Ein Bewohner geht mit seinem Rollator über den Flur eines Alten- und Pflegeheims.
Gerade in der Alten- und Krankenpflege herrscht Personalnot (Symbolbild). Bildrechte: picture alliance/dpa | Jens Büttner

Fachkräftemangel Pflegeplätze sind knapp – besonders bei hohem Pflegegrad

29. Oktober 2023, 05:00 Uhr

Fachkräfte werden fast überall gesucht. Besonders brisant ist die Lage in der Pflege. Dort fehlen offenbar Pflegeplätze für diejenigen, die es am dringendsten brauchen. Vertreter der Branche schlagen Alarm.

MDR AKTUELL Autorin Yvonne Schmidt
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Der Fachkräftemangel führt nach Aussage eines Sozialverbandes zu einer Triage – also einer Auslese – in der Pflege. "Betroffen sind in erster Linie schwerstpflegebedürftige Menschen, die besonders dringend einen Pflegeplatz bräuchten aber aufgrund des Personalmangels von den Pflegeheimen abgewiesen werden", sagt der Präsident des Bundesverbandes privater Anbieter sozialer Dienste (bpa), Bernd Meurer bei MDR AKTUELL. Denn Patienten mit einem höheren Pflegegrad benötigen schlicht mehr Personal, welches in den Einrichtungen fehlt.

Hoher Pflegegrad benötigt mehr Personal

"Dann sagen die Heime: Wir haben nicht genug Fachkräfte, also nehmen wir einen leichteren Fall", sagt Meurer. Auf diese Weise bleibe der schwierigste Fall zu Hause, wo der Patient nicht genügend professionelle Hilfe bekomme.  

Meurer sieht diese Entwicklung in ganz Deutschland. Der bpa hat rund 13.000 Mitgliedseinrichtungen. Davon hätten 412 im laufenden Jahr ihr Geschäft beendet, 337 im vorigen Jahr.

Auch Helmut Kneppe, Vorsitzender des Kuratoriums Deutsche Altenhilfe, betont, wie dramatisch die Situation ist: "Die Krise des Gesundheits- und des Pflegesystems wird lebensbedrohlich, wenn Notaufnahmen schließen müssen und Pflegeeinrichtungen Menschen mit höheren Pflegegraden abweisen. Diese Form der 'Pflege-Triage' ist mit unserem Verständnis von Menschenwürde und Sozialstaat nicht vereinbar."

Schwierige Suche nach Heimplatz

David Kröll vom Pflegeschutzbund spricht zwar nicht von einer Triage, betont aber, dass die Suche nach einem Heimplatz immer schwieriger wird. Immer häufiger würden Menschen nach Hilfe bei der Vermittlung fragen. "Die Betroffenen wirken zunehmend verzweifelter und nehmen etwa Heimplätze weit entfernt von ihrem Wohnort an", sagt er.

Und: Die Aufnahme in die Einrichtung hänge eben oft vom Pflegegrad ab. "Muss beispielsweise ein stark adipöser Bewohner von zwei Pflegekräften umgelagert werden bedeutet dies einen eventuell unwirtschaftlichen Mehraufwand, oder es fehlt schlicht das Personal dafür."

Die Betroffenen wirken zunehmend verzweifelter und nehmen etwa Heimplätze weit entfernt von ihrem Wohnort an.

David Kröll Pressesprecher Pflegeschutzbund

Weniger Zeit pro Patient

Susanne Hofferbert, Pressesprecherin der Diakonie Leipzig, meint, "von Triage kann bei uns keine Rede sein." Zur Diakonie gehören elf Pflegeeinrichtungen in der Region. Alle sind gut ausgelastet, sagt Hofferbert. Die Grundversorgung von Patienten sei immer gesichert. "Wenn es Engpässe gibt, werden Zeitarbeitsfirmen eingesetzt."

Personalmangel gebe es allerdings – und der mache sich dadurch bemerkbar, dass den Pflegern pro Patient weniger Zeit bleibe. "Extra-Angebote werden gekürzt und man muss sich auf die Grundpflege beschränken."

Die Pflege in der Krise Nach Angaben des Statistischen Bundesamts wird die Zahl der pflegebedürftigen Menschen in Deutschland allein durch die zunehmende Alterung bis 2035 um 14 Prozent zunehmen. Gleichzeitig können knapp 1,8 Millionen offene Stellen im Gesundheitswesen dann einer PwC-Studie zufolge voraussichtlich nicht mehr besetzt werden.

Besonders betroffen vom Personalnotstand ist die Alten- und Krankenpflege. Eine wesentliche Ursache für den Fachkräftemangel in der Pflege sind die prekären Arbeitsbedingungen.

Im ambulanten Pflegedienst der Volkssolidarität Leipzig werden sowieso nur Patienten bis Pflegestufe drei versorgt. "Da gibt es keine Auslese", sagt Leiterin Birgit Hoff. "Wegen Personalmangels müssen wir aber Touren zusammenlegen." Mindestens drei Pflegekräfte fehlen ihr. Leistungen für die Pflegebedürftigen müssten dadurch abgesagt oder reduziert werden.

Als großes Problem sieht sie die Zeitarbeitsfirmen. "Die machen die Pflege kaputt. Sie sind flexibel und bezahlen besser", erklärt Hoff. Auch sie hätte Mitarbeitende an Zeitarbeitsfirmen verloren.

Fachkräfte aus dem Ausland

Als mögliche Lösung für den Personalmangel sieht bpa-Präsident Bernd Meurer Fachkräfte aus dem Ausland. "In einem ersten Schritt müssen wir dafür sorgen, dass Fachkräfte aus dem Ausland – auch aus dem nicht europäischen Ausland – schneller und weniger bürokratisch zuwandern können."

Dann müssten Berufsabschlüsse aber auch schneller anerkannt werden. "Wir haben zwar ein neues Zuwanderungsgesetz bekommen – aber die Entscheidung der Anerkennung wird in den Ländern getroffen. Es gibt kein einheitliches transparentes Verfahren, sodass Bewerber davon abgeschreckt werden." Deutschland stehe weltweit in Konkurrenz um die Anwerbung von Fachkräften.

Reform des Pflegesystems gefordert

"Eine tiefgreifende Reform des Pflegesystems ist notwendig – sowohl der Finanzierung als auch der Strukturen", sagt David Kröll vom Pflegeschutzbund. Ein Aspekt ist die Finanzierung und Reform der Pflegeversicherung, ein anderer liege in Prävention und Beratungsstrukturen.

Außerdem müsse es eine größere öffentliche Verantwortung bei der Gesundheitsversorgung geben. "Die Kommunen mit ihrem Auftrag der Daseinsfürsorge und die Länder, denen die Planung und Steuerung von Pflegeplätzen über die Förderung von Investitionskosten obliegt, haben sich in den letzten Jahren aus der Verantwortung zurückgezogen."

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | Nachrichten | 26. Oktober 2023 | 17:30 Uhr

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