisheit und wenn er ein Prophet ist, verlässt er die Prophetie.

Talmud / Chukkat

Unabhängig von den Umständen sollten wir unsere Wut stets kontrollieren, ansonsten gleichen wir einem Götzendiener – schlimmer geht es eigentlich kaum noch. Gleichzeitig mag auch schon das Bewusstsein darum helfen, wenn wir uns unserer Gefühle bewusst werden: Wenn wir merken, dass wir wütend werden, können wir gegensteuern. So wird von einem chassidischen Rabbiner aus Worka berichtet, dass er stets, wenn er in Wut geriet, zum Schrank lief und sich seinen Mantel anzog. Unterdessen hatte sich seine Wut bereits gelegt.

Wut bringt Mosche nicht ans Ziel

Es mag der Gang zum Mantel sein, es mag ein kurzer Spaziergang sein, ein bestimmtes Lied oder der Gedanke an etwas, das uns beruhigt: Wir kennen uns selbst am besten, um zu wissen, was bei eintretender Wut zu tun ist. So ist uns der große Mosche ein Beispiel dafür, wie schlimm sich Wut auswirken kann. Er, Mosche wird sein großes Ziel nicht mehr erreichen, er wird in das versprochene Land nicht mehr einziehen, es nur aus der Ferne sehen können.

Wollen wir uns daher darüber bewusst sein, dass Wut uns nie an unser Ziel bringen wird.

In diese Sinne – Schabbat Schalom

Zur Person: Alexander Nachama Geboren 1983 in Frankfurt am Main. 2005 erhielt er von Rabbiner Zalman Schachter-Shalomi, dem Gründer der Rabbiner- und Kantorenschule "Aleph", eine Urkunde als Kantor. 2008 erhielt er einen Bachelor in Judaistik (Freie Universität Berlin), 2013 einen Master (Universität Potsdam). Ab 2007 absolvierte er eine Ausbildung am Abraham Geiger Kolleg mit Studienaufenthalten in Israel, die er 2013 mit der Ordination zum Rabbiner abschloss. 1998 - 2011 amtierte Alexander Nachama zunächst als ehrenamtlicher Vorbeter, später als Kantor in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. In den Jahren 2012 - 2018 war er Gemeinderabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Dresden. Seit 2018 ist er Landesrabbiner der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen.

Schabbat Schalom bei MDR KULTUR Die Sendung bezieht sich auf die jüdische Tradition, die fünf Bücher Moses im Gottesdienst der Synagoge innerhalb eines Jahres einmal vollständig vorzulesen. Dabei wird die Thora in Wochenabschnitte unterteilt. Zugleich ist es häufige Praxis, die jeweiligen Wochenabschnitte auszulegen.

Bei MDR KULTUR geben die Autorinnen und Autoren alltagstaugliche Antworten auf allgemeine Lebensfragen, mit denen sie auch zur persönlichen Auseinandersetzung anregen. Zugleich ist "Schabbat Schalom" eine Einführung in die jüdische Religion, Kultur und Geschichte.

"Schabbat Schalom" ist immer freitags um 15:45 Uhr bei MDR KULTUR zu hören sowie online abrufbar bei mdr.de/religion.

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Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | MDR KULTUR | 08. Juli 2022 | 15:45 Uhr