Eine Photovoltaikanlage wird auf dem Dach eines Einfamilienhauses installiert.
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Solar-Startup-Enpal Alles für das Klima: Ehemalige Mitarbeiter beklagen schlechte Arbeitsbedingungen

11. März 2024, 12:04 Uhr

Ehemalige Mitarbeiter des Solar-Startups Enpal berichten von fragwürdigen Arbeitsbedingungen am Standort Leipzig. Ein ehemaliger Mitarbeiter zieht wegen angeblich ausstehender Gehaltsansprüche vor das Leipziger Arbeitsgericht.

Eine Junge Frau lächelt in die Kamera
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Sie habe teilweise 60 Stunden in der Woche gearbeitet, auch am Wochenende und Ausgleichstage habe sie sich nicht getraut zu nehmen, erzählt eine ehemalige Enpal-Mitarbeiterin MDR Investigativ. Wir nennen sie hier Anna, weil sie gerne anonym bleiben möchte. "Der enorme Druck wurde damit gerechtfertigt, dass man ja keine Zeit habe – die Klimakatastrophe naht, und wir müssen, müssen, müssen verkaufen."

Anna hat am Standort Leipzig als Mitarbeiterin im Vertrieb gearbeitet. Konnte sie ein Kundengespräch nicht mit dem Verkauf einer Photovoltaik-Anlage (PV-Anlage) abschließen, sei ihr teilweise vorgeworfen worden, sie hätte nicht das richtige "Mindset" – also die persönliche Überzeugung, das Beste aus sich herausholen zu können. Sowohl Mindset als auch Klimakrise seien aus ihrer Sicht nur Rechtfertigungen gewesen, um die Angestellten auszubeuten, sagt Anna heute. "Aus meiner Perspektive geht es nur ums Geld."

Klimakrise als Druckmittel

Enpal will die Energiewende für alle ermöglichen – so das erklärte Ziel des Berliner Startups. Das Unternehmen produziert in China selbst Solarmodule und kümmert sich vor allem in Deutschland um die Installation der PV-Anlage, wenn gewünscht auch samt Stromspeicher, Wallbox und Wärmepumpe. Enpal bietet zudem eine Vermietung der PV-Anlage über 20 Jahre hinweg an. Nach eigenen Angaben ermöglichte es Enpal, vergangenes Jahr 30.000 Kundinnen und Kunden selbst Strom zu produzieren. Denn es geht dem Startup nach eigener Darstellung darum, die Energiewende voranzutreiben, um der Klimakrise Einhalt zu gebieten.

Produktionsmitarbeiterin Annika Janka prüft vor dem Verpacken ein Solarzellenelement 4 min
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"Es ist eine geniale Geschichte, die für viele Leute einfach zieht. Auch für mich", sagt Anna. Mit der Geschichte vom "Greentech-Unicorn", wie das Startup sich selbst nennt, beeindrucke Enpal nicht nur Kunden, sondern auch neue Mitarbeitende. "Aber das ist nicht die aufrichtige Absicht, die Welt zu verbessern. Das kann man einfach nicht mehr glauben, wenn man da gearbeitet hat", sagt sie. Sie habe letztes Jahr gekündigt, als sie erfahren habe, dass ihr ein entscheidender Teil ihres Arbeitsvertrages nicht ausgehändigt worden sei: Es geht um einen Anhang, der die Provision regle. Zu Beginn habe Anna pro verkaufter PV-Anlage Provision erhalten. Nach viermonatiger Betriebszugehörigkeit aber erst ab der fünften verkauften Anlage. Diese Regelung sei einem Anhang zum Arbeitsvertrag zu entnehmen gewesen. Der aber habe nicht nur bei ihrem Vertrag gefehlt, sondern nach ihren Schätzungen bei mindestens 30 weiteren Kolleginnen und Kollegen. Enpal äußerte sich auf Anfrage von MDR Investigativ dazu nicht.

Ehemaliger Angestellter zieht gegen Enpal vor Gericht

Einer dieser Kollegen ist der 23-jährige Aaron. Er zieht heute gegen Enpal vor Gericht. Ihm geht es neben der damaligen Provisionsregelung, die auch ihm nicht bekannt war, um eine Kompensation für ausgefallene Provisionszahlungen während Krankheits- und Urlaubstagen. Eine solche gesetzlich geregelte Ausgleichsprovision habe Enpal nicht gezahlt. Die Folge, so schildert es Aaron: "Bei Enpal ist es eigentlich normal gewesen, dass Leute aus dem Urlaub oder aus dem Krankenbett heraus ein paar Termine gemacht haben bzw. sich gar nicht haben krankschreiben lassen." Insgesamt belaufen sich seine Forderungen auf einen niedrigen fünfstelligen Betrag. Weil Enpal auf bisherige Zahlungsaufforderungen nicht reagiert habe, hat nun die Gewerkschaft Freie Arbeiter*innen Union (FAU) Leipzig im Namen ihres Mitglieds Klage eingereicht. Die FAU ist eine Gewerkschaft, die der sächsische Verfassungsschutz als anarchistische Gruppe einstuft.

MDR Investigativ hat mit Anna und Aaron unabhängig von einander geprochen. Ihre Aussagen ähneln einer Vielzahl an Bewertungen von (ehemaligen) Mitarbeitern im Online-Portal "Kununu". So heißt es ebenfalls in einer Bewertung zum Standort Leipzig auf Kununu: "Der Druck, der gemacht wird, ist immens und kaum aushaltbar."

Enpal-Sprecher: "Eigentlich müssen wir noch viel schneller wachsen"

Zur laufenden Güteverhandlung äußerte sich Enpal auf Anfrage von MDR Investigativ nicht. Angesprochen auf den geschilderten Druck ehemaliger Mitarbeiter, sagte Enpal-Sprecher Wolfgang Gründinger MDR Investigativ: "Das Ziel bleibt natürlich, dass wir den Beschäftigten ein gutes Umfeld bieten wollen und wir investieren auch massiv in die Zufriedenheit unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter." Er sei überzeugt, dass die meisten Mitarbeiter sehr wenig Groll oder Druck spürten. "Aber klar, die Klimakrise ist da, sie ist gravierend, und wir sind immer noch am Tag eins der Klimawende. Und deswegen müssen wir noch schneller wachsen – zwar sind wir schon schnell gewachsen, aber eigentlich müssen wir noch viel schneller wachsen, als wir es getan haben, einfach um der Klimakrise Herr zu werden. Und daher arbeiten wir jeden Tag sehr hart, aber hoffentlich am Wochenende dann auch wieder nicht", so Gründinger.

Mit seinem tatsächlich rasanten Wachstum konnte sich Enpal bislang brüsten. Immer wieder spricht Geschäftsführer und Gründer Mario Kohle in Interviews davon, dass das Startup bereits 2022 – nur fünf Jahre nach seiner Gründung im Jahr 2017 – "profitabel" wirtschafte. 2023 konnte das Startup seinen Umsatz auf 900 Millionen Euro im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppeln. Bis zum Jahr 2030 will Enpal laut Viktor Wingert, Mitgründer und Chief Investment Officer, eine Million Haushalte mit PV-Anlagen versorgen.

Diese ambitionierten Ziele können – so deuten es die Aussagen ehemaliger Mitarbeiter an – offenbar nicht ohne Druck und einen rauen Ton realisiert werden. Anna, die ehemalige Mitarbeiterin aus Leipzig, berichtet: "Die Leute, die befördert wurden, waren gerade diejenigen, die besonders rücksichtslos waren und nicht die, die menschlich gut verkauft haben."

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Im Gegensatz dazu steht die Aussage von Enpal-Mitgründer Viktor Wingert, der im Podcast "Startup Insider" Anfang Februar sagte, dass jede Stelle mit dem Besten für die jeweilige Position besetzt werden soll. "Wir haben den Anspruch für jede Position, vom Praktikanten bis zum CEO, denjenigen zu haben, der unter den Top fünf Prozent derer ist, die diesen Job machen können. Und wenn es dazu notwendig ist, Dutzende oder Hunderte Interviews dazu zu führen, dann ist das eben so."

Ein Gebäude
Enpal-Firmensitz in Berlin. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Ein guter Mitarbeiter war auch Aaron, sagt er. Er sei sogar einmal als "Top-Seller" ausgezeichnet worden, eine Urkunde und ein T-Shirt mit dieser Aufschrift besitze er noch. Dennoch entschied er sich, nach eineinhalb Jahren seinen Job bei Enpal im Dezember 2023 aufzugeben. "Erst danach habe ich gemerkt, wie mich dieser Job psychisch fertig gemacht hat." Auch Anna kündigte im vergangenen Jahr. "Viele von den Kollegen, die sehr überzeugt waren von diesem Job und dachten, dass sie was Gutes tun, sind teilweise krank geworden und sehr viele sind wie ich sehr enttäuscht gegangen."

Enpal-Sprecher Gründinger bedauert das im Gespräch mit MDR Investigativ: "Es tut mir leid und ich kann versprechen, dass wir noch härter arbeiten werden, um auch diese Menschen mitzunehmen, weil die Mission, die Energiewende für alle durchzuführen, für alle bezahlbar zu machen, für alle intelligent zu machen, für alle zugänglich zu machen, liegt uns einfach sehr am Herzen."

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL | MDR AKTUELL RADIO | 11. März 2024 | 10:48 Uhr

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