Plakat mit der Aufschrift "Gleiche Arbeit? Gleiches Geld!"
Immer wieder wird gegen die Ost-West-Lohnlücke protestiert. Bildrechte: picture alliance / dpa | Uwe Anspach

20 Prozent Warum die Lohnlücke zwischen Ost und West immer noch so groß ist

05. Dezember 2023, 05:00 Uhr

Mehr als drei Jahrzehnte nach der deutschen Einheit sind die Gehaltsunterschiede zwischen Ost und West noch immer gewaltig. Im Schnitt verdienen Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern im Monat 600 Euro weniger als Beschäftigte im Westen Deutschlands. Doch was muss sich ändern, damit sich die Lücke schließt oder zumindest kleiner wird?

"Gleicher Lohn für gleiche Arbeit" – klingt einfach, ist es aber ganz offenbar nicht. Denn noch immer liegt das Lohngefälle zwischen Ost und West im Schnitt bei etwa 20 Prozent. Das zeigt eine aktuelle Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion im Bundestag.

Dietmar Bartsch spricht von "Riesenskandal"

Gestellt hat die der Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch, der die Lohnunterschiede als "Riesenskandal" bezeichnet. "Dass ostdeutsche Beschäftigte in einigen Bereichen weniger verdienen bei gleicher Arbeit, das ist inakzeptabel. Sie werden immer noch als Arbeitnehmer zweiter Klasse betrachtet. Das muss sich ändern aus meiner Sicht." Bartsch fordert deshalb Kanzler Olaf Scholz auf, einen "Ostgipfel" einzuberufen, bei dem die Politik zusammen mit Unternehmen einen klaren Zeitplan erarbeitet, bis wann die Lohnlücke geschlossen sein soll.

Wirtschaftswissenschaftler Joachim Ragnitz vom Ifo-Institut in Dresden hält das nicht für zielführend: "Man kann natürlich appellieren an ostdeutsche Gewerkschaften, Arbeitgeber und vielleicht auch an die Arbeitnehmer, sich da mehr einzubringen. Aber niemand kann das politisch tatsächlich durchsetzen. Letzten Endes sind es immer Vereinbarungen zwischen dem einzelnen Unternehmen und bestenfalls Gewerkschaften, oder in vielen Fällen Betriebsrat oder einzelnen Arbeitnehmern. Da hat die Politik so gut wie keine Möglichkeit."

Gründe für die Ost-West-Lohnlücke

Die Gründe, die Experten wie Ragnitz für das Lohngefälle zwischen Ost und West nennen, sind vielschichtig. So gebe es im Osten beispielsweise mehr kleine Betriebe, weniger Menschen in Gewerkschaften und weniger Tarifverträge, sagt er. Außerdem seien die meisten gut bezahlten Posten in den alten Bundesländern.

So zum Beispiel in der Automobilbranche, wo die Beschäftigten im Osten 42 Prozent weniger verdienen als im Westen. "Bei der Automobilindustrie ist es relativ klar, dass wir hier faktisch nur die Fließbandarbeit haben und im Westen dann eben die Design-Abteilungen sitzen."

Experten sehen Fachkräftemangel als Chance

Trotz der strukturellen Nachteile erwartet Ragnitz, dass sich die Lohnlücke in den kommenden Jahren weiter schließen wird. Etwas pessimistischer ist der Ökonom Steffen Müller, Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Uni Magdeburg und Leiter der Abteilung Strukturwandel und Produktivität am Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH).

Beide sehen aber den Fachkräftemangel als Chance: "Da geht es darum, dass wir ja im Osten ein massives Problem mit dem demografischen Wandel bekommen, also ein massives Problem beim Fachkräftemangel, das aber auch für die Löhne positive Effekte hat. Eine schrumpfende Bevölkerung bedeutet eben, dass die Arbeitgeber um knapp werdende Arbeitskräfte konkurrieren. Das treibt die Löhne nach oben und das schließt die Lohnlücke zum Teil."

Aber eben nicht vollständig. Ragnitz spricht sich deshalb für eine stärkere Wirtschaftsförderung im Osten aus, Müller für neue Ideen: "Eine grundlegende Einsicht ist, dass eine Region, die aufholt, in erster Linie in neuen Märkten aufholen kann. Also bei neuen Produkten, neuen Technologien – weil sie in etablierten Märkten einfach keine Chance hat gegen Platzhirsche. Das heißt: Wir brauchen mehr Gründungen, mehr Innovationen, mehr Mut im Osten." Und da kommt die Politik wieder ins Spiel, die dafür die notwendigen Rahmenbedingungen setzen kann.

Ein älteres Paar sitzt im Bremer Blockland an der Wuemme auf einer Bank am Wasser. 4 min
Bildrechte: picture alliance / Wolfram Steinberg | Wolfram Steinberg

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 05. Dezember 2023 | 06:06 Uhr

57 Kommentare

camper21 vor 20 Wochen

Eddi, lesen Sie sich den Kommentar vom User Gerald ruhig zum zweiten oder dritten Mal durch. Er und ich machen die Vorgängerpartei des Herrn Bartsch für die Deindustralisierung des Ostens verantwortlich. Das hat jetzt mit dem Krieg nichts zu tun.Es ist eine Auswirkung des Krieges, dass wir in der sowjetischen Besatzungszone gelandet sind, die hätten man aber weitaus besser regieren können.

Eddi58 vor 20 Wochen

@camper21
Die Teilung von D und die daraus folgende unterschiedliche Entwicklung war die Folge eines von D begonnen Vernichtungskrieges.
Die überstürzte Einführung der D-Mark hat die Märkte über Nacht wegbrechen lassen. Dafür kann Herr Bartsch nun wirklich nichts.🤦‍♂️

camper21 vor 20 Wochen

knarf, da haben Sie recht, dass ist aber nur die Spitze des Eisbergs. Die Wurzeln liegt viel tiefer,nämlich in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg als die Firmen unter dem SED Regime in den Westen gingen. Für umsonst gab es keine Grenze.

Mehr aus Politik

Mehr aus Deutschland

Illustration eines menschlichen Kopfes aus Glass 29 min
Bildrechte: IMAGO/Addictive Stock
berkner 1 min
Bildrechte: MDR
1 min 28.04.2024 | 04:45 Uhr

Bei der Renaturierung aktuell noch betriebener Tagebaue kündigt sich ein Dilemma an: Wasser für die Flutung werde kaum zur Verfügung stehen, so Planer Andreas Berkner. Doch Grundwasser weiter abzupumpen, ist zu teuer.

Fr 26.04.2024 10:21Uhr 00:29 min

https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/gesellschaft/video-tagebau-flutung-wasser-berkner-100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video