Drei Minuten Zukunft Neue Therapien gegen Krebs: Zwei Drittel können bereits geheilt werden
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Gespräch mit Krebsforscher Prof. Dr. Michael Hallek
16. August 2022, 09:09 Uhr
Michael Hallek von der Uniklinik Köln hat es sich zur Lebensaufgabe gemacht, die Krebsforschung und -therapie voranzubringen. Sein Wirkungsort ist eines der modernsten Krebstherapie-Zentren Deutschlands. Wenn man sich mit Michael Hallek unterhält, dann klingt vor allem eines durch: Berechtigte Hoffnung, dass wir Krebserkrankungen immer besser in den Griff bekommen.
Herr Hallek, ihr Berufsfeld bringt naturgemäß immer eine gewisse Schwere mit sich. Gleichzeitig lastet auf Ihren Schultern ein ziemlich großer Hoffnungsdruck. Was macht das mit Ihnen?
Ich kann dazu sagen, dass diese Situation keine große Belastung mehr darstellt, nach einigen Jahren der Gewöhnung. Aus zwei Gründen: Zum einen kann man die Patienten oft über eine ganz lange Zeit begleiten und vorbereiten auf die Zukunft – letztlich auch auf das Sterben. Und zum anderen können wir sehr vielen Patienten heute helfen. Also ist es nicht mehr so, dass wir uns immer nur mit dem Patienten zusammen aufs Scheitern vorbereiten, sondern heute werden ungefähr zwei Drittel aller Patienten geheilt. Und das macht die Sache deutlich besser. Das dritte ist, dass man zu diesem Fortschritt, nämlich Heilungen zu erzielen, auch aktiv durch Forschung beitragen kann. Und das ist faszinierend.
Ist es denn so, dass die Zahl der Krebserkrankungen größer geworden ist oder ist nur die Diagnose besser geworden?
Krebs wird häufiger und das liegt daran, dass wir älter werden. Wir haben jetzt etwa eine Situation in Deutschland von einer halben Millionen Krebsneuerkrankungen pro Jahr. Diese Zahl wird weiter steigen, weil wir weiter älter werden. Gleichzeitig – und das ist positiv – ist die Zahl der Patienten, die an Krebs verstirbt, trotz dieses Anstiegs stabil geblieben. Das heißt, wir haben also mehr Erfolge in der Behandlung, aber eine Zunahme durch die zunehmende Alterung der Bevölkerung.
Also mehr Behandlungserfolge – wie sieht Krebstherapie im Jahr 2022 denn eigentlich aus?
Die Krebstherapie in einem kurzen Satz zusammenzufassen, ist heute unmöglich. Es gibt nämlich ganz viele unterschiedliche Krebserkrankungen und die werden im Jahr 2022 unterschiedlich behandelt. Man kann aber sagen, dass genau das schon die Besonderheit ist. Wir nehmen eine zunehmende molekulare Spezialisierung der Krebsbehandlung wahr. Und zwar so, dass wir verschiedene Krebsarten ganz unterschiedlich behandeln, mit zunehmend weniger Nebenwirkungen. Der nächste Punkt ist: Wir nehmen großen Fortschritt in der Immuntherapie wahr. Der hat in den letzten zehn Jahren in vielen Gebieten die Krebsbehandlung revolutioniert. Und dadurch entsteht echter Fortschritt. Mit Gewinn an Lebensjahren und Gewinn an Lebensqualität für viele Krebspatienten.
Prof. Dr. Michael Hallek … … ist Internist auf den Gebieten Onkologie und Hämatologie. Zu seinen Schwerpunkten zählt die chronische lympathische Leukämie. U.a. durch seinen Beitrag konnten hier erfolgreiche molekulare Therapien entwickelt werden. Er ist Direktor des Centrum für Integrierte Onkologie (CIO), Leiter der Medizinischen Klinik I an der Uniklinik Köln und seit 2011 Mitglied der Leopoldina.
Die wesentlichen Bausteine der Krebstherapie sind die klassischen: Nämlich die alte Chemotherapie bei gestreuten Krebserkrankungen oder bei Blutkrebs. Die Operation – immer noch eines der allerbesten Verfahren, wenn es darum geht, begrenzte Tumoren zu entfernen und damit zu heilen. Und die Strahlentherapie, die dazu dient, die nicht ganz operablen Tumoren ebenfalls lokal zu behandeln. Hinzu kommen jetzt zwei wesentliche neue Gebiete in der Krebstherapie: Erstens die Immuntherapien und zweitens die zielgerichteten Therapien, wo man Schaltermoleküle in den Krebszellen korrigieren kann, krebsauslösende Schaltermoleküle so umbauen kann, dass sie ausfallen und damit der Krebs praktisch zurückweicht oder schrumpft. Und so hat man fünf wesentliche Säulen der Krebstherapie. Zwei davon sind in den letzten zwanzig Jahren erst dazugekommen.
Welche konkreten Therapiefortschritte in jüngerer Zeit haben Sie denn erstaunt?
In der Krebstherapie der letzten Zeit gibt es verschiedene Beispiele und auch richtig tolle Durchbrüche, welche die Lebenserwartung und die Lebensqualität von Patienten verbessern. Nummer eins: Schwarzer Hautkrebs – Melanom als anderes Wort dafür – lässt sich heute auch im fortgeschrittenen, also metastasierten Stadium mit Immuntherapien extrem gut behandeln, so dass die Lebenserwartung dramatisch gestiegen ist. Heute verstirbt kaum noch ein Patient mit schwarzem Hautkrebs an dieser Erkrankung.
Wir nehmen großen Fortschritt in der Immuntherapie wahr. Der hat in den letzten zehn Jahren in vielen Gebieten die Krebsbehandlung revolutioniert.
Zweites Beispiel: Eine häufige Tumorerkrankung ist das nicht-kleinzellige Lungenkarzinom oder Lungenkrebs. Das hat durch die Erforschung verschiedener Schaltermoleküle ganz viele neue Therapiemöglichkeiten bekommen, mit ebenfalls einem ganz starken Anstieg an Lebenserwartung für viele Patienten, bei denen man solche Schaltermoleküle findet.
Drittes Beispiel: lymphatische Tumorerkrankungen, also Lymphknotenkrebs und lymphatische Leukämien. Hier ist es so, dass wir durch die Kombination aus Antikörpern, also Immuntherapien plus gezielten Medikamenten, bei vielen dieser Lymphoma und Leukämien großen Fortschritt haben mit einem Anstieg der Lebenserwartung – in einigen Untergruppen mit dem Erreichen quasi einer normalen Lebenserwartung. Das heißt, der Tumor, die Leukämie, ist nicht mehr lebensbegrenzend, sondern die Patienten können entweder damit leben oder die Krankheit ist geheilt.
Das hört sich nach der erfolgreichen Bewältigung immenser Herausforderungen an – aber es kommen auch neue, wenn wir auf den Klimawandel blicken.
Der Zusammenhang zwischen Umwelt und Krebs und insbesondere der Klimaveränderung und Krebs ist noch relativ unklar. Aber es ist hundertprozentig sicher – das erleben wir übrigens leider jeden Sommer –, dass bestimmte Temperaturbedingungen für die Behandlung relativ schlecht sind, weil sie den Patienten weiter schwächen. Man wird deutlich infektanfälliger, es droht Austrocknung. Also was wir sicher wissen, ist, dass die Behandlungsdurchführung durch Klimaveränderungen deutlich erschwert wird. Die Zusammenhänge zwischen den Klimaveränderungen oder auch Umweltschäden und Krebs müssen wir uns unter dem Stichwort Prävention noch einmal genau anschauen und erforschen. Und hier ist, glaube ich, noch viel zu tun und viel zu lernen und es ist eine Aufgabe, die unsere Gesellschaft in den kommenden zehn Jahren anpacken muss, um auch hier schlimmere Folgen zu vermeiden.
Wie kann denn die Gesellschaft, aber wie können auch einzelne Personen mit der Angst vor Krebs besser umgehen?
Das wichtigste Mittel, um die Angst vor Krebs zu bearbeiten, ist Aufklärung und Gespräch. Aufklärung, weil viele Krebserkrankungen gar nicht so gefährlich sind, wie der Betroffene zunächst glaubt. Viele kann man gut behandeln und lange kontrollieren. Es gibt bestimmte Situationen, da wird aus der akuten Lebensbedrohung eine chronischer Krebserkrankung – so ein bisschen wie Diabetes oder eine chronische rheumatologische Erkrankung. Auch keine besonders schönen Krankheiten, aber man kann auf jeden Fall lange damit leben. Und die zweite wichtige Situation ist: Sich kümmern und mit dem Patienten ein Arbeitsverhältnis aufbauen, dass ihm hilft, diese Angst zu bearbeiten und mit einer schlimmen Situation umzugehen.
Das wichtigste Mittel, um die Angst vor Krebs zu bearbeiten, ist Aufklärung und Gespräch.
Es gibt ja das Gebiet der Psycho-Onkologie, also die Unterstützung des Patienten in dieser Lebenskrise. Und ich halte das für extrem wichtig, weil es dem Patienten hilft, auch letztlich besser mit der Erkrankung zurechtzukommen und manchmal auch hilft, zu leben. Wir haben hier in unserem Zentrum in Köln ein Programm für Sport- und Trainingstherapie. Also so eine Muckibude mit richtig intensivem Training für die Patienten, weil wir wissen, dass sportliches Training eine wesentliche Stütze sein kann während der Krebsbehandlung – dazu gibt's übrigens auch gute Daten. Also man kann auch sagen: Sport ist wie ein Medikament und hilft zusätzlich, während einer Krebserkrankung das zu verarbeiten, das Gefühl zu geben, man kann selber was tun. Und das hilft immer auch, Ängste zu überwinden, weil man aktiv bleibt und das Gefühl bekommt, man hat die Möglichkeit, gegen die Tumorerkrankung anzugehen.
Herr Hallek, wann haben wir den Krebs besiegt?
Die Frage, ob man Krebs jemals ganz besiegen kann, würde ich eindeutig beantworten mit: niemals. Und ich möchte es auch begründen: Unsere Programme in unseren Zellen sind so angelegt, dass sie für eine bestimmte Lebenszeit eine Reparatur unserer Zellen gewährleisten. Und wenn wir immer älter werden, was zurzeit der Fall ist, dann wird es am Ende unseres Lebens immer zu irgendwelchen Zellen kommen, die entarten. Aber das Wichtige wird sein, dass wir die vorzeitigen Krebserkrankungen, die vorzeitigen Toten an Krebs, verhindern. Die, die dann eintreten, wenn der restliche Körper noch fit und gesund ist. Und da glaube ich schon, dass wir sehr großen Fortschritt machen werden und die Zahl der Krebstoten stark sinken können wird.
Und die andere, nämlich diese absolute Frage – Wann können wir Krebs komplett besiegen? – die ist dann beinahe philosophisch: Denn wenn sie in sehr, sehr hohem Alter bei hoher Gebrechlichkeit noch mal irgendwo in der Haut, in der Lunge einen Krebs bekommen, dann wird es für die gesamte Lebensperspektive des Patienten keine so große Rolle mehr spielen, sondern eines der vielen Dinge sein, die dann letztlich zum Ende des Lebens führen.
Herr Hallek, vielen Dank!
Lustiger Fips am 10.08.2022
@mdr
Sehr gutes und informatives Interview. Auch wenn sich die erwähnte 2/3 Heilungsrate nicht mit der von mir erlebten - nicht repräsentativen- Realität in Einklang bringen lässt. Hoffen wir x auf bahnbrechende Entwicklungen.
Ilse am 10.08.2022
»Heute werden ungefähr zwei Drittel geheilt«
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"Die Frage, ob man Krebs jemals ganz besiegen kann, würde ich eindeutig beantworten mit: niemals."