29.09.2019 | 10:08 Uhr Gutenfürst: Lok des ersten Flüchtlingszugs noch immer im Einsatz

29. September 2019, 10:08 Uhr

Die Diesellokomotive 132 478 hat Geschichte geschrieben: 1977 im heute ukrainischen Luhansk gebaut, zog die Maschine in der Nacht zum 1. Oktober 1989 den allerersten Zug mit Prager Botschaftsflüchtlingen über die deutsch-deutsche Grenze nach Hof. Eine Sprecherin der Deutschen Bahn AG bestätigte auf Anfrage, dass die Lok noch im aktiven Bestand von DB Cargo sei. Seit 2002 trage die Lok nach einem Umbau zur reinen Güterzuglok die Nummer 233 478 und befinde sich aktuell in einer Revision. Ob die Lok als technisches Denkmal der deutsch-deutschen Geschichte erhalten werden kann und soll, darüber machte die Bahnsprecherin keine Angaben.

Bisher keine Lok als Denkmal geplant

Der Leiter des Deutsch-Deutschen Museums in Mödlareuth, Robert Lebegern, sagte auf Anfrage, ihm seien keine konkreten Pläne bekannt, eine solche Lok oder einen Waggon aus den Flüchtlingszügen dauerhaft zu sichern. Auch am ehemaligen Grenzbahnhof Gutenfürst erinnere nicht einmal eine Gedenktafel an dessen Historie. Verschiedene Pläne für eine Gedenkstätte dort wurden immer wieder verworfen. Zwei Ordner mit Dokumenten zu Gutenfürst besitzt das nahe Museum in Mödlareuth, weitere Dokumente seien im Vogtlandarchiv in Oelsnitz gesichert.

Mit Elektrifizierung der Strecke zwischen Reichenbach und Hof wurde die einstige Beschaubrücke der DDR-Grenzorgane abmontiert. Von dieser über die Gleise verlaufende Brücke konnte die Abfertigung der Züge überwacht werden. Lediglich einige ehemalige Flutlichtmasten stehen noch und sind mit Mobilfunkantennen ausgestattet. Der kleine Bahnhof war zu Zeiten der deutschen Teilung zu einer regelrechten Festung ausgebaut worden.

Grenzübergangsstelle Gutenfürst Über Gutenfürst verkehrten Transitgüterzüge und Reisezüge des internationalen Verkehrs zwischen der DDR und der BRD. Klassische Interzonen-Verbindungen waren dabei die D-Züge Görlitz - München mit Kurswagen nach Nürnberg über Bamberg und zeitweise mit Kurswagen nach Heilbronn, Dresden - Nürnberg beziehungsweise Stuttgart und Rostock - München sowie an einzelnen Tagen auch ein Schnellzug zwischen Warschau und München. Diese waren in der DDR bis Plauen für den Binnenverkehr freigegeben. Ferner fuhr an einigen Tagen ein Eilzug im kleinen Grenzverkehr zwischen Plauen und Hof. In keinem offiziellen Reichsbahn-Kursbuch war hingegen der Transitzug zwischen West-Berlin und München verzeichnet. Dieser rollte von Transportpolizei begleitet ohne Halt durch die DDR - wobei ohne Halt wörtlich zu nehmen war: Die Eisenbahner auf Stellwerken und auf den Loks waren angehalten, auch außerplanmäßige betriebsbedingte Stopps dieses Zuges zu vermeiden. Zwischen Plauen und einem Bereich außerhalb der Grenzübergangsstelle des Bahnhofs Gutenfürst pendelten Triebwagen des DDR-Binnenverkehrs. Wer mitfahren wollte, benötigte aber einen Passierschein für das Grenzgebiet.

Sechs Züge der ersten Ausreisewelle

Während der ersten Ausreisewelle von Prager Botschaftsflüchtlingen erreichten sechs Reiszüge am 1. Oktober das fränkische Hof. Die Züge verkehrten auf Weisung der DDR-Staatsmacht über Bad Schandau - Dresden - Karl-Marx-Stadt, in Reichenbach wurde von E-Lok auf Diesellok umgespannt. Die Strecke war streng bewacht, schließlich sollten keine weiteren DDR-Bürger in die Sonderzüge gelangen. Während der Fahrt durch die Bezirke Dresden und Karl-Marx-Stadt wurden die Flüchtlinge offiziell ausgebürgert und vom SED-Regime ein letztes Mal gegängelt. Im Grenzbahnhof Gutenfürst hielten diese Züge hingegen nur wenige Minuten. Den Zügen waren die Loks 132 478, 132 285, 132 059, 132 696, 123 687 und 132 701 ab Reichenbach bis Hof vorgespannt, mehrere von ihnen sind 30 Jahre später noch immer im Einsatz - bei der Deutschen Bahn und bei der Leipziger Eisenbahnverkehrsgesellschaft (LEG). Die Geschäftsführung der LEG war per schriftlicher Anfrage nicht zu erreichen, ein Mitarbeiter wollte sich telefonisch nicht äußern. Im Internet gibt es eine Initiativen, eine Lok der LEG als technisches Denkmal zu sichern.

Am 1. Oktober 1989 wurden auch Flüchtlinge aus der bundesdeutschen Botschaft in Warschau über Frankfurt/Oder und Helmstedt mit einem Sonderzug in die Freiheit gebracht.

Ab 9. November: Alles, was rollen kann, rollt

Am 5. Oktober gab es eine zweite Ausreisewelle aus Prag, wobei dann ein Teil der Züge über die kurze Strecke Bad Brambach - Plauen geführt wurde. Wegen Richtungswechsel war aber weiterhin ein Lokwechsel in Plauen nötig. Anfang November 1989 gab es nochmals Sonderzüge mit Flüchtlingen aus Prag in die Bundesrepublik, wobei diese Züge dann über Cheb/Schirnding nach Hof fuhren und nicht mehr über DDR-Gebiet.

Nach Grenzöffnung am 9. November 1989 zeigten die Deutsche Reichsbahn und die Deutsche Bundesbahn gemeinsam ihre Leistungsfähigkeit und ließen alles über die Grenzbahnhöfe rollen, was zur Verfügung stand - zusätzlich zum regulären Verkehr in der DDR und der BRD. Täglich wurden neue Fahrpläne erstellt, um die Massen an DDR-Bürgern in den Westen zu bringen.

Besonders begehrtes Ziel war die Stadt München. Die Isar-Metropole legte auf das Begrüßungsgeld vom Bund (100 D-Mark) und das des Freistaates Bayern (40 D-Mark) als Kommune nochmals 50 D-Mark drauf. Laut einem Bericht der Münchner Zeitung "Merkur" hat die Stadtverwaltung 15.344.320 Mark vom 13. November bis 17. Dezember 1989 an die DDR-Besucher ausgezahlt. Diese nahmen dafür stundenlange Anreisen in Sonderzügen und Staus auf Autobahnen und im Münchner Stadtverkehr in Kauf.

Quelle: MDR/lam
Die Daten der Lokomotiven stammen aus dem Buch des Autors Gero Fehlhauer "Mit der Reichsbahn über die Zonengrenze" (Freiburg 2009)

Dieses Thema im Programm bei MDR SACHSEN MDR SACHSENSPIEGEL | 28.09.2019 | 19:00 Uhr

2 Kommentare

Ines W. am 29.09.2019

Lieber russophiler Fürst,

ich muss schon herzlich darüber lachen wenn sie das Loblied auf die sowjetische Technik singen und dabei so etwas banales wie eine Diesellokomotive anführen. Die Dinger verkehren im Cargoverkehr, was so ziemlich die unterste Kategorie im Bereich der Bahn ist. Wenn man primitive Technik regelmäßig wartet, warum sollte die nicht Jahrzehnte funktionieren? Der Trabant fährt ja heute auch noch.

In dem Artikel geht es um ein Land, dass seine Bürger eingesperrt hat und sie ermordete, wenn sie heimlich versuchten die zu einer Todeszone in den Westen umgebaute grenze zu überqueren. An diesem und anderen Aspekten des DDR Regimes gibt es schlicht und ergreifend nichts schön zu reden. Auch dass man seine ziehenden Bürger ausbürgerte lässt tief blicken.

Wir feiern nun einmal den 30 Jahrestag dieser Ereignisse und deshalb ist dass Thema dieses Artikels DDR Flüchtlinge die einem sozialistischen Unrechtsregime entfliehen wollten und nicht der Klimawandel.

Nehners Vati am 29.09.2019

Aus dem Artikel kann ich für mich zwei Botschaften entnehmen. Einmal, dass die Lok noch heute in Betrieb ist, zeugt von der hohen Qualität, der vor 42 Jahren gebauten sowjetischen Technik. Der andere Aspekt ist, dass sich bis auf ein paar Politiker und die Staatsmedien, kaum noch einer für die Ereignisse vor 30 Jahren zu interessieren scheint. Die Menschen haben zwischenzeitlich viele andere wichtigere Probleme, wo selbst ein gelenktes Beweihräuchern der Aussenpolitik der damaligen Bundesrepublik, niemanden mehr hinter den Ofen hervor lockt. Genscher war gestern, Maßstab Maas ist heute. Anstatt die wichtigen, interessanten Themen im "geeinten" Land endlich mal auf den Tisch zu packen, wird hier über olle Kamellen, die uns nicht weiter bringen, fabuliert. Man hat den Eindruck, dass die Staatsmedien und die Politik noch zu drei Wundermitteln greifen, um uns quasi zu benebeln. Das sind Klimahype, DDR-Bashing und Hetze & Diffamierung gegen Rechts.

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