Gegenstände in einer Vitrine
Das Denkmal-Modell "Red Cross" (Rotes Kreuz) ist im Stadtmuseum Halle ausgestellt. Bildrechte: MDR/Andreas Manke

Operation Anthropoid Deutsch-tschechischer Schüleraustausch in Halle befasst sich mit NS-Zeit

07. Oktober 2023, 12:09 Uhr

Schülerinnen und Schüler aus Prag und Halle haben sich seit vergangenem Jahr mit Ereignissen des Zweiten Weltkriegs beschäftigt. Im Fokus des gemeinsamen Projekts stand das in Prag verübte Attentat auf den in Halle geborenen SS-Funktionär Reinhard Heydrich und die Vergeltungsaktion der Nazis in Tschechien. Neben Freundschaften zwischen den Jugendlichen sind ein Podcast und Modelle für Denkmale zur Erinnerung an die Massaker von Lidice und Ležáky entstanden, die im Stadtmuseum ausgestellt sind.

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Halle und Prag verbindet eine Geschichte des Zweiten Weltkrieges. Am 27. Mai 1942 verübten tschechische Widerstandskämpfer ein Attentat auf den SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich. Der in Halle geborene Heydrich starb acht Tage später an seinen Verletzungen. Als Racheakt ermordeten deutsche Besatzer Hunderte Menschen in der Stadt Lidice.

Um diesen Abschnitt deutsch-tschechischer Geschichte in Erinnerung zu halten, haben sich Schülerinnen und Schüler aus Halle und Prag getroffen, um sich kennenzulernen und in einem gemeinsamen Projekt an die Ereignisse zu erinnern. Ein Podcast und Denkmalentwürfe sind dabei entstanden.

Schüler aus Halle spricht von "grandiosem Austausch"

Stanley Schwarz ist einer der Jugendlichen aus Halle, der in der Denkmal-Gruppe ein eigenes Denkmal entworfen hat. Der 18-Jährige sagt über das Projekt, dass der soziale Austausch mit den tschechischen Schülern grandios war. Es gäbe bis heute Kontakt zu den Pragern.

Ein großer Teil der Gruppe ist sogar zum Abi-Ball nach Halle gekommen, um mit den Deutschen gemeinsam den Schulabschluss zu feiern. "Die Tschechen haben sofort gesagt, wir kommen zu euch. Wir haben kurz geschrieben und dann sind sie gleich mit dem Zug nach Halle gefahren", sagt Schwarz.

Niemand habe dann mehr an den geschichtlichen Hintergrund gedacht, der die Schüler ursprünglich zusammengebracht hat. Es sei dann nicht mehr wie Schule gewesen, sondern wirklich privat und richtig toll.

Eigener Denkmalentwurf der Schüler

Neben dem Wunsch nach direktem Erfahrungsaustausch mit den Schülern aus Prag wollte Stanley Schwarz vor allem auch deshalb beim Projekt mitmachen, weil er zuvor noch nichts über Reinhard Heydrich gehört hatte, obwohl er auch aus Halle stammt. Er wollte den geschichtlichen Zusammenhang verstehen und die Denkmale in Lidice und Prag besuchen, um dann auch einen eigenen Denkmalentwurf gestalten zu können.

Zwei Männer neben einer Vitrine
Stanley Schwarz (links) hat ein Denkmalmodell für Halle und Prag entworfen. Andreas Wunsch vom halleschen Feininger-Gymnasium hat das Projekt mit betreut. Bildrechte: MDR/Andreas Manke

Darum geht es im Projekt

Schülerinnen und Schüler aus Halle und Prag haben sich in einem gemeinsamen Projekt mit dem Attentat auf den führenden SS-Funktionär Reinhard Heydrich und der Vergeltungsaktion der Nazis beschäftigt. SS-Führer Heydrich wurde in Halle geboren und war an der Organisation des planmäßigen Massenmords an den europäischen Juden beteiligt. Zudem war er als General der Polizei und Reichsprotektor in der besetzten Tschechoslowakei zuständig für die Verfolgung des Widerstands und wurde auch der "Henker von Prag" oder "Schlächter von Prag" genannt. Bei einem Attentat im dem Codenamen "Operation Anthropoid "am 27. Mai 1942 hatten tschechoslowakische Widerstandskämpfer Heydrich schwer verletzt. Er starb wenige Tage später an den Verletzungen. Das NS-Regime rächte sich mit den Massakern von Lidice und Ležáky. Einsatzkräfte aus Gestapo, Schutzpolizei und Sicherheitsdienst (SD) unter der Leitung der Schutzstaffel (SS) ermordetet Hunderte Menschen.

Bei dem deutsch-tschechischen Schüleraustausch haben sich Schülergruppen von jeweils 15 Personen gegenseitig in Prag und Halle besucht. Im September waren Schülerinnen und Schüler aus dem "Gymnazium Ustavni Praha 8" in Halle. Zuvor war eine Schülergruppe des Lyonel-Feininger-Gymnasiums im April nach Prag gereist. Die Jugendlichen haben Orte des Gedenkens besucht und Interviews in Tschechien und Halle geführt.

Bereits im vorigen Jahr sind in einem gemeinsamen Workshop Denkmalentwürfe für Halle entstanden, die in der aktuellen Sonderausstellung des Stadtmuseums Halle zur Streitkultur "Streit, Zoff und Beef" ausgestellt sind.

"Kreative und empathische" Ergebnisse

Für die Denkmalentwürfe habe man sich mit einem tschechischen Künstler, der selbst Denkmale entwirft, in der Prager Schule getroffen, sagt der Projektleiter Norbert Böhnke vom Fachbereich Kultur der Stadt Halle. Innerhalb kürzester Zeit und mit einfachsten Materialien haben die Schülerinnen und Schüler die Denkmalmodelle gebaut.

Die Ergebnisse seien kreativ und empathisch. Sie versetzten einen in die Rolle der Opfer. Böhnke sagt, er sei emotional sehr berührt, wenn er die Denkmalentwürfe der Jugendlichen sehe. Bei den Entwürfen des Schülerprojektes gehe es vor allem darum, eine Diskussion über ein Denkmal für Halle zu entfachen. Auch deshalb sind die Entwürfe öffentlich im Stadtmuseum Halle ausgestellt.

Eine Säule für Prag und Halle

Der Denkmalentwurf von Stanley Schwarz ist eine Säule mit einer Grundfläche eines Dreiecks, auf dem Namen und Bilder von Opfern der Nazis dargestellt sind. Je eine Säule solle in Halle und eine in Prag stehen. Weil die Geschichte um Reinhard Heydrich und seiner Verbrechen zu wenig bekannt seien, solle die Säule rund 30 Meter hoch sein, um aufzufallen.

"Nach dem Schüleraustausch habe ich schon mehrere Leute gefragt: 'Kennt ihr Reinhard Heydrich?' Die Antwort war immer nein. Und wenn man einen so großen Turm in der Stadt stehen hat, dann fragt man sich, was ist das, und setzt sich automatisch mit dem Thema auseinander", sagt Schwarz.

Denkmalentwurf
Der Denkmalentwurf (links) von Stanley Schwarz ist eine Säule mit Namen von Opfern der Nazis. Bildrechte: Norbert Böhnke

Aus dem Projekt nehme Stanley Schwarz für sich persönlich die Erkenntnis mit, wie schrecklich der Zweite Weltkrieg war. Außerdem habe er jetzt ein deutlich größeres Interesse an geschichtlichen Dingen.

Podcast zum Thema Erinnerungskultur

Neben den Denkmalmodellen entsteht auch ein Audio-Podcast für Radio Corax. Dazu haben die 30 Schülerinnen und Schüler in Prag und Halle verschiedene Leute zum Thema Erinnerungskultur befragt. Darius ist Schüler aus Halle und hat in Prag die Interview-Leitung übernommen. Interview-Orte waren zum Beispiel das Memorial der Stille am Bahnhof Prag-Bubny, von dem aus damals Juden ins Konzentrationslager gebracht wurden und das KZ Theresienstadt.

Dort sei zum Beispiel gefragt worden, welche Gruppen diese Orte besuchen und wer sich vor allem mit der Geschichte befasst. Es sei bei den Antworten aufgefallen, dass die Verbrechen aus der NS-Geschichte die Prager noch heute sehr mitnehme, sehr nah gehe und traurig mache, sagt Darius.

Aus dem Land der Täter

Gerade zu Beginn des Schüleraustausches sei auch unter den Jugendlichen eine angespannte Stimmung gewesen, sagt Darius. Auch wenn es nicht die heutige Generation direkt betreffe, so komme man aus dem Land der Täter und das sei spürbar gewesen. Die Geschichtliche Auseinandersetzung mit der NS-Zeit in Prag habe zu viel Nachdenken geführt. Es habe viele Situationen gegeben, in der die Stimmung getrübt war. Erst am Abend, so Darius, wenn gemeinsam Zeit im Café oder Park verbracht wurde und sich ausgetauscht werden konnte, sei die Stimmung wieder sehr locker gewesen.

Sie haben dieselben Probleme wie wir. Sie machen auch das Abitur. Sie haben Prüfungsstress und vielleicht etwas Angst es nicht zu schaffen.

Karl, Schüler aus Halle Projektteilnehmer

So hat auch der Hallenser Karl aus der 12. Klasse diese gemeinsame Situation erlebt. Die Tschechen hatten in Prag am Abend für die gesamte Gruppe einen großen Tisch reserviert. Dort war die Stimmung während der Freizeit sehr gut gewesen. Auch im Spielehaus e.V. Halle sei es ähnlich gewesen.

Aus den Gesprächen habe Karl vor allem mitgenommen, dass es kaum Unterschiede zwischen den Jugendlichen in Halle und Prag gäbe. "Sie haben dieselben Probleme wie wir. Sie machen auch das Abitur. Sie haben Prüfungsstress und vielleicht etwas Angst es nicht zu schaffen. Und sie alle beschäftigt die Frage Führerschein machen oder nicht", sagt Karl. Generell nehme Karl vom Schülerprojekt mit, dass man an die Verbrechen aus der NS-Zeit auf verschiedene Weise erinnern muss. 

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MDR (Andreas Manke, Moritz Arand)

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36 Kommentare

Peter W. vor 31 Wochen

Das ist das Problem heutzutage. Viele haben nur ein Gefühl, machen sich aber nicht die Mühe es mit Fakten zu untermauern oder die Themen mal von allen Seiten zu beleuchten.
Die Neuzeit-Demagogen nutzen das schamlos aus, wohl wissend dass es bei vielen schon reicht, den Aufmerksamkeitsdefizit-Trigger zu bedienen und die propagierten Gefühle regelmäßig zu füttern.

Peter W. vor 31 Wochen

Wollen wir jetzt erst noch eine Rechnung aufmachen, wie viele Kleinkinder und Familien die Wehrmacht und die SS in ihren Feldzügen durch Europa auf dem Gewissen hatten?

Die einfache Wahrheit ist, dass der Auslösers für all das Leid -auch der Deutschen - der Weltkrieg war, den Deutschland vom Zaun gebrochen hat. Ohne diesen keine Millionen deutsche Tote, keine Vertreibung, keine Benesch-Dekrete und keine Gebietsverluste. So einfach.

Alle die heute irgendwie Sympathien für Kaiser- oder Drittes Reich hegen, sollten erkennen dass diese beiden Staatsgebilde das größte Leid nicht nur über Europa, sondern auch speziell über die Deutschen gebracht haben.

DER Beobachter vor 31 Wochen

Der englische Geheimdienst hat die Leute ausgebildet, um deutsche "Racheakte" zu provozieren? Alles klar, noch deutlicher braucht man nicht auszudrücken, in welcher eindeutigen Szene man so "gebildet" wird...

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