Blick über das Hochland von Tibet.
Das Hochland von Tibet. Ob hier Schnee liegt, darüber wird auf der anderen Seite der Welt entschieden, am Amazonas-Regenwald, wie eine neue Studie zeigt. Bildrechte: IMAGO / YAY Images

Klima-Kippelemente Klimatische Amazonas-Tibet-Verbindung um die halbe Erdkugel

05. Januar 2023, 17:25 Uhr

Der Amazonas-Regenwald und das Hochland von Tibet gehören zu den Kippelementen im globalen Klimasystem. Nun hat ein Forschungsteam mit Hans Joachim Schellnhuber einen direkten Zusammenhang zwischen beiden nachgewiesen.

Hans Joachim Schellnhuber ist einer der weltweit angesehensten Klimaexperten. Der früherer Direktor des von ihm gegründeten Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK) brachte das Konzept der Kippelemente in die Klimaforschung ein. Kippelemente sind demnach überregionale Bestandteile des weltweiten Klimasystems, die durch relativ geringe äußere Einflüsse in einen anderen Zustand versetzt werden können, nämlich dann, wenn der sogenannte Kipppunkt erreicht wird, von dem es dann oft kein Zurück mehr gibt.

Beispiele für solche Kippelemente sind schmelzende Eisschilde und Gletscher, absterbende Korallenriffe und kollabierende Permafrostböden. Aber auch der immer kleiner werdende Amazonas-Regenwald gehört dazu. Und welchen Einfluss er auf andere Kippelemente der Welt hat, wurde nun von einer internationalen Forschungsgruppe untersucht, zu der auch Hans Joachim Schellnhuber gehörte.

Einige Verbindungen zwischen Kippelementen sind schon länger bekannt, aber die neue Studie deckte zwei neue auf. Demnach korrelieren das Sterben des südamerikanischen Regenwaldes und der Verlust des Westantarktischen Eisschildes direkt miteinander, was durch die relative geografische Nähe gut nachvollziehbar erscheint. Erstaunlich ist aber eine Korrelation, die vom Amazonas in eine fast genau auf der anderen Seite der Welt liegende Region führt, ins Hochland von Tibet.

Klima-Kippelemente und ihre Verbindungen. Die nummerierten Symbole zeigen potenzielle Kippelemente im Erdsystem. Die gelben Linien zeigen wahrscheinliche Verbindungen zwischen diesen Kippelementen, die roten Linien zeigen die in der Studie nachgewiesenen "Fernverbindungen". Die Pfeile stellen die Richtung des Einflusses dar.
Klima-Kippelemente und ihre Verbindungen. Die nummerierten Symbole zeigen potenzielle Kippelemente im Erdsystem. Die gelben Linien zeigen wahrscheinliche Verbindungen zwischen diesen Kippelementen, die roten Linien zeigen die in der Studie nachgewiesenen "Fernverbindungen". Die Pfeile stellen die Richtung des Einflusses dar. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Gitternetz aus Knotenpunkten

Die Forschungsgruppe unterteilte die Welt gleichmäßig in 726 Knotenpunkte von Längen- und Breitengraden und untersuchte für jeden einzelnen Knotenpunkt langfristige Klima- bzw. Wetterdaten. Dabei kristallisierte sich eine Spur von Punkten heraus, auf denen der Einfluss des Amazonas-Regenwalds immer weiter "vererbt" wurde. Diese Spur lässt sich grob in drei Teile aufgliedern, zuerst von Südamerika bis ins südliche Afrika, dann auf die arabische Halbinsel und schließlich ins Hochland von Tibet.

Der ungefähre Weg der Klima-Fernverbindung zwischen dem Amazonas-Regenwald und dem Hochland von Tibet. Gemäß der neuen Studie wird diese Verbindung auch bei fortschreitendem Klimawandel recht stabil bestehen bleiben.
Der ungefähre Weg der Klima-Fernverbindung zwischen dem Amazonas-Regenwald und dem Hochland von Tibet. Gemäß der neuen Studie wird diese Verbindung auch bei fortschreitendem Klimawandel recht stabil bestehen bleiben. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Im Durchschnitt dauert diese rund 20.000 Kilometer weite "Einflussreise" vom Amazonas nach Tibet etwa 15 Tage, heißt es in der Studie. Zustande kommt sie demnach durch eine Kombination aus dem Südatlantikhoch, der intertropischen Konvergenzzone und Westwinden in mittleren Breiten der Nordhalbkugel. Nach etwa zwei Wochen bekommt man in Tibet also regelmäßig zu spüren, was klima- und wettertechnisch zuvor in Südamerika geschehen ist.

Positive und negative Korrelationen

Gemäß Studie korrelieren die Temperaturen in beiden Regionen positiv, das heißt, wenn es im Amazonasgebiet wärmer wird, geschieht das auch in Tibet. Beim Niederschlag ist es aber andersherum, mehr Regen über dem Amazonas geht mit weniger Schnee oder Regen im tibetischen Hochland einher. Mit mehreren anerkannten Simulationsmodellen zeigte das Forschungsteam, dass dieser Einfluss wahrscheinlich auch bei fortschreitendem Klimawandel bestehen bleiben wird.

Außerdem wurden Frühwarnsignale untersucht, und laut denen nähert sich die Schneedecke im Hochland von Tibet seit 2008 kontinuierlich und recht schnell dem Kipppunkt, was verheerende Folgen haben kann, weil diese Schneedecke ein gigantischer Wasserspeicher ist. Zahlreiche Veröffentlichungen haben gezeigt, dass der Erwärmungstrend der letzten Jahrzehnte in Tibet, ähnlich wie in der Arktis, um ein Vielfaches schneller läuft als im globalen Durchschnitt. Laut Prognosen setzt sich diese überstarke Erwärmung im tibetischen Hochland durch den Klimawandel weiter fort, wodurch wahrscheinlich wiederum mehr Klimaextreme auftreten.

Eine Studie mehr, die zeigt, wie abhängig das Schicksal der Erde vom Amazonas-Regenwald ist.

(rr)

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