Künstlerische Nahaufnahme: Ein roter Marienkäfer mit schwarzen Punkte an einer einzelnen eher trockenen Weizen-Ähre, Hintergrund unscharf mit weiteren Ähren.
Mag er das Wetter? Oder nicht? Oder stört ihn eher die Weizen-Monokultur? Oder die Pestizide? Bildrechte: imago/Pond5 images

Wissenschaftlicher Diskurs Insektensterben liegt am Wetter – oder wie oder was?

28. September 2023, 08:23 Uhr

Wissenschaftlicher Diskurs ist ein hohes Gut und Teil der wissenschaftlichen Arbeit. Wie zum Beispiel bei einer Studie, die den massiven Rückgang von Insekten in den vergangenen Jahrzehnten genauer untersucht hat – und glaubt, mit dem Wetter zumindest einen eindeutigen Schuldigen ausgemacht zu haben. Im Diskurs stellt sich heraus: Man muss nicht immer der gleichen Meinung sein, um zu wissen, auf welche grundlegenden Fakten es hinausläuft.

Junger Mann mit Bart, runder schwarzer Brille, schwarzem Basecap vor Roll-Up-Plane mit Logo von MDR WISSEN
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Manchmal sind Diskussionen über Studien eben spannender als die Ergebnisse selbst. Das gilt auch bei Fachrichtungen wie Klima- und Biodiversitätsforschung, in denen zwar häufig ein großer wissenschaftlicher Konsens herrscht – aber nicht immer eitel Sonnenschein. Und das gilt im Falle einer aktuellen Insektenstudie [1], die gerade im Fachblatt Nature erschienen ist und den Titel trägt: "Wetter erklärt Zunahme und Rückgang der Biomasse von Insekten innerhalb von 34 Jahren". Denn ganz so banal ist der Zusammenhang dann wohl doch nicht.

Aber von vorn: 2017 erschien die viel beachtete und vielzitierte Krefeld-Studie [2], eine Langzeituntersuchung, die die Entwicklung der Biomasse von Insekten untersucht hat (nur solcher, die fliegen können, wohlgemerkt). Die Forschenden konnten zeigen, dass innerhalb von 27 Jahren 76 Prozent der Fluginsekten verschwunden sind. Warum, das hat die Studie nicht geklärt. In Forschungskreisen herrscht aber weitestgehend der Konsens, dass ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren dafür verantwortlich ist: Vor allem intensive Landwirtschaft, Verlust der Lebensräume, Lichtverschmutzung und Klimawandel. Und dieses Zusammenspiel macht es eben auch so kompliziert, einzelne Einflüsse zu belegen und dabei die anderen auszuklammern. Die Mannigfaltigkeit der Ursachen spielt auch so mancher Industrie in die Karten.

Insektensterben: Beweise für die Gründe?

Die jetzt vorliegende Studie beginnt sozusagen dort, wo die Krefeld-Studie aufgehört hat. Auf Grundlage derer Daten haben Forschende aus Deutschland und der Schweiz Anstiege und Rückgänge der Insektenbiomasse über 34 Jahre sowie das Wetter und Wetteranomalien an den Orten der Probennahme analysiert. Das Team hat die Daten der Krefeld-Studie durch Probennahmen für spätere Jahre ergänzt (in Regionen, die in der Krefeld-Studie nicht berücksichtigt wurden). Anlass dafür war, dass die Biomasse der Insekten im Jahr 2022 nicht dem langjährigen Trend entsprach und größer war als vermutet. Die Forschenden haben die Daten mit Wetterinformationen kombiniert und kommen letztendlich zu dem Schluss: 75 Prozent des Insektenrückgangs lässt sich durch das Wetter erklären, unter Berücksichtigung räumlicher und zeitlicher Variablen.

Wir erinnern uns: Wetter ist nicht Klima. Während Klima das große Ganze beschreibt, geht es beim Wetter um die konkreten meteorologischen Bedingungen zu einem konkreten Zeitpunkt. Das Klima hat allerdings einen direkten Einfluss aufs Wetter, zum Beispiel wie häufig bestimmte Wetterereignisse auftreten oder in welchem Rahmen sie sich abspielen. Sind die Erkenntnisse der neuen Studie also wirklich so spannend? Gute Frage. In jedem Fall spannend ist, wie es Fachleute doch recht unterschiedlich aufnehmen, dass eine Studie nun einen Faktor für den Insektenrückgang zu belegen glaubt. Das zeigt zumindest ein Stimmungsbild, das das Science Media Center bei einem Rundruf eingefangen hat.

Applaus gibt es zum Beispiel aus Mitteldeutschland, von Roel van Klink, der sich am iDiv Halle-Jena-Leipzig mit Biodiversitätssynthese beschäftigt: "Ich bin beeindruckt von der Gründlichkeit der Analyse. Die Autoren der aktuellen Studie scheinen einen Weg gefunden zu haben, einen großen Teil der Schwankungen in der Biomasse mit der Einbeziehung von nur wenigen Wettervariablen erklären zu können." Das sei seit Jahrzehnten ein heikles Thema, da niemand wüsste, welche Wettervariablen für Insekten wichtig seien. "Der wichtigste Fortschritt in der aktuellen Arbeit ist, dass die Autoren in der Lage sind, den Fang von Insektenbiomasse pro Jahr besser als bisher zu erklären und die Insektenbiomasse in neuen Proben vorherzusagen. Sie konnten die unerklärlichen Schwankungen in den Krefelder Daten erklären", so der Wissenschaftler.

Insekten-Studie: Zurück in die 1950er?

Christoph Scherber vom Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels ist da hingegen, gelinde gesagt, etwas weniger erquickt: "Die Studie bringt keinerlei neue Erkenntnisse – im Gegenteil, sie wirft uns zurück in die 1950er Jahre", sagt er unter Verweis auf eine australische Studie zum Einfluss von Wetter auf Insektenpopulationen. "Zugleich muss man sagen, dass die Studie quasi das 'Kind mit dem Bade' ausschüttet. Wenn das Wetter fast alles erklärt: Wozu braucht es dann noch Insektenkundler?" Wenn Wetter die einzige Einflussgröße wäre, sähe sich die Landwirtschaft nicht mehr gezwungen, Insektizide zu spritzen, weil nur das Wetter die Insektenmenge beeinflussen würde, argumentiert Scherber. Seiner Meinung nach seien Einflussgrößen wie Landnutzung zu wenig berücksichtigt worden, die vorliegende Arbeit erweise der Debatte um das Insektensterben einen Bärendienst. "In gewisser Weise erscheint dies, als würde man zwei schlechte Studien kombinieren und damit plötzlich meinen, die Welt erklären zu können. Die Krefeld-Studie hatte bekanntermaßen ihre Probleme beim Studiendesign und auch bei der zweiten nun hinzugenommenen Studie aus Bayern gab es – vorsichtig gesagt – Licht und Schatten."

Kopf einer Rauper mit Muster und sehr auffälligen, farbigen Borsten, und einer Art kugeliger Augen am Kopf, auch mit Borsten, Borsten teils größer als der Kopf selbst
Schwarmspinner, eigentlich ein Schmetterling, hier noch als Raupe, mögen warmes Wetter. Bildrechte: imago/Zoonar

Scherber lässt kein gutes Haar an der Veröffentlichung, an der Krefeld-Studie indes auch nicht. Er macht aber auf ein tatsächliches Problem aufmerksam, nämlich die Trennung unterschiedlicher Einflüsse voneinander. Darauf verweist auch Josef Settele, Insektenforscher am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle, Co-Vorsitzender des Globalen Berichtes des Weltbiodiversitätsrats (IPBES) – und für MDR WISSEN-Nutzende ein alter Bekannter. "Die Landnutzung spielt sicherlich auch bei der Biomasse eine Rolle – in verschiedenster Richtung, wie zum Beispiel beim Befall durch Borkenkäfer in eher monotonen Forsten, in denen wir über eine zu geringe Insektenbiomasse kaum klagen können." Biomasse und Artenvielfalt hingen zwar zusammen, sind aber nicht gleichzusetzen. Das steht allerdings auch so in der vorliegenden Studie. "Wir kommen nicht umhin, den Klimawandel, die Landnutzung und den Verlust von Biodiversität gemeinsam zu denken und anzugehen." Trotzdem sei die Arbeit methodisch plausibel, er kenne die Vorgehensweise der Autorinnen und Autoren recht gut und habe keine Bedenken.

Insektenrückgang: Es kann nicht einen Grund geben

Carsten Brühl, Umweltwissenschaftler an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau, moniert den nur korrelativen Zusammenhang der Erkenntnisse – also die beobachtete Wechselbeziehung, ohne deren Ursachen belegen zu können. Soll heißen: Wenn A und B sich gleichermaßen verändern, muss das nichts miteinander zu tun haben – eventuell gibt es einen Grund C. Diese Einschränkung käme allerdings nicht so richtig heraus: "Schon die Überschrift der Studie impliziert einen erklärenden, kausalen Faktor. Das Wetter hat allerdings auch einen Einfluss auf die landwirtschaftliche Praxis" – wie Termine des Pflügens, der Aussaat und des Mähens, die alle relevant für Insekten seien. "Auch Pestizide werden je nach Wetter mehr oder weniger eingesetzt. So führten zum Beispiel bestimmte feuchte Wetterlagen im Frühjahr zu einer starken Entwicklung von Blattläusen und damit zu einem verstärkten Einsatz von Insektiziden."

Vogelperspektive/Drohnenansicht: Nadelwald von oben, einige abgestorbene Bäume zwischen grünen Bäumen, Perspektive erzeugt Dynamik, direkte Draufsicht auf Bäume in Mitte, Bäume drum herum wirken schräg gestellt
Das Thema Borkenkäfer zeigt, dass Biomasse und Artenvielfalt nicht das gleiche sind. Bildrechte: imago/Westend61

Das bedeutet also: Bei einer entsprechenden Wetterlage gibt es eine entsprechende Biomasselage bei Insekten. Ob dafür nun hohe Temperaturen oder Regen verantwortlich sind, oder landwirtschaftliche Praxis die aus den hohen Temperaturen oder Regen folgt, ist unklar. Johannes Steidle, Ökologe an der Universität Hohenheim, verweist auf eine weitere Einschränkung: In den verwendeten Fallen für das Insekten-Monitoring sammelt sich so allerlei buntes Getier, das sich in der Biologie oft fundamental unterscheidet: "Es ist schwer zu glauben, dass alle Arten von den gleichen Wetterphänomenen beeinflusst werden." Es gibt gute Hinweise, dass Arten, die Kälte bevorzugen, besonders zurückgegangen sind. "Auf der anderen Seite zeigt sich, dass sich wärmeliebende Arten ausbreiten oder nun in größeren Populationen auftreten, wie zum Beispiel die Massenkalamitäten von Schwammspinnern", stellt Steidle klar. Und auch, dass es immer problematisch ist, wenn Daten aus verschiedenen Studien zu gemeinsamen Analysen zusammengeführt werden, weil oft unklar ist, ob sie vergleichbar sind.

Keine Streiterei, sondern eigentlich egal?

Der Diskurs macht klar: Vielleicht ist das alles im Detail gar nicht so wichtig, wenn es nichts am Grundproblem ändert – so wie in diesem Fall. "Grundsätzlich ist klar, dass Insektenpopulationen stark vom Wetter abhängig sind. Das Wetter wird im Allgemeinen auch als einer der Hauptfaktoren für die starke Fluktuation von Insektenpopulationen angesehen", so Steidle. Allerdings wird dieser Effekt etwa in den Tropen stärker eingeschätzt als in Mitteleuropa. "Der Befund, dass das Klima in Mitteleuropa bereits jetzt eine größere Rolle spielt, wäre neu, aber vielleicht nicht allzu überraschend." Und vor allem ergänzend. Dass die Form von Landwirtschaft, wie sie in Mitteleuropa betrieben wird, nun also doch nichts mit dem Insektensterben zu tun hat, wäre hingegen ein grundsätzlich falscher Schluss.

So falsch wie die Annahme, dass eine Konzentration auf den Klimawandel ausreichend sei, um den Rückgang von Insekten zu stoppen, da sind sich alle einig. Das wäre eine Interpretation, die auch gewiss nicht im Sinne der Autorinnen und Autoren der vorliegenden Studie stünde – selbst wenn die Überschrift der Studie in dieser Hinsicht vielleicht nicht ganz ausgewogen ist. Zumindest ist klar, dass ein Stoppen der Erderwärmung nicht automatisch zu einem Stoppen des Insektensterbens führen würde. "Die Klimakatastrophe ist etwas, das nicht verschwinden wird. Selbst wenn wir jetzt sofort aufhören, Treibhausgase auszustoßen, wird sich die natürliche Welt nicht auf das frühere Niveau erholen", gibt Roel van Klink vom iDiv zu bedenken. "Andererseits macht diese Studie auch deutlich, dass unsere Bemühungen, die Zerstörung von Lebensräumen und die Umweltverschmutzung zu stoppen, sinnlos sein könnten, wenn wir den Klimawandel nicht aufhalten."

mit SMC

Links/Studien

  • [1] Müller et al. (2023): Weather explains the decline and rise of insect biomass over 34 years. Nature. DOI: 10.1038/s41586-023-06402-z
  • [2] Hallmann CA et al. (2017): More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas. PLoS ONE 12(10). DOI: 10.1371/journal.pone.0185809

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1 Kommentar

bhenning vor 30 Wochen

"Wissenschaftlicher Diskurs ist ein hohes Gut und Teil der wissenschaftlichen Arbeit."

Aber nicht, wenn er dazu genutzt wird Unwissenheit zu generieren.

Alles schön und gut, es mag verschiedene Einflussfaktoren geben. Jedoch erklären diese niemals das Ausmass des Sterbens.

Es liegt faktisch auf der Hand, dass Insektizide / Neonikotinoide die Verursacher des Massensterbens sind. Auch wenn die Industrie alles unternimmt um dies zu verschleiern, u.a. mit einer Häufung von Studien in anderen Richtungen.

Diese Praxis ist ja auch nicht neu, schließlich brauchte man auch 70 Jahre um wissenschaftlich anzuerkennen, dass Rauchen schädlich ist.

Es ist wirklich traurig, dass das immer noch so funktioniert. Ein Artikel wie dieser kann einen wütend machen.