Goitzsche zum Teil wieder freigegeben
Große Teile des Goitzsche Sees in Bitterfeld-Wolfen sind in Privathand. Bildrechte: MDR/Norbert Claus

Bitterfeld-Wolfen Bund der Steuerzahler zu Goitzsche-Verkauf: "Umstände müssen aufgeklärt werden"

Von Daniel Salpius, MDR SACHSEN-ANHALT

11. Mai 2023, 08:27 Uhr

Der Verkauf des Goitzsche Sees an einen privaten Investor vor zehn Jahren wird noch einmal rechtlich überprüft. Das hat Bitterfeld-Wolfens Stadtrat in einer Sitzung am 10. Mai entschieden. Der Bund der Steuerzahler begrüßt eine Aufarbeitung. Immerhin flossen in die Sanierung des ehemaligen Tagebaus 345 Millionen Euro an öffentlichen Mitteln. Der Investor zahlte 2,9 Millionen Euro.

Wo zuvor ein riesiges Tagebau-Loch klaffte, breitet sich heute ein malerischer See aus. Die Goitzsche steht für das neue Bitterfeld-Wolfen, für ein Naturidyll mit touristischer Anziehungskraft. Dafür mussten große Anstrengungen unternommen werden. Der Umbau des ehemaligen Abbau-Gebiets ab 1991 verschlang bisher 345 Millionen Euro. Das teilte auf Nachfrage die für die Sanierung zuständige Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft (LMBV) mit. Bei der Summe handelt es sich fast in Gänze um öffentliche Mittel. Laut LMBV teilen sich Bund und Land die gewaltigen Kosten.

Goitzsche-Verkauf: Stadträte zweifeln an korrektem Ablauf

Dass ein beträchtlicher Teil der Goitzsche vor zehn Jahren dann für vergleichsweise gering erscheinende 2,9 Millionen Euro an einen privaten Investor verkauft wurde, befremdet in Bitterfeld-Wolfen mitunter bis heute. Eine Ende 2022 eingesetzte, fraktionsübergreifende Arbeitsgruppe im Stadtrat hegt inzwischen sogar ganz offen Zweifel daran, dass damals – 2013 – alles korrekt gelaufen ist. Die Räte wollen daher jetzt eine Anwaltskanzlei einschalten, die die damaligen Vorgänge aufarbeitet. Am Mittwoch stimmte der Stadtrat hinter verschlossenen Türen darüber ab.

Die öffentliche Hand hat nichts zu verschenken.

Ralf Seibicke Bund der Steuerzahler Sachsen-Anhalt

Der Bund der Steuerzahler Sachsen-Anhalt würde eine solche Aufarbeitung begrüßen. "Die öffentliche Hand hat nichts zu verschenken. Deshalb müssen die Umstände des Verkaufs aus meiner Sicht aufgeklärt werden", sagte Steuerzahlerbund-Chef Ralf Seibicke MDR SACHSEN-ANHALT.

Zwar ließen sich die Vorgänge nicht ganz leicht beurteilen, weil der Sachverhalt zunächst von Anfang an aufgedröselt werden müsse. Die kritische Debatte selbst kann Seibicke aber schon jetzt gut nachvollziehen. "Schließlich geht es um ursprünglich öffentliches Vermögen, für das die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit gelten müssen." Wenn also der Verdacht bestehe, dass etwas nicht sauber gelaufen sei, "soll der Stadtrat alles Nötige zur Aufklärung unternehmen." Das sei im Interesse der Steuerzahler.

Kommunale Gesellschaft BQP geriet in finanzielle Schieflage

Rückblick: Die ehemals kommunalen Flächen gehörten vor dem Verkauf der Bitterfelder Qualifizierungs- und Projektierungsgesellschaft (BQP), hinter der wiederum die Stadt Bitterfeld-Wolfen und der Landkreis Anhalt-Bitterfeld als kommunale Gesellschafter standen. Als die BQP und weitere Untergesellschaften 2013 in finanzielle Schieflage gerieten, entschieden sich Kreis und Stadt für die Liquidation, also für eine Auflösung der Gesellschaft und den Verkauf ihrer Flächen. Auch Stadtrat und Kreistag waren damals in diese Entscheidung involviert.

Verkaufsprozess umfasst 3.000 Aktenordner

Aber waren die Abgeordneten auch umfassend und korrekt über die Lage der BQP informiert? Die fraktionsübergreifende Arbeitsgruppe kommt nach Sichtung eines Teils der 3.000 Aktenordner rund um die Liquidation offenbar zu einem anderen Schluss. Die damalige Argumentation, dass es keine andere Möglichkeit als den Verkauf der Goitzsche gegeben habe, halte einer kritischen Bewertung nicht Stand, teilten die mitwirkenden Stadträte Anfang April per Pressemitteilung mit. Die Flächen im kommunalen Besitz zu halten, wäre aus ihrer Sicht also möglich gewesen.

Zweifel an damaligen Entscheidern

Zumindest aber hätte aus ihrer Sicht ein höherer Preis angesetzt werden müssen. Aus Kreisen der Arbeitsgruppe wird auf MDR-Nachfrage auf die heute horrenden Quadratmeterpreise für Grundstücke an der Goitzsche verwiesen. Daraus ergeben sich für sie auch Zweifel an den damaligen Entscheidern. Schon heute ist für die Arbeitsgruppe klar, "dass eine Vielzahl von Entscheidungen erhebliche negative Auswirkungen auf die finanzielle Situation der Stadt und des Landkreises hatten und haben." Unklar bleibt, auf welche konkreten Ungereimtheiten die Arbeitsgruppe bislang gestoßen sein könnte und ob es Belege für ein mögliches Fehlverhalten von Entscheidern gibt.

Goitzsche: Unübersichtliche Eigentumsverhältnisse

Bei dem privaten Käufer der Flächen, dem heutigen Eigentümer, handelt es sich um die Blausee GmbH. Es ist ein Unternehmen der Familie des verstorbenen Ratiopharm-Gründers Merckle. Der Firma gehören inzwischen fünf Seen in Mitteldeutschland.

An der Goitzsche verfügt Blausee über den größten Teil der Wasserfläche, laut einem MZ-Bericht sind es 1.150 Hektar. Die Gesamtgröße des Sees beträgt nach LMBV-Angaben insgesamt 1.353 Hektar. Außerdem gehören dem Unternehmen 350 Hektar Grundstücke am See.

Blausee besitzt demnach nicht das gesamte Seegebiet. Die genauen Besitzverhältnisse rund um die Goitzsche sind von außen unübersichtlich. 1.300 Hektar im Südwesten des Sees gehören nach eigenen Angaben dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). In der sogenannten Goitzsche-Wildnis soll sich die Natur frei entfalten können. 29 Hektar gehören dem Zweckverband Goitzsche. Dabei handele es sich größtenteils um den Rundweg um den See, Grünflächen und zwei Parkplätze, teilte der Zweckverband auf Nachfrage mit. Auch angrenzende Gemeinden, aber auch Privatpersonen verfügen über Flächen am See.

Eine neuerliche Debatte hilft niemandem.

Ingo Jung Goitzsche Tourismus GmbH

Goitzsche Tourismus GmbH: 20 Millionen Euro in Standort investiert

Für die Blausee-Flächen ist eine eigens gegründete Gesellschaft zuständig, die Goitzsche Tourismus GmbH. Hier sieht man die wieder aufflammende Diskussion um den Verkauf erwartungsgemäß kritisch. Man sei vor zehn Jahren als Meistbietender aus dem Bieterverfahren hervorgegangen, sagte Geschäftsführer Ingo Jung MDR SACHSEN-ANHALT auf Nachfrage. "Eine neuerliche Debatte hilft niemandem – zumal die Goitzsche nach dem Verkauf auch weiterhin der Öffentlichkeit zur privaten Nutzung wie Baden zur Verfügung steht und wir uns als private Betreiber um Ordnung und Sauberkeit bemühen."

Zudem habe man seit dem Erwerb der Flächen 20 Millionen Euro in den Standort investiert. Jung zählt touristische Projekte wie zum Beispiel den Wake-Park in Pouch und den Stadthafen in Bitterfeld auf. Ein Schwerpunkt liege auch in der Bernsteinförderung. Als nächstes sei daher eine Bernsteinerlebniswelt geplant. "Mit unseren und den daraus folgenden Investitionen unterstützen wir die Attraktivität der Region für Bewohner, Touristen und auch Industrieansiedlungen."

MDR (Daniel Salpius) | Erstmals veröffentlicht am 09.05.2023

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 09. Mai 2023 | 16:00 Uhr

3 Kommentare

Rychlik vor 49 Wochen

LUFTNUMMER
oder soll der Ausverkauf Mitteldeutschlands rückabgewickelt werden
wär unendliche Geschichte denn Rückgabe vor Entschädigung wirkt bis heute nach

Ich nicht vor 49 Wochen

Mich interessiert warum die 345 Millionen € für die Renaturierung des Tagebau aus öffentlichen Mitteln, also Steuergeldern, stammt. Das Geld muss doch von den Profiteuren des Tagebau mit eingepreist werden!

ElBuffo vor 49 Wochen

Dieses eklatante Missverhältnis zwischen Wert und Verkaufserlös schreit förmlich nach der Frage, wem der Meustbietende noch etwas geboten hat, damit das so über die Bühne geht

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