Künstlerische Interpretation einer Reihe von Pulsaren, die von Gravitationswellen beeinflusst werden, die von einem supermassereichen schwarzen Doppelloch in einer fernen Galaxie erzeugt werden.
So kann man es sich vorstellen: Ein Doppelsystem aus supermassereichen Schwarzen Löchern (oben links) erzeugt Gravitationswellen. Diese wiederum sorgen für eine Veränderung der Raumzeit, hier als Gitternetz dargestellt. Und das wiederum lässt sich an Veränderungen der Strahlung von hier weiß leuchtenden Pulsaren nachweisen. Bildrechte: Aurore Simonnet / NANOGrav Collaboration

Gravitationswellen Schwarze Löcher tanzen Walzer, wir spüren ihre Schritte

11. August 2023, 17:09 Uhr

Spüren wir den kosmischen Ballsaal vibrieren, wenn zwei supermassereiche Schwarze Löcher miteinander tanzen? Das ist jedenfalls ein Erklärungsmodell für extrem langwellige Gravitationswellen im Universum.

Hoffentlich haben Sie wirklich "langwellig" und nicht "langweilig" gelesen in den einführenden Zeilen zu diesem Artikel, denn langweilig ist es ganz und gar nicht, was es da an neuen Erkenntnissen und Vermutungen zu Gravitationswellen gibt, die zuhauf durchs Weltall wandern. "Das Universum summt vor Gravitationsstrahlung — ein sehr niederfrequentes Brummen, das rhythmisch die Raumzeit und die darin eingebettete Materie dehnt und komprimiert", so lautet das Fazit mehrerer Forschungsgruppen, die ihre verschiedenen Beobachtungen der vergangenen Jahre nun mehr oder weniger gleichzeitig in einer Serie von Artikeln veröffentlicht haben.

Dieses Brummen, das da erklingt, hat natürlich keinen Dreivierteltakt. Und der zugehörige "Tanz" dauert nicht nur wenige Minuten, sondern mehrere Millionen Jahre. Aber trotzdem ist das Bild eines kosmischen Walzers gar nicht so schlecht, wenn man als Nicht-Astrophysik-Experte halbwegs verstehen will, was es mit diesen Gravitationswellen auf sich haben könnte. Noch präziser gesagt, sind es nicht nur ein Ballsaal, ein Walzer und ein Tanzpaar, sondern Hunderttausende davon, jedenfalls, wenn man einer nun veröffentlichten wissenschaftlichen Theorie glaubt.

Tanzschuhe auf dem Parkett oder doch eher Kieselsteine im Teich?

Künstlerische Darstellung zweier Schwarzer Löcher, die sich in einer Gasscheibe um ein drittes Schwarzes Loch befinden.
Wenn zwei Schwarze Löcher zu einem werden, entstehen Gravitationswellen, die die Raumzeit verändern. Bildrechte: Caltech/R. Hurt (IPAC)

Ein wahrscheinlicher Erklärungsansatz für den Ursprung des kosmischen Brummens sind viele, viele Doppelsysteme von supermassereichen Schwarzen Löchern. Das sagen Forscher der NANOGrav-Kollaboration (North American Nanohertz Observatory for Gravitational Waves). Einer von ihnen, der kalifornische Astronomie-Professor Luke Zoltan Kelley, präzisiert, das Brummen werde "wahrscheinlich von Hunderttausenden von Paaren supermassereicher Schwarzer Löcher erzeugt, die im Laufe der Geschichte des Universums nahe genug zueinandergekommen sind, um zu verschmelzen."

Und so kommt man schnell zum Bild vom Walzertanz, nur, dass eben alles ein bisschen größer ist und länger dauert als in einem herkömmlichen Ballsaal. Zwei Schwarze Löcher, jedes mit millionen- oder gar milliardenfacher Masse unserer Sonne, schmiegen sich aneinander, bis sie miteinander verschmelzen. Der Rhythmus davon schwingt wie ein Rumpeln von den Schuhen der Tanzenden durchs Universum, allerdings mit extrem langer Wellenlänge – nur in Abständen von Lichtjahren nimmt man das Vibrieren des Parketts unter einem dieser Paare wahr.

Wenn es aber eben Hunderttausende solche Paare in Hunderttausenden Ballsälen gibt, dann überlagern sich die Wellen, weshalb gern ein weiteres Bild zur Veranschaulichung ins Spiel gebracht wird: das von mehreren Kieselsteinen, die man gleichzeitig ins Wasser wirft. Statt eines konzentrischen Kreises mit einer Welle entstehen auch da unregelmäßige Überlagerungen.

Wie kann man Gravitationswellen überhaupt nachweisen?

Gravitationswellen sorgen für ein wechselndes Auseinanderdehnen und Zusammenziehen der Raumzeit. Als Indikator für solche Veränderungen können Objekte im Universum dienen, die normalerweise sehr stetige Eigenschaften haben, welche sich nur durch Gravitationswellen verändern. Solche Objekte sind zum Beispiel Pulsare.

Begriffserklärung: Pulsare

Pulsare sind extrem dichte, schnell rotierende Neutronensterne, die als Überreste von Supernova-Explosionen zurückbleiben. Sie sind unglaublich massereich und doch nur etwa 20 Kilometer im Durchmesser groß. Sie senden zwei gegenüberliegende Strahlen aus, die den Weltraum durchkreuzen, ähnlich wie die Strahlen eines Leuchtturms, aber in diesem Fall ist es Radiostrahlung. Wenn diese Strahlen in Richtung der Erde weisen, können sie von Teleskopen aufgefangen werden. Die Rotation eines Pulsars ist sehr stabil, die Strahlen erreichen die Erde daher mit einer beinahe perfekten Periodizität. Sogenannte Millisekunden-Pulsare rotieren besonders schnell, mit Perioden von nur wenigen Millisekunden. Ihre extrem stabile Rotation macht sie zu nützlichen Werkzeugen für die Astronomie.

Ein Netzwerk von Pulsaren, bekannt als "Pulsar-Timing-Array", kann zum Beispiel dazu verwendet werden, um Gravitationswellen direkt zu detektieren. Wenn eine Gravitationswelle durch den Raum wandert und die Raumzeit komprimiert oder ausdehnt, resultiert das in winzigen Änderungen der Abstände zwischen der Erde und den Pulsaren, und diese Änderungen können von empfindlichen Instrumenten gemessen werden.

Genau diese Eigenschaften von Millisekunden-Pulsaren in der Milchstraße hat sich die NANOGrav-Kollaboration zunutze gemacht, indem sie Abweichungen innerhalb der Radio-Signale über 15 Jahre hinweg gemessen und ausgewertet hat, was einem indirekten Nachweis von Gravitationswellen gleichkommt.

Die beste Vermutung, aber nicht die einzige

Das NanoGrav-Team erstellte außerdem Simulationen von Milliarden Paaren supermassereicher Schwarzer Löcher und verglich die daraus errechneten Gravitationswellensignaturen mit den tatsächlichen Millisekunden-Pulsar-Beobachtungen. Dabei passte alles. Und doch ist das noch kein Beweis für die vermutete Herkunft der Gravitationswellen.

"Der springende Punkt ist, dass wir immer noch nicht zu 100 Prozent sicher sind, dass sie von Paaren supermassereicher Schwarzer Löcher erzeugt werden. Das ist definitiv unsere beste Vermutung, und sie stimmt mit den Daten überein, aber wir sind uns nicht sicher", sagte Luke Zoltan Kelley. Wenn die Vermutung sich aber als wahr beweisen ließe, dann sei ein mehr als 50 Jahre altes großes Rätsel der Astronomie gelöst.

Weitere mögliche Ursachen für die Hintergrund-Gravitationswellen sind anderen Forschungsgruppen zufolge dunkle Materie und sogenannte kosmische Strings. Astronomie-Professor Kelley hält die Doppelsysteme von Schwarzen Löchern aber für viel wahrscheinlicher. "Um wirklich sicher sagen zu können, dass es sich um solche Doppelsysteme handelt, müssen wir jedoch messen, wie stark das Gravitationswellensignal über den Himmel schwankt. Doppelsysteme sollten weitaus größere Schwankungen erzeugen als andere Quellen." Die Arbeit gehe jetzt erst richtig los, mit noch empfindlicheren Teleskopen für noch genauere Erkenntnisse. "Mit immer besseren Messungen werden wir das Vorkommen supermassereicher Schwarzer Löcher in Doppelsystemen immer besser eingrenzen können."

Schwarze Löcher verstecken sich gern

Die meisten großen Galaxien haben massereiche Schwarze Löcher in ihren Zentren, aber sie sind schwer zu erkennen, da das Licht, das sie emittieren, normalerweise von umgebender Materie wie Gas und Staub blockiert wird. Und wenn es ein System aus zwei Schwarzen Löchern ist, dann entstehen nachweisbare Gravitationswellen auch erst dann, wenn die Löcher sehr eng beieinander sind. All das macht das Auffinden nicht gerade leicht.

Astrophysikerin Ma Chung-pei von der University of California in Berkeley leitet ein Projekt zur Untersuchung der 100 erdnächsten supermassereichen Schwarzen Löcher, und sie sucht auch nach Beweisen für Doppelsysteme, damit das NANOGrav-Projekt seine Pulsar-Messgeräte auf diese Himmelsabschnitte ausrichten kann.

Ma Chung-pei analysierte vor kurzem die Bewegung von Sternen um das Zentrum der Galaxie M87 und verfeinerte die Schätzungen von deren Masse, obwohl das Schwarze Loch selbst völlig verdeckt ist. Und vielleicht, wer weiß das schon, ist es nicht nur ein Schwarzes Loch im M87-Zentrum, sondern zwei. "Meine Frage für M87 oder sogar für unser Milchstraßen-Zentrum Sagittarius A* ist: Kann sich ein zweites Schwarzes Loch in der Nähe des großen Schwarzen Lochs, das wir untersucht haben, verstecken? Und ich denke, das kann derzeit niemand ausschließen", sagt die Astrophysikerin.

Das NANOGrav-Team geht davon aus, dass es mit der Zunahme der Daten aus weiteren Beobachtungsjahren überzeugendere Beweise für einen kosmischen Gravitationswellenhintergrund und dessen Ursache erhalten wird. Im Moment ist man in der Wissenschaft aber einfach nur begeistert von den Aussichten für die Gravitationswellenastronomie der nahen Zukunft. "Das sind sehr aufregende neues Werkzeuge", sagt Ma Chung-pei. "Es öffnet sich ein völlig neues Fenster für die Erforschung supermassereicher Schwarzer Löcher."

(rr)

Wissen

Dieses Bild zeigt den Jet und den Schatten des schwarzen Lochs im Zentrum der Galaxie M87 zum ersten Mal gleichzeitig.
Dieses Bild zeigt den Jet und den Schatten des schwarzen Lochs im Zentrum der Galaxie M87 zum ersten Mal gleichzeitig. Bildrechte: R.-S. Lu (SHAO), E. Ros (MPIfR), S. Dagnello (NRAO/AUI/NSF)
Illustration zur Magnetosphäre der Erde
Die Magnetosphäre der Erde ist eine magnetische Blase, die unseren Planeten umhüllt und vor den meisten geladenen Teilchen schützt, die von unserer Sonne kommen. Wenn jedoch solare Teilchen auf die Magnetosphäre treffen, können sie die Magnetfeldlinien und das Plasma um die Erde wie die gezupften Saiten einer Harfe in Schwingung versetzen und Wellen mit sehr niedrigen Frequenzen erzeugen. Bildrechte: Martin Archer (Imperial College London), Emmanuel Masongsong (UCLA), NASA

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