Wissen, was wir lesen Die Sache mit dem Wald. Neue Perspektiven und Konzepte für unser Ökosystem
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12. Oktober 2023, 10:22 Uhr
In "Die Sache mit dem Wald" unternimmt Sven Herzog als studierter Förster eine grundlegende Einführung in ein unterschätztes Ökosystem - und hinterfragt unseren Umgang damit.
Wie es in den Wald ruft ….
Über den Wald wurde schon viel gesagt. Und dennoch hat sich Sven Herzog, studierter Förster und Hochschullehrer in Dresden und Göttingen, dazu entschieden, dem Ökosystem ein neues, gut 300 Seiten starkes Buch zu widmen. Wieso? Weil er sich sorgt – so klingt es immer wieder zwischen den Zeilen durch. Und so schallt es aus dem Wald heraus. Denn vor unserer Haustür in unseren Wäldern lässt sich ablesen, wie es um die Natur und unsere Umwelt bestellt ist. Und damit auch, wie wir mit ihr umgehen. Was sich an diesem Umgang ändern sollte, ist ein übergeordnetes Anliegen des Anfang diesen Jahres im KOSMOS-Verlag erschienen Buches.
Baustellenbegehung eines Ökosystems
In acht Kapiteln unternimmt Herzog darin eine Art Bestandsaufnahme des Ökosystems Wald. Schritt für Schritt. Jedes Kapitel nimmt einen Aspekt des Waldes in den Fokus, wofür der Autor sich methodisch verschiedener Ansätze bedient. „Die Sache mit dem Wald“ ist eine Baustellenbegehung historischer und forstwirtschaftlicher Art mit kleinen Trampelpfaden in Richtung der Kulturwissenschaften. So wird ein einführender Rundumschlag gewagt und zunächst der Mensch ins Verhältnis zum Wald gesetzt. Etwa, als die Menschen nach und nach begannen zu roden, um Dörfer entstehen zu lassen. Wald als Kapital und seine Ressourcennutzung. Bis hin zu dem „deutschen Wald“- erst als gepriesenes Symbol der Romantik, dann von den Nationalsozialisten zu politischer Identität gemacht.
Erst Einführungslektüre, dann Debattenbeitrag
Dies liest sich zunächst als Erinnerungserzählung, die etwas viel auf einmal will. Die Benennung des Waldes als Kunstobjekt bei Caspar David Friedrich etwa müsste nicht sein – illustriert das Ganze aber nett. Genauso, wenn der Autor den Wald als Ort für Bestattungen oder Schauplatz für „Waldbaden“ nennt. Etwas zu lange betont Sven Herzog, wie verwebt die Lebensrealitäten der Menschen kulturell wie ökonomisch mit dem Wald verknüpft waren. Doch nach den ersten drei Kapiteln nimmt das Buch Fahrt auf – als Herzog sich nach den gesellschaftlichen und ökologischen Einblicken auf sein tatsächliches Fachgebiet konzentriert, von dem der Großteil der erwartbaren Leserschaft keine Ahnung hat: den forstpolitischen Fragen. Es geht um Jagd, Waldwirtschaft und Nachhaltigkeit.
Überzeugend nimmt Sven Herzog seine Leserinnen und Leser an die Hand; erklärt beispielsweise differenziert die Debatte um Wald und Wild. So erläutert er die Abwärtsspirale der vermehrten Jagd: Wird mehr gejagt, herrscht mehr Stress im Wald: Die Tiere werden unruhig, mehr Boden und Pflanzen geraten in Mitleidenschaft, wodurch das Argument laut wird, man müsse mehr jagen. Eine einleuchtende und grundlegende Erklärung, die aber außerhalb des Faches bisher niemanden erreichte. Wie auch?
Wissen über eine Krise, die alle betrifft
Genau diesen Job nimmt Sven Herzog in weiten Teilen des Buches an: Er ist der Wald-Vermittler. Das erinnert an manche Biologie-Stunden, wenn er erklärt, wie ein Baum aufgebaut ist. Es schafft aber auch ein Grundlagenverständnis und holt einen als Leser von der Vergangenheit ins Jetzt. Wald ist längst eine Frage der Klimakrise geworden. Die Wissensvermittlung gelingt Herzog am stärksten, wenn er sich selbst positionieren kann. In den forstwirtschaftlichen Fragen – gerade in Bezug auf Jagd und Waldnutzung – glänzt sein Schreiben mit klaren Bildern und lebensnahen Beispielen trotz der Informationsdichte. Während in den stärker anthropologischen Kapiteln der Ton zwischen sachlich-simpel und intellektualisiert schwankt, hat Sven Herzog hier seine eigene Sprache gefunden. Er argumentiert pointiert, kann stets auch sein Contra benennen und formuliert im Gesamten eine wertschätzende Sorge, die keine aktivistische ist.
Lektüre für Neu- und Mehr-Interessierte
„Die Sache mit dem Wald“ schafft es auch diejenigen Leser mitzunehmen, für die bisher der Wald vor allem ein Ort zum Spazieren war. Das Buch lädt dazu ein, sich diesen vermeintlich selbstverständlichen Lebensraum genauer anzuschauen und als komplex und schützenswert zu begreifen. Schließlich möchte der Autor ein Problembewusstsein schaffen und zeigen, dass gerade die Nutzung dieses Ökosystems verlässlichen Schutz dessen bedeuten kann. So kann das Buch sowohl kapitelweise gelesen und als Grundlagenbuch mit aktueller Einordnung verstanden werden – oder für diejenigen mit mehr Vorwissen, auch als Weiterbildung mit gesellschaftspolitischer Tragweite. So also schallt es aus dem Wald wieder heraus: Auch ein viele Millionen Jahre stummer Ort kann uns Hinweise auf ein akutes Jetzt geben.