Spielzeughaus und Stempel liegen auf einem Grundriss
2025 tritt die Grundsteuerreform in Kraft. Dafür müssen 36 Millionen Immobilien durch die Finanzämter neu bewertet werden. (Symbolbild) Bildrechte: IMAGO / serienlicht

Kritik an mangelnder Transparenz Neue Grundsteuer verfassungswidrig? Musterklagen bereits angekündigt

27. April 2023, 19:25 Uhr

Ein Rechtsgutachten will nachweisen, dass die neue Grundsteuer in mehreren Bundesländern verfassungswidrig ist. Die auftraggebenden Verbände kündigen Musterklagen an und raten Eigentümern zum Einspruch. Das Gutachten benennt zehn Punkte, die das Grundsteuergesetz rechtswidrig machen sollen.

Laut Gutachten Grundsteuer-Modell des Bundes verfassungswidrig

Das Grundsteuergesetz des Bundes ist verfassungswidrig, so das Ergebnis eines umfassenden Rechtsgutachtens von Prof. Dr. Gregor Kirchhof, das der MDR Wirtschaftsredaktion vorliegt. Beauftragt wurde der Steuerrechtler vom Bund der Steuerzahler sowie "Haus & Grund Deutschland".

Das Papier soll nun als Grundlage für Musterklagen dienen, die die beiden Verbände in mehreren Bundesländern, unter anderem auch in Sachsen, vor Gericht bringen wollen. "Es ist offensichtlich, dass die neue Grundsteuer so nicht funktioniert und am Ende zu deutlichen Mehrbelastungen führt", sagt der Präsident des Steuerzahlerbunds, Reiner Holznagel. "Haus & Grund"-Präsident Kai Warnecke fasst die neue Grundsteuer mit drei Schlagworten zusammen: "zu kompliziert, intransparent und ungerecht".

Elf Bundesländer betroffenen

Das sogenannte Bundesmodell, um das es in dem juristischen Gutachten geht, wurde vom heutigen Bundeskanzler und damaligen Finanzminister Olaf Scholz (SPD) 2019 neu geregelt. Es wurde schon früh von Steuerexpertinnen und -experten als besonders kompliziert kritisiert.

Das Bundesmodell gilt derzeit in elf Bundesländern, darunter Berlin, Brandenburg, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz; sowie leicht abgeändert im Saarland und in Sachsen. In den restlichen Bundesländern – Hamburg, Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Niedersachsen – gelten jeweils eigene Grundsteuergesetze.

Hauseigentümer irritiert über neue Bescheide

Wegen der neuen Gesetze der Bundesländer mussten Millionen Hauseigentümer in den vergangenen Monaten eine neue Grundsteuererklärung abgeben. 82 Prozent der insgesamt rund 36 Millionen Erklärungen sind bei den Finanzämtern eingegangen. Rund 15 bis 20 Millionen Steuerbescheide wurden seit Einreichung der Unterlagen ausgestellt.

Viele der Eigentümer erlebten dabei eine böse Überraschung, so Reiner Holznagel vom Bund der Steuerzahler. So seien viele erstaunt, dass die im Bescheid festgesetzte Miete über der tatsächlich verlangten Höhe liegt. Auch der angegebene Bodenrichtwert sorge immer wieder für Irritation, da er oft deutlich höher sei als bisher. Die Möglichkeit, dagegen vorzugehen, sei aber begrenzt. Laut Gesetz kann der Eigentümer nicht wie im Erbrecht per Gutachten den Gegenbeweis antreten und so den Wert nach unten korrigieren. "Wir haben noch nie so viele besorgte Steuerzahler gehabt", so Holznagel. Auch der Präsident von "Haus und Grund", Kai Warnecke, berichtet von einem "großen Mitglieder-Zulauf" deswegen.

In der Kritik: Bodenrichtwert

Das Gutachten von Prof. Gregor Kirchhof, der an der Universität Augsburg den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Finanzrecht und Steuerrecht inne hat, nennt insgesamt zehn Punkte, die das Grundsteuergesetz rechtswidrig machen sollen. Unter anderem hält der Steuerrechtlicher den Bodenrichtwert für problematisch, weil die Werte "systematische Bewertungslücken" aufweisen und  "zuweilen kaum vergleichbar" seien.

Die strukturellen Fehler der absolut gesetzten Bodenrichtwerte verdeutlicht der Steuerrechtler am Beispiel der Stadt Berlin. So hat die bevorzugte Wohnlage Wannsee zum 1. Januar 2022 einen vergleichsweise geringen Bodenrichtwert von 1.500, in der weniger attraktiven Lage Neukölln ist der Wert gut doppelt so hoch: 3.200.

Das liegt unter anderem daran, dass der Bodenwert auch auf den reinen Grundstückskaufpreisen einer Gemeinde basiert. Die Bebauung bleibt außen vor.  Wenn ein Grundstück mit einem mehrstöckigen Haus bebaut werden kann, steigert das dessen Wert, nicht aber den einer Wohnung im jeweiligen Haus. Ganz im Gegenteil werden manche lieber im ersten Stock eines zweistöckigen Hauses am Wannsee wohnen, als auf der entsprechenden Etage eines vierstöckigen Hauses in Neukölln. Zudem kann es gerade in sehr guten Wohnlagen wie Berlin Wannsee vorkommen, dass es kaum Verkaufsfälle gibt.

Sind keine ausreichenden Preise vorhanden, würden Werte aus vergleichbaren Gebieten oder aus vorangegangenen Jahren herangezogen. Dieses Verfahren sei aber fehleranfällig, so Kirchhof in seinem Gutachten, "weil sich Lagen unterscheiden und gerade veraltete Werte maßgebliche Wertentwicklungen nicht hinreichend spiegeln". Das Gutachten sieht hier somit die Gefahr, dass durch die strikte Anwendung des Bodenrichtwerts der Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes verletzt wird.

Bundesmodell unnötig kompliziert

Kirchhof argumentiert zudem, dass das Gesetz die Grundsteuer unnötig kompliziert mache, statt sie zu vereinfachen. Beim Bundesmodell seien eine ganze Reihe von Parametern relevant, darunter die Wohnfläche, das Baujahr, Bewirtschaftungskosten, Liegenschaftszinssatz aber beispielsweise auch Restnutzungsdauer, Abzinsungsfaktor und Bodenwert. Nach den Grundsteuergesetzen in Hamburg, Hessen und Niedersachsen sei der Aufwand sehr viel geringer: Da komme es nur auf Fläche und Gebäudeart an. Noch einfacher sei das bayerische Modell, bei dem es in erster Linie auf Grundstücks- und Wohnfläche ankäme.

Doppelt so hohe Belastung durch Bundesmodell

Kirchhof kritisiert in seinem Gutachten auch, dass noch gar nicht fest stünde, wie sehr die Grundstückseigentümer tatsächlich belastet werden. Dies ließe sich erst dann ermitteln, wenn die Gemeinden über die Hebesätze entschieden hätten. Dann würden die meisten Grundlagen-Bescheide aber schon bestandskräftig sein. Damit drohe eine Rechtsschutzlücke für die Eigentümer. Doch klar sei: Die Bewertung nach dem Bundesmodell, so das Gutachten, verursache strukturell eine mehr als doppelt so hohe finanzielle Belastung der Betroffenen im Vergleich zu den einfacheren Modellen in Bayern, Hamburg, Hessen und Niedersachsen.

Länder sollten unproblematisch zu einfacheren Modellen wechseln

Als gute Lösung wertet Kirchhof die Grundsteuergesetze in Bayern, Hessen, Niedersachsen und Hamburg. Er hält es deshalb für ratsam, wenn die elf Länder mit dem Bundesmodell zu einem einfacheren Modell wechseln würden. Seines Erachtens wäre dies unkompliziert noch vor 2025 umsetzbar, da "die notwendigen Daten vorhanden sind und die digitale Anwendung der Gesetze vorbereitet ist". Dass eines der betroffenen Länder dazu bereit sei, jetzt noch das Modell zu wechseln, bezweifelt Reiner Holznagel vom Bund der Steuerzahler allerdings.

Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sehen keinen Handlungsbedarf

Auf MDR-Anfrage schreibt das Sächsische Finanzministerium, dass ein Modellwechsel im Freistaat Sachsen nicht beabsichtigt sei. Es bestünde – trotz des aktuellen Gutachtens – kein Anlass, "an der bisherigen Modellentscheidung zu zweifeln".

Auch das zuständige Finanzministerium in Thüringen sieht derzeit keinen Handlungsbedarf, sich vom "Bundesmodell" zu verabschieden und "ein eigenes Landesmodell in Betracht zu ziehen".

Das Finanzministerium Sachsen-Anhalt teilt dem MDR zu dieser Frage mit, dass man erstmal abwarten wolle, "ob und ggf. in welchem Umfang die … geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken von der Judikative geteilt werden und sich daraus in der Zukunft ein … Anpassungsbedarf ergibt".

Verbände raten Betroffenen Einspruch einzulegen

Da derzeit keine Verfassungsklage anhängig sei, sollten sich Steuerzahler durch einen generellen Einspruch absichern. Denn erst wenn eine Klage zugelassen werde, würden Bescheide unter Vorbehalt ausgestellt, so Kai Warnecke von "Haus und Grund".

Ob ein genereller Einspruch Sinn macht, ist juristisch umstritten. Trotzdem sollten Steuerpflichtige den Bescheid unbedingt sorgfältig und zeitnah prüfen. Denn enthält der tatsächlich Fehler, ist die Frist für einen begründeten Einspruch eng. Eigentümer sollten dafür die Daten des Bescheids genau mit den Daten aus der Steuererklärung vergleichen. Nur so kann man sichergehen, dass alle Werte stimmen oder falsche Angaben entdeckt werden.

Übrigens: Sollte in einigen Jahren ein Gericht doch ein Grundsteuergesetz aus verfassungsrechtlichen Gründen kippen, würde das Urteil für alle Bescheide gelten und nicht nur für diejenigen Eigentümer, die Einspruch beim Finanzamt eingelegt haben.

MDR (cbr)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | 18. April 2023 | 21:40 Uhr

Mehr aus Politik

Mehr aus Deutschland