Debatte um Unterschriftensammlung Landtagswahl: Droht wegen Corona weniger Wahlfreiheit in Sachsen-Anhalt?
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15. Januar 2021, 08:24 Uhr
Die vielen kleineren Parteien im Land sehen sich in der Corona-Pandemie erheblich benachteiligt und fordern eine Absenkung der Zulassungsvoraussetzungen für die Landtagswahl. Die Landtagsfraktionen der Koalition und der Linken wollen jetzt handeln. Die Freien Wähler und zwei weitere Parteien stellen zudem an diesem Wochenende ihre Landeslisten auf – unter Protest.
Die Regierungskoalition im Magdeburger Landtag und die Linken wollen die Zulassungsvoraussetzungen für die kommende Landtagswahl im Juni anpassen. Das hat MDR SACHSEN-ANHALT von den Fraktion erfahren. Mehrere kleinere Parteien hatten in den letzten Wochen immer wieder beklagt, sie würden durch die Corona-Pandemie bzw. die -Eindämmungsverordnung erheblich benachteiligt. Freie Wähler, Tierschutzpartei oder Freie Bürger Mitteldeutschland fürchten, nicht rechtzeitig eine gesetzlich vorgegebene Zahl an Unterstützungsunterschriften zusammenzubekommen – und wenn, dann nicht ohne den Unmut der Bevölkerung auf sich zu ziehen.
Nach Recherchen von MDR SACHSEN-ANHALT wollen mindestens 18 Parteien an der Landtagswahl teilnehmen. Zwei weitere haben ihre Pläne mit Verweis auf die derzeitige Situation bereits verworfen. Ein Überblick, was Sachsen-Anhalts Parteien derzeit für ihre Teilnahme leisten müssen, wie die Landtagsfraktionen das ändern wollen und wie weit die einzelnen Parteien sind:
Kleine Parteien brauchen bislang 1.000 Unterstützungsunterschriften
Um an der Landtagswahl teilnehmen zu können, müssen Parteien entweder bereits im Landtag oder Bundestag sitzen – oder sie sammeln mindestens 1.000 Unterstützungsunterschriften von wahlberechtigten Menschen. So will es das Landeswahlgesetz. Pro Direktkandidat oder Direktkandidatin sind zudem 100 Unterschriften je Wahlkreis nötig. Die Frist für die Einreichung bei der Landeswahlleiterin ist der 19. April, 18 Uhr.
Damit die Unterschriften gesammelt werden können, muss eine Partei aber zuerst eine Landeliste für die Wahl aufstellen. Das haben noch nicht alle Parteien geschafft. Immerhin: Die derzeit gültige Corona-Eindämmungsverordnung untersagt zwar Parteiveranstaltungen, Listenaufstellungen sind davon aber ausgenommen.
Hat eine Partei ihre Liste aufgestellt, stellt die Landeswahlleiterin ihr ein eigenes "Formblatt für die Unterstützungsunterschrift" aus. Zwar können die Parteien dieses Formblatt auch als Download im Internet anbieten. Unterstützende müssen es dann aber erst ausdrucken, persönlich ausfüllen und per Post an die Partei zurücksenden.
Weil ohnehin die allermeisten Unterschriften erfahrungsgemäß durch den persönlichen Kontakt zustande kämen, glauben die allermeisten Parteien deshalb nicht daran, rechtzeitig die nötigen Unterschriften zusammenzubekommen. Sie fordern eine Absenkung des Quorums, wie es bereits der Landtag von Rheinland-Pfalz für die dortige Landtagswahl vorgenommen hat. In Baden-Württemberg hat das Landesverfassungsgericht ebenfalls eine solche Änderung für notwendig erklärt.
Koalitionsparteien und Linke diskutieren Absenkung des Quorums
Mehrere Fraktionen im Landtag wollen nur die bisherige Regelung ändern. "Wir streben derzeit eine Verständigung mit den Koalitionsfraktionen über die politischen Rahmenvorgaben für eine Gesetzesänderung an", erklärte der Fraktionsvorsitzende der Linken, Thomas Lippmann, gegenüber MDR SACHSEN-ANHALT.
Was ist ein Quorum?
Ein Quorum meint die Mindestanzahl an Unterstützungsnterschriften, die laut Landeswahlgesetz gesammelt werden müssen.
Der Gesetzgebungs- und Beratungsdienst des Landtags, dem Lippmann ebenso wie die SPD-Fraktion im Dezember angerufen hatte, habe ihm am Montag mitgeteilt, dass eine Absenkung der Quoren zwar nicht zwingend, aber sehr wohl gut vertretbar sei. Die Linke könne sich deshalb vorstellen, die nötige Unterschriftenanzahl für die Landeslisten auf 500 zu reduzieren. Diese Zahl hatte der Grünen-Innenpolitiker Sebastian Striegel am Dienstag genannt. Auch die SPD-Fraktion befürwortet die Halbierung. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Siegfried Borgwardt nannte noch keine Zahl, seine Fraktion sehe aber ebenfalls "Reglungsbedarf" und wolle zeitnah das Thema mit SPD und Grünen besprechen.
Ginge es nach der Linken, könnte ein Gesetzesentwurf bereits am 4. oder 5. Februar in den Landtag eingebracht werden.
So weit sind die mehr als 20 Parteien im Einzelnen
- CDU, AfD, Linke, SPD und Grüne brauchen als derzeit im Landtag vertretene Parteien keine Unterstützungsunterschriften. Auch die FDP, die 2016 mit 4,9 Prozent der Zweitstimmen äußerst knapp an der fünf-Prozent-Hürde gescheitert war, braucht nicht zu sammeln: Sie ist schließlich im Bundestag vertreten. Das reicht laut Landeswahlgesetz. Ihre Landesliste hat die Partei bereits im September gewählt.
- Die Freien Wähler halten unter Protest nun doch am Samstag eine Aufstellungsveranstaltung in Stendal ab (MDR SACHSEN-ANHALT wird von dort berichten). Der Landespartei bleibe "angesichts der Gesamtsituation keine andere Wahl", erklärte der Bundesvorsitzende Hubert Aiwanger diese Woche. Die Partei fürchtet vor allem eine negative Wahrnehmung in der Öffentlichkeit, wenn sie in der jetzigen pandemischen Lage zusammenkommt. Ein Landesparteitag der AfD im Dezember hatte etwa für breite Kritik gesorgt.
- In Barleben treffen sich am Samstag die Liberal-Konservativen Reformer (2016 als ALFA angetreten) zu ihrer Listenaufstellung. Die anschließende Unterschriftensammlung werde für die Partei aber ein "gravierendes Problem" darstellen, so Landesschatzmeister Ulf Schiefer. "Unterschriftensammeln lebt von der Freundlichkeit, das geht mit Maske schlecht." Schiefer wünscht sich eine Absenkung des Quorums auf 250 Unterschriften.
- Die Tierschutzpartei will ebenfalls an diesem Wochenende "mit nur wenigen Mitgliedern" und unter Einhaltung der Eindämmungsverordnung ihre Liste aufstellen, erklärt der Landesvorsitzende, Burkhard Moll, auf Anfrage. Mit Blick auf die Unterschriftensammlung schreibt Moll, dass viele Parteimitglieder aufgrund ihres hohen Alters selbst zur Risikogruppe gehörten.
- Zu den Parteien, die bereits eine Landesliste aufgestellt haben, gehört die Tierschutzallianz. Die Parteimitglieder kamen im April 2020 zusammen, außerdem sollen sechs Direktkandidaten antreten. Bisher hat man aber erst rund 400 Unterschriften sammeln können, sagt der Landesvorsitzende Josef Fassl. Veranstaltungen wie Tiermessen und Tierheimfeste, auf denen die Partei normalerweise Hunderte Unterschriften gesammelt hätte, seien zuletzt aber ausgefallen. "Eine Absenkung der Unterschriftenanzahl würde uns daher entgegenkommen", so Fassl.
- Im November haben die Freien Bürger Mitteldeutschland ihre Landesliste gewählt. Vier Direktkandidaten sollen außerdem im Süden des Landes antreten, so der Landesvorsitzende Andreas Koch. Koch sagte, man sehe sich durch die Eindämmungsverordnung benachteiligt, denn: "Menschen müssen nach unseren Erfahrungen persönlich angesprochen werden, damit sie eine Unterstützungsunterschrift leisten." Die Partei prüfe deshalb derzeit weitere Schritte.
- Eine fertig aufgestellte Landesliste gibt es seit September auch bei den Piraten. Seitdem habe man aber erst rund 100 Unterschriften sammeln können, schreibt die Landesvorsitzende Sophie Bendix. Am Samstag will man jedoch erneut in der Magdeburger Innenstadt Unterstützerinnen und Unterstützer werben – unter Einhaltung der Hygieneauflagen. Außerdem sollen Briefe mit den Unterlagen samt bereits frankierter Rückumschläge an Interessierte verschickt werden.
- Die Gartenpartei tritt wie schon 2016 mit vier Direktkandidaten für die Magdeburger Wahlkreise und einer eigenen Landesliste an. Aufgestellt wurde die im Juli, genau wie die Liste der Satirepartei Die PARTEI. Die rechtsextreme NPD hat im August ihre Landesliste gewählt, die ÖDP folgte im September, die Humanisten im November.
- Erstmals an der Landtagswahl teilnehmen will die Klimaliste Sachsen-Anhalt. Man befinde sich derzeit aber noch in der "Gründungs- und Strukturierungsphase", so der für die Öffentlichkeitsarbeit zuständige Jens Eberhard. Einen Termin für die Listenaufstellung gebe es deshalb noch nicht. Die "Klimaliste" fordert vor allem konsequente Klimaschutzmaßnahmen zur Einhaltung des 1,5 Grad-Ziels.
- Die paneuropäische Partei Volt hat "schweren Herzens" die Idee zur Wahlteilnahme aufgrund der derzeitigen Situation wieder verworfen, teilte Luisa Strackeljan mit. Man wolle sich als noch junge Partei stattdessen auf die Bundestagswahl konzentrieren.
- Die linksextreme MLPD wird in Sachsen-Anhalt laut eigener Aussage nicht antreten und will sich stattdessen auf die Wahlen in Thüringen und im Bund konzentrieren.
- Auf eine Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT, ob sie planen, an der Landtagswahl teilzunehmen haben bislang die beiden rechtsextremen Parteien Die Rechte und der III. Weg und die Initiative Aufbruch Deutschland 2020 um den Ex-AfD-Landesvorsitzenden Poggenburg nicht reagiert.
Wann die endgültige Entscheidung über die Zulassung fällt
Der Landeswahlausschuss prüft die eingereichten Wahlvorschläge und Unterstützungsunterschriften. Er muss nach jetziger Gesetzeslage spätestens am 23. April über die Zulassung der Wahlvorschläge entscheiden. Bei der Landtagswahl 2016 wurden 15 Parteien mit ihren Landeslisten für die Wahl zugelassen, am Ende entfiel mehr als jede neunte Zweitstimme auf eine Partei, die es nicht über die Fünf-Prozent-Hürde schaffte.
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Quelle: MDR/tv
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 16. Januar 2021 | 19:00 Uhr
C.T. am 15.01.2021
Wir haben doch so oder so nur die Wahl zwischen Pech und Schwefel...
Ganz egal welchen Kasperkopf wir für des politische Schmierentheater wählen, der Große Plan wird weiter eingehalten.
SGDHarzer66 am 16.01.2021
Gebe ich Ihnen Recht - das ist nun mal so in einer Scheindemokratie.